mit jedem Tag realer und die Transformation des Energiesys-tems macht große Fortschritte. „Deutschland kann nicht energieautark werden. Es wird immer ein Importland bleiben“, sagte Florian Feller, Vorsitzender von H2vorOrt und Leiter Klimastrategie & Politische Arbeit bei Erdgas Schwaben aus Augsburg, beim Webinar „Bei Wasserstoff voll aufdrehen in der Infrastruktur“, zu dem der Zukunft Gas e. V. aus Berlin vor Kurzem eingeladen hatte. 85 Prozent der Primärenergie müssten bis 2045 durch klimaneutrale Energie oder Effizienzgewinne substituiert werden. Die leistungsfähige Infrastruktur für den Wasserstoff (H2) könnten die vorhandenen Gasverteilnetze mit 41 600 Kilometern Fernleitungsnetzen und 554 500 Kilometern Verteilnetzen leisten.
In H2vorOrt arbeiten 45 Unternehmen im DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches) zusammen mit dem VKU (Verband kommunaler Unternehmen) an der Transformation der Gasverteilnetze hin zur Klimaneutralität. H2vorOrt ist das zentrale Gremium für die strategische Dekarbonisierung der deutschen Gasverteilnetze. Die 48 Partner betreiben mehr als 50 Prozent der deutschen Gasverteilnetzkilometer und Netzanschlüsse.
Energiewende muss vor Ort passieren
„Die Energiewende muss immer vor Ort passieren, Bottom-up- und Bottom-down-Prozesse müssen dafür in einem intensiven Austausch stehen“, so Feller. Eine erfolgreiche Transformation der Gasverteilnetze hin zur Klimaneutralität erfordere eine klare Strategie. Deshalb hätten die Partnerunternehmen bereits mit der Entwicklung eines deutschlandweit standardisierten Gasnetzgebietstransformationsplans (GTP) begonnen. Damit würden die technisch-organisatorischen Voraussetzungen geschaffen, um bis spätestens 2040 die Gasverteilnetzinfrastruktur flächendeckend auf die Klimaneutralität auszurichten. Der GTP sei 2021 entworfen worden und seit März gebe es einen Leitfaden für die GTP-Einzelplanungen. Der erste Ergebnisbericht sei im September dieses Jahres erschienen. 180 Gasverteilnetzbetreiber deutschlandweit hätten sich bis jetzt beteiligt. Bis auf 0,2 Prozent seien die Leitungen anpassungsfähig für den Transport von Wasserstoff. In Landkreisen, in denen Gasnetze liegen, die von GTP-Partnern betrieben werden, würde es erste Wasserstoffeinspeisungen geben. Eine Beimischung ist flächendeckend bis zum Jahr 2030 geplant. Erste 100-prozentige Abschnitte würde es ebenfalls bis 2030 geben. Diese ambitionierten und klaren Zielmargen seien notwendig, um die 19 Millionen Haushalte und zugleich auch 1,8 Millionen Unternehmen zuverlässig mit Energie versorgen zu können. Redundante Strukturen könnten und müssten geschaffen werden durch Hybridsysteme. „Um die Transformation großflächig beginnen zu können, braucht es vor allem Investitionssicherheit für Wasserstoffhersteller“, mahnte Feller.
