Wegen der Corona-Krise müssen die Kliniken ihren Betrieb umorganisieren, so auch das Krankenhaus Agatharied im Landkreis Miesbach. Das verursacht immense Kosten. Wie diese beglichen werden, ist derzeit noch völlig unklar. Fest steht nur, dass der Bund selbst in dieser Pandemie bisher lieber auf Bürokratie statt auf Pragmatismus setzt.
BSZ: Herr Kelbel, wie läuft derzeit der Betrieb im Krankenhaus Agatharied?
Michael Kelbel: Wir haben das gesamte Haus umorganisiert. Jetzt gibt es einen roten und einen grünen Bereich. Die früheren Fachabteilungen haben im Moment keine Bedeutung.

BSZ: Was heißt das?
Kelbel: Egal ob Patient, Arzt oder Pflegekraft, vor Betreten des Krankenhauses wird Fieber gemessen. Danach wird entschieden, ob man in den roten oder den grünen Bereich gehen darf. Erst dort wird sich um die individuellen Anliegen gekümmert.
BSZ: Also auch ein Patient mit Beinbruch kommt nicht gleich in die dafür spezialisierte Abteilung.
Kelbel: Nein, erst findet ein Covid-19-spezifisches Screening statt. Wenn auch nur der geringste Verdacht einer Infektion besteht, geht es erst einmal auf eine der Abklärungsstationen. Dort werden die Patienten so lange einzeln isoliert, bis klar ist, ob es in den grünen Bereich gehen kann, oder ob die weitere Behandlung im roten Bereich stattfinden muss.
BSZ: Wie viel haben Sie investiert, um das Krankenhaus entsprechend umzugestalten?
Kelbel: Das ist schwierig zu beziffern. Einen mittleren sechsstelligen Betrag aber wohl schon. Neben einigen Umbaumaßnahmen wie Schleusen, Abtrennungen und der Umgestaltung von Arbeitsplätzen fließt das meiste Geld in Schulungen. Denn es reicht nicht aus, zusätzliche Beatmungsgeräte aufzustellen. Dazu braucht es auch geschultes Personal.
BSZ: Warum?
Kelbel: Zum einen schaffen wir Beatmungsplätze in Bereichen, die sonst für andere Behandlungsformen vorgesehen waren. Zum anderen können wir uns die Beatmungsgeräte nicht aussuchen. Wir müssen im Moment nehmen, was wir kriegen. Somit haben wir eine Vielzahl unterschiedlicher Gerätetypen hier. Und die Hersteller müssen alle im Umgang mit diesen Geräten schulen. Somit steht jetzt auch ein Orthopäde, der vorher Knie und Schulter operiert hat, an der Beatmungsmaschine.
BSZ: Wer bezahlt das Ganze eigentlich?
Kelbel: Das ist die große Frage. Die Bundesregierung hat ja ein sogenanntes Krankenhausentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Mit diesem Gesetz können die Krankenhäuser jedoch nicht umfassend zufrieden sein. Zum einen decken die finanziellen Hilfen die tatsächlichen Kosten nur annähernd. Viel problematischer ist jedoch auf der anderen Seite, dass die überbordende Bürokratie des DRG-Systems (Diagnosis Related Groups/diagnosebezogene Fallgruppen) auch in der Krise beibehalten wurde. Dies bereitet den Krankenhäusern massive Sorgen. Leider wurde die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft vorgeschlagene, sehr pragmatische Herangehensweise, die entstehenden Kosten über Pauschalen zu decken, abgelehnt.
BSZ: Ich denke, in der jetzigen Situation geht es ums Retten von Menschenleben?
Kelbel: Ja, so sollte es sein. Um aber die Beatmung abrechnen zu können, muss genau über die Beatmungsminuten Protokoll geführt werden, müssen tagesaktuell aufwendige Scores erfasst und dokumentiert werden. Das mag eine Schwester, die bisher auf der Intensivstation gearbeitet hat und mit diesen Abrechnungsmodi vertraut ist, leisten können. Doch Personal, das noch nie an einem Intensivbett stand, dort aber bald gebraucht wird, kann das nicht. Hier wird viel Zeit für Dinge vertan, die sinnvoller im Sinne des Patienten eingesetzt werden könnte.
BSZ: Was sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dazu?
Kelbel: Aus seinem Haus gibt es keine Signale, diese Bürokratie zumindest vorübergehend auszusetzen.
BSZ: Rächt sich jetzt in der Krise, dass man in Deutschland in den letzten Jahren den Gesundheitssektor marktwirtschaftlichen, gar neoliberalen Gesetzmäßigkeiten unterworfen hat? All die kleinen Krankenhäuser, die wegen angeblicher Unwirtschaftlichkeit in den letzten Jahren schließen mussten, könnte man jetzt gut gebrauchen.
Kelbel: Es wäre nicht schlecht, das eine oder andere Bett mehr zu haben. Aber die Diskussion über die richtige Krankenhausstruktur in Deutschland wird man erst nach der Corona-Krise führen können. Derzeit stehen ja viele Einrichtungen wie Reha-Zentren oder Hotels leer. Diese kann man als Behelfskrankenhäuser nutzen. Die alles entscheidende Frage ist in diesem Zusammenhang aber eine andere.
BSZ: Welche?
Kelbel: Wer bedient diese Betten? Wir hatten schon vor der Krise einen Engpass an Ärzten und Pflegepersonal. Die Krise könnte hier aber langfristig eine Chance bieten.
BSZ: Inwiefern?
Kelbel: Dass junge Menschen den Wert dieser Arbeit für sich erkennen und wieder mehr von ihnen im Gesundheitssektor arbeiten wollen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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