Der Anteil der Energiekosten an der Wertschöpfung hat sich in Annahütte – dem wichtigsten Stahllieferanten der Automobilindustrie – in einem Jahr mehr als verdreifacht. Für die Produktion einer einzigen Tonne Stahl sind es nun bis zu 130 Euro mehr. Passiert nicht bald etwas, seien Jobs und womöglich die Existenz vieler Firmen bedroht.
BSZ: Herr Krüger, sehen Sie durch die steigenden Energiepreise Ihre Wettbewerbsfähigkeit bedroht?
Klaus Krüger: Die sehen wir deutlich bedroht. Wir stehen im internationalen Wettbewerb. Die Energiekosten machen bei uns in normalen Zeiten gut 10 Prozent der Wertschöpfung aus; aktuell sind es weit über 30 Prozent. Das ist für uns ein erheblicher Preisnachteil.
BSZ: Wie hoch ist der Kostenanstieg gegenüber dem Vorjahr?
Krüger: Für eine Tonne Stahl liegt der Kostenanstieg alleine aufgrund der Energiekosten aktuell bei 120 bis 200 Euro. Dabei kommt es darauf an, von welcher Sorte Stahl beziehungsweise welcher Veredelungsstufe wir reden. Im Schnitt sind es über 20 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr.
BSZ: Können Sie das derzeit noch kompensieren?
Krüger: Wir haben verschiedene Produkte im Portfolio: solche, bei denen wir Monatspreise aufrufen; da können wir ansatzweise kompensieren. Aber ein Großteil unserer Produkte – gerade jene für die Automobilbranche – läuft über Jahreskontrakte. Und diese Preise sind zu halten. Für das neue Jahr versuchen wir, die Preise anzupassen.
BSZ: Das heißt, sie müssen Ihre Produkte deutlich verteuern?
Krüger: Ja – allerdings. Die Gewinnmarge ist im Stahl ohnehin nur im unteren einstelligen Prozentbereich. Das heißt, dass der Gewinn durch die erhöhten Stromkosten weit mehr als aufgefressen wird.
BSZ: Stehen dadurch überhaupt noch Finanzmittel für Forschung und Entwicklung zur Verfügung?
Krüger: Investitionen in die Weiterentwicklung und Modernisierung der Produktionsanlagen sind definitiv bedroht. Bei Unternehmen mit hohen Energiekosten gibt es in Deutschland ohnehin nur eine sehr begrenzte Investitionssicherheit, weil sie ja nie wissen, was politisch kommt. Wenn man nun angesichts der hohen Strompreise bereits nicht mehr wettbewerbsfähig ist und gleichzeitig entscheiden soll, ob man eine Investition für die nächsten 20 Jahre tätigt, dann ist das ein immenses betriebliches Risiko. Also wird man diese Investitionen hinterfragen.
BSZ: Das heißt, Arbeitsplätze und sogar die Existenz des Unternehmens sind bedroht?
Krüger: Wir haben ein solides Fundament, jedoch gehe ich bei einigen energieintensiven Betrieben davon aus.
BSZ: Befürchten Sie, das sich die Lage für Ihre Branche unter einem grünen Bundeswirtschaftsminister weiter verschlechtert?
Krüger: Ich hoffe nicht, die Lage war bereits bisher nicht besonders rosig. Zwar hat der bisherige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier grundsätzliches Verständnis für die Stahlindustrie gezeigt; Substanzielles ist aber nicht auf den Weg gebracht worden. Und die Grünen haben noch ambitionierte Klimaziele. Die Vielzahl der Politiker und ein großer Teil der Bevölkerung weiß zwar, was sie alles nicht mehr wollen – keine Atomenergie, keine Kohlekraftwerke –, ich wünsche mir jedoch einen belastbaren Weg, wie wir ohne allzu großen Verlust unseres gemeinsam Wohlstands dorthin kommen.
BSZ: Ein Ziel der neuen Regierung ist es, bis 2030 rund 80 Prozent des Stromes aus regenerativen Energien zu gewinnen.
Krüger: Ein ehrenwertes Ziel, ein schönes Ziel. Ich hoffe irgendjemand denkt daran, von annähernd 80 Prozent zu jedem Zeitpunkt des Jahres zu sprechen.
BSZ: Und das tun sie nicht?