„Eine Vorfinanzierung durch die Netzbetreiber erfordert eine Risikoabsicherung durch den Staat“, bekräftigte Sabine Augustin, Leiterin Unternehmensentwicklung bei der Open Grid Europe GmbH (OGE) aus Essen. Der nationale Wasserstoffrat hat vor zwei Jahren eine Forschungslücke festgestellt und eine Studie in Auftrag gegeben. Diese zeigt die Rolle von Wasserstoff im Wärmemarkt, um einen realistischen Dekarbonisierungspfad erarbeiten zu können. Laut dieser Studie werden alle klimaneutralen Energieträger benötigt. Lokale Lösungen seien unumgänglich. Kommunale Wärmeplanungen sollten die Grundlage für politische Grundsatzentscheidungen sein. Ein Bündel an Technik mit Wärmepumpen, Wärmenetzen, erneuerbarer Wärme und Wasserstoff sei optimal. Doch die Szenarien bis zum Jahr 2030 seien, egal welchen Mix man nehme, alle in etwa gleich. Vielmehr sei eine gut ausgebaute Infrastruktur notwendig. „Durch den Einsatz von Wasserstoff als Energieträger wird die Energiewende sicherer und bezahlbarer“, so Augustin. Wasserstoff kann zum Teil aus Deutschland und Europa kommen. Doch der Großteil des mit 75 Terrawattstunden für das Jahr 2030 und 261 Terrawattstunden für 2040 geschätzten Importbedarfs muss aus dem Ausland kommen, da dort bessere Bedingungen vorherrschen. Es gibt circa 53 000 Kilometer Wasserstoffpipelines in 28 Ländern. Über 60 Prozent davon basieren auf bestehenden Erdgaspipelines.
Im Jahr 2030 bietet der Nordseekorridor Zugang zu Wasserstoff für 1,60 bis 3,50 Euro pro Kilogramm, 2040 für 1,50 bis 2,60 Euro pro Kilogramm. Die Umsetzung des European Hydrogen Backbone ist Augustin zufolge somit zu erschwinglichen Kosten möglich, der Transport über viele Länder die kleinste Kostengröße. Jetzt müsse bis 2023 Rechtssicherheit für das H2-Backbone geschaffen werden. Dazu gehöre die gesetzliche Verankerung der Leitungen in den Bundesbedarfsplan H2, analog zum LNG-Gesetz und zum Strommarkt.
„Es muss größer und schneller gehen beim Wasserstofftransport“, betonte Kilian Crone, Leiter des Hauptstadtbüros der Tree Energy Solutions-H2 GmbH aus Wilhelmshaven. Die Firma nutzt bestehende LNG-Infrastruktur, fängt das CO2 auf und verschifft es zurück. So entstehe ein geschlossener CO2-Kreislauf. In Texas, dem Mittleren Osten und Australien erzeugt das Unternehmen große Mengen grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen. Die Länder sind Crone zufolge aufgrund ihrer besonderen Attraktivität bei Anreizen für Klimaneutralität gewählt worden. Der Wasserstoff wird dann mit CO2 zu grünem Methan (CH4) verschmolzen und verflüssigt, um dieses durch bestehende Pipelines und per Schiff transportieren zu können. An den Häfen kann das grüne CH4 verteilt oder in grünen Wasserstoff zurückverwandelt und an die Verbrauchenden geliefert werden. Während dieses Prozesses wird das CO2 aufgefangen und zurück zur Quelle transportiert, wo es erneut mit grünem Wasserstoff verschmolzen wird, um grünes Methan zu erzeugen. Das sogenannte Sabatier-Verfahren ist eine bewährte Technologie zur Herstellung von Methan und Wasser aus der Reaktion von Wasserstoff und Kohlendioxid über einen Nickelkatalysator bei erhöhten Temperaturen (idealerweise 300 bis 400 Grad Celsius). Es wurde vom französischen Chemiker Paul Sabatier im Jahr 1897 entdeckt und nach ihm benannt.
Zentrale Drehscheibe für die Wasserstofferzeugung
In Wilhelmshaven soll das größte europäische Projekt für CO2-neutrale Energie entstehen. Mit dem Green Energy Hub wird die Realisierung einer zentralen Drehscheibe für die Erzeugung, den Import, die Speicherung und den Vertrieb grüner Energie in Deutschland und Europa geplant. Die finale Investmentphase soll bis Ende 2023 abgeschlossen sein, ab 2026 soll es erste Lieferungen geben. In der Anfangsphase sollen pro Jahr 25 Terrawattstunden grünes Gas aus dem mehr als einer halben Million Tonnen Wasserstoff erzeugt werden können und nach Wilhelmshaven geliefert