Wirtschaft

Mit dem Luftschiff kann man Rotorblätter für Windkraftanlagen transportieren. (Foto: Flying Whales)

13.10.2023

Riesige Luftschiffe im Anflug

Eine lange vernachlässigte Technologie steht plötzlich wieder im Fokus

Flying Whales und Co: Die Fliegenden Wale, über die hier berichtet wird, leben nicht im Meer. Vor allem sind sie noch viel größer als die Meeressäuger. Und sie sollen bald käuflich sein.
„Für mich war interessant, Sylvain Allano zu sehen“, gibt Christoph Pflaum zu. Bisher kannte der Professor Allano und dessen umgesetzte Ideen nur aus dem Internet. Doch bei Webpräsentationen stehe oft die Frage im Raum: „Ist das nur Show? Aber auf einer Tagung sieht man, was die wirklich können.“ Und was Sylvain Allano ein paar Tage zuvor auf der maßgeblich von Pflaum organisierten, ersten „International Conference on Electric Airships“ im Nürnberger Energie Campus präsentiert hat, hat den Professor für Computational Engineering an der Universität Erlangen-Nürnberg offensichtlich voll überzeugt.

Ein Riesenluftschiff konstruiert

Sylvain Allano ist „Chief Scientific Officer“, also Chefentwickler des in Frankreich angesiedelten Luftschiff-Unternehmens Flying Whales. Während in Deutschland nach der Pleite des deutschen Start-ups Cargo Lifter im Jahre 2002 kaum mehr jemand einen Pfifferling auf den Lufttransport mit den fliegenden Zigarren setzte, passierte im Nachbarland genau das Gegenteil. 2012 wurde Flying Whales gegründet. Und mithilfe einer ganzen Reihe namhafter Investoren und Technikpartner hat das Entwicklungsteam um Ex-Uni-Professor Allano ein Riesenluftschiff konstruiert, das zumindest schon durch das Internet fliegt. „60 Tonnen Nutzlast, fast ohne Umweltbelastung“ werde der fliegende, 200 Meter lange Wal transportieren können, verspricht Allano. Ab etwa 2026 soll das Gefährt bis in 3000 Meter Höhe durch die Lüfte fliegen, angetrieben von Wasserstoff (H2) und Brennstoffzellen, oder per Elektroantrieb mit Batteriespeichern. Eine einzige Energiefüllung soll für 10 Betriebsstunden ausreichen.

Gerade für ein auch in Deutschland bekanntes Transportproblem könnte der Flying Whale die optimale Lösung sein: Um Rotorblätter für Windräder an entlegene Stellen, zum Beispiel in Wälder, zu bringen. Heutzutage muss dafür eine Trasse in den Wald geschlagen werden. Und für den Transport auf der Straße sind jede Menge Genehmigungen erforderlich, deren Erlangung oft Monate dauert.

Dass das klappt mit der Produktion der fliegenden Wale, da ist sich die Firma allein deshalb sicher, weil – wie es heißt – bis zu 500 Millionen Euro Entwicklungsgeld dafür bereitstehen. Kosten solle ein solches Luftgefährt dann etwa 25 Millionen Euro, ist zu hören. Laut Sylvain Allano hätte es schon 800 recht konkrete Anfragen gegeben. „Die Technik ist vorhanden. Offen ist vor allem noch: wie soll betankt werden?“ Auf jeden Fall sollen die Luftschiffe nicht in Hallen sondern draußen stationiert werden. Denn anders als der plastisch-elastisch geplante Cargo Lifter ist die Hülle der Wale aus Stahl, die auch Regen oder Sturm aushält.