Krüger: Zumindest habe ich noch keinen belastbaren Plan in diese Richtung gesehen, leider auch nicht in der Diskussion mit Spitzenpolitikern. Das ist für mich als Techniker eine Crux. Wir werden mit dem geplanten Ausbau – im Sommer und zur Mittagsstunde – 200 Prozent der erforderlichen Leistung zur Verfügung haben. Und bei Flaute im Winter sind es dann nur noch 10 Prozent. Speicher sind Fehlanzeige. Wie soll man denn da als energieintensives Unternehmen stabil und verlässlich produzieren? Unsere Anlagen müssen rund um die Uhr laufen! Also brauche ich Energie, die kontinuierlich und jederzeit zur Verfügung steht. Und davon sind wir ewig weit weg. Und da reden wir nur vom Strom, es gilt parallel noch die fossilen Brennstoffe zu ersetzen. Momentan stehen wir beim Strom bei 47 Prozent. Die nächsten 33 Prozent werden deutlich anspruchsvoller, denn dann gilt es, auch die Flauten im Winter zu decken ebenso wie die Sommernächte.
BSZ: Wie ließe sich das verhindern?
Krüger: Dadurch, dass man konventionelle Energielieferanten nur so schnell abschaltet, wie die neuen Lieferanten zur Verfügung stehen – und vor allem auch kontinuierlich versorgungssicher sind; sprich auch die erforderlichen Speicher in Betrieb sind. Dann hätte man als Unternehmer die Chance, zu wettbewerbsfähigen Preisen versorgungssicher Strom zu bekommen. Wer wird bei einem Unterangebot an Strom auf seinen Strom verzichten? Niemand! Beziehungsweise die Preise müssen hierfür deutlich steigen – wie aktuell – um die Nachfrage zu kappen. Und das wird dann richtig weh tun – nicht nur den energieintensiven Betrieben, sondern auch den Verbrauchern.
BSZ: Warum stoßen Sie mit diesen Argumenten bei weiten Teilen der Politik auf taube Ohren?
Krüger: Die Politiker sind getrieben von der Klimaschutzdebatte. Ja, wir wollen mehr Klimaverträglichkeit und Nachhaltigkeit erreichen, keine Frage. Und ja, das ist ein steiniger Weg. Der massive Druck aus der Klimaschutzbewegung hat bei den Politikern dazu geführt, dass deren Ohren gegenüber unseren Argumenten zugeklappt sind.
BSZ: Immerhin steht in den Programmen aller Ampel-Parteien, dass die Netze massiv und schnell ausgebaut werden müssen.
Krüger: Aber die SPD war doch jetzt acht Jahre mit an der Regierung beteiligt. Warum haben sie dann diesbezüglich nichts unternommen? Solange die Netze nicht ausgebaut sind und wir den Windstrom nicht verlässlich vom Norden in den Süden bekommen, hätte man die Atomkraftwerke nicht abschalten dürfen. Das will nur kein Politiker hören. Die meisten von denen definieren lieber ambitionierte Ziele, die gut klingen – aber machen sich keine Gedanken, wie man konkret dahin kommt und was das für Konsequenzen hat.
BSZ: Welche kurzfristigen Maßnahmen würden Ihnen helfen?
Krüger: Der Strompreis muss sofort und deutlich gesenkt werden; fairerweise gesagt, ist die Forderung einfacher als Ihre Umsetzung. Doch wenn ich dann von der Ampel höre: Wir streichen die EEG-Umlage. Ganz ehrlich? Bei den aktuellen Strompreisen von 200 Euro pro Megawattstunde reduziert sich die EEG-Umlage strompreisgetrieben per se. Und die angekündigten Subventionen beim Strompreis lassen sich wohl finanziell kaum stemmen.
BSZ: Und sonst gibt es nichts, was man tun könnte?
Krüger: Ganz ehrlich? Am besten wäre es, speziell hier in Bayern, wenn wir die AKW Gundremmingen und Isar 2 noch einige wenige Jahre am Netz ließen, bis man sie durch erneuerbare Energien stabil und verlässlich ablösen kann. Gleiches gilt für die Kohlekraftwerke: Abschalten erst, sobald genügend grüne Energie zur Verfügung steht. Aber eben erst dann. Aber ich befürchte, es wird zu all dem nicht kommen, nicht zuletzt aus Sorge ums eigene Renommee bei den Politikern. Und es würde uns helfen, wenn Nord Stream 2 endlich in Betrieb ginge. Denn der Gaspreis in Deutschland ist in den letzten Monaten komplett durch die Decke gegangen. Beim aktuellen Anstieg reden wir nicht von einigen wenigen Cent, sondern von einer Vervierfachung.
(Interview: André Paul)
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