Luftfahrtzukunft ohne Emissionen

Wer jetzt denkt, die Franzosen sind die Einzigen, die derzeit große Stahl-Luftschiffe entwickeln, irrt gewaltig. So ist der Prototyp des „Airlander 10“ der britischen Hybrid Air Vehicles Ltd. bereits „in echt“ geflogen. Über diese „Future of Zero Emissions Aviation“, also eine Luftfahrtzukunft ohne Emissionen, berichtete Luftfahrtingenieur Nathanael West auf besagter Konferenz. Er ist einer von etwa 50 Mitarbeitenden bei Hybrid Air Vehicles Ltd, die es bis 2027 geschafft haben wollen, eine kleine Serie aufzulegen. Wie zum Beispiel bei Heise nachzulesen ist, hat ein spanisches Luftfahrtunternehmen davon bereits 2022 zehn Airlander-10-Maschinen bestellt, mit der Option auf mehr. Und die britische BEA ist seit heuer im Luftschiff-Boot.

Ab 2027 sollen die ersten Serienmodelle des Airlander 10 ausgeliefert werden. Während der Antrieb anfangs noch altertümlich mit Verbrennermotoren funktionieren werde, soll ab 2033 nur noch vollelektrisch mit Brennstoffzelle und H2-Speicher geflogen werden, so Ingenieur West. Und: „Für später sind Solaroptionen geplant.“ Die flexible Inneneinrichtung mache es möglich, dass einerseits bis zu 100 Passagiere, aber auch bis zu 10 Tonnen Nutzlast transportiert werden können.

60 Tonnen Lastfähigkeit erwartet

LTA Research aus den USA wiederum ist gerade dabei, sein 120-Meter-Vollstahl-Luftschiff für Tests in die Luft zu schicken. „Die sind aber sehr vorsichtig mit dem Testflug“, erklärt Pflaum – und damit auch, warum LTA niemanden zur Konferenz nach Nürnberg geschickt hat. Aber Pflaum ist sicher: „Die sind am Weitesten.“ Wobei das 120-Meter-Vehikel nur der Zwischenschritt zum eigentlich geplanten 180-Meter-Fluggerät mit erwarteten 60 Tonnen Lastfähigkeit und Elektroantrieb sein soll. Geplant ist, damit vor allem Hilfstransporte in Katastrophengebiete zu ermöglichen. Warum aber der Testflug noch nicht stattgefunden hat, weiß auch Pflaum nicht genau.

Das Kürzel LTA steht für „Lighter Than Air“. Zu diesem Begriff referierte auch Diana Little, die Gründerin von Anumá Aerospace in Nürnberg, und präsentierte die Pläne zum „Partial Vacuum Lift“ (PVL) ihres Unternehmens. Das PVL-Patent ermögliche, Luftschiffe mit Teilvakuum in der Luft zu halten. Wie das genau funktioniert, erklärte Little nicht. Aber, dass schon 2025 Wetterballons, 2027 Luftschiff-Drohnen und 2029 Transport-Luftschiffe damit starten sollen. Mehr werde Anumá nächstes Jahr auf einer Konferenz in Toronto verkünden.

Warum sich der Start der ersten stählernen Riesenluftschiff-Neubauten seit 1930 so lange hinzieht, erklärte Bastien Lefrancois: „Die gefährlichen Risiken müssen ganz genau ausgetestet werden.“ Nicht zuletzt, weil der „Tod“ der Hindenburg in Lakehurst im Jahre 1937 noch immer das Bild von Luftschiffen in der Öffentlichkeit prägt. Und das nicht nur in Deutschland.

Immer an Murphy's Law denken

Der System-Ingenieur Lefrancois war Pilot des ersten solarbetriebenen Luftschiffs überhaupt und beschäftigt sich intensiv mit Design und Tests. Doch was getestet werde, das legen die Tester*innen selber fest. „Sie müssen immer an Murphy‘s Law denken“, legt der Fachmann seinen Kolleg*innen nahe. Doch eigentlich sei das Problem, dass es viel zu wenig echte Erfahrungen mit Luftschiffen gibt: „Es ist wichtig, mit tatsächlich existierenden viel zu fliegen, um mehr zu erfahren“, und diese Erfahrungen müssten in die Tests der „Neuen“ einfließen.

Viel Flugerfahrung mit Luftschiffen gibt es bei Zeppelin NT aus Friedrichshafen am Bodensee. Doch dort setzt man nur auf teilweise stahlverstärkte, 75 Meter lange Zeppeline. Zwar sprach auch Eckhard Breuer von ZLT Zeppelin Luftschifftechnik auf der Konferenz über „Kommerzialisierung“. Doch er meinte damit die Flüge, die mit den existierenden Zeppelinen seiner Firma meist unter touristischen oder Werbeaspekten veranstaltet werden. Anders als die anderen Referierenden sieht Breuer in der Elektrifizierung keine Zukunft: „Für Passagierflüge ist die Brennstoffzellentechnologie keine Kurz- oder Mittelfristalternative. Und Batterien würden keine längeren Flüge erlauben“, auch Solarmodule auf der Außenhaut würden nicht viel bringen.
Eine Studie der Uni Stuttgart bestätigt zwar Breuers Meinung. Doch in dieser Studie sind besonders die Betriebskosten aus heutiger Sicht berücksichtigt, wie Andreas Bender vom Uni-Institut IFB darlegte. Vom Einfluss der Luftschiff-Verbrennerantriebe auf die Umwelt war von ihm wie von Breuer fast nichts zu hören.

Dass es in Deutschland offensichtlich aktuell keine Entwicklungen in Richtung großer Vollstahl- und Elektro-Luftschiffe zum Gütertransport gibt, bedauert Kongressorganisator Christoph Pflaum auf Nachfrage sehr. Doch er verweist auch darauf, dass nicht nur Firmen, sondern auch „die Politik zu zögerlich“ sei. Stattdessen wird aus seiner Sicht „unheimlich viel Geld für Flugzeugforschung ausgegeben – aber da lässt sich nicht viel mehr optimieren“. Als Beispiel nennt er Propellerforschung für Elektroflieger. „Wir sollten die Zeit effizient nutzen, Luftschiffe statt Flugzeuge voranbringen“, fordert er und verweist auf Kanada: Dort werde für Transporte in und aus entlegenen, vereisten Bergbauregionen eindeutig auf den Transport mit Luftschiffen gesetzt. Genauso wie „für den Transport von Gemüse wie Tomaten aus Mexiko: Das geht schneller, billiger und schonender als per Lkw.“

Höhenluftschiffe, die Satelliten ersetzen können

Doch Pflaum hebt bewusst heraus, es gibt einen anderen Bereich der Luftschifffahrt, in dem sehr wohl auch hierzulande etwas passiert: „Höhenluftschiffe. Die können Satelliten ersetzen, für Internet- und Mobilfunkempfang etwa in 160 Kilometer Radius sorgen“, wenn sie als stationäre Plattformen in 20 Kilometer Höhe stehen. „Das könnte eine Revolution sein!“ Denn anders als Satelliten können solche Luftschiffe zur Reparatur auf die Erde zurückkehren.

Hier seien einige Firmen aktiv, und gerade auch die Uni Erlangen forsche in diesem Bereich schon sehr intensiv. Nur eben noch nicht an Großluftschiffen: „Hier könnten wir an der Uni Erlangen wirklich viel erforschen, gerade im Bereich Simulation.“ Pflaum nennt als Beispiele „Ground Handling, Routenoptimierung, Kombination verschiedener Antrieb, durch Wärmeentwicklung von Solarzellen erhöhter Auftrieb“ und vieles mehr. Außerdem wäre aus seiner Sicht „ein digitaler Luftschiffzwilling wichtig“ – in anderen Technikbereichen heutzutage schon Standard.

Nach den „vielen positiven Rückmeldungen“ planen Pflaum und seine Mitstreiterprofessoren Dünnschicht-Solarzellenforscher Christoph Brabec und Martin März vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB eine Wiederholung der Elektroluftschiffkonferenz in zwei Jahren. Dann gibt es bestimmt schon einige dieser Riesen, die tatsächlich durch die Lüfte fliegen.
(Heinz Wraneschitz)

 

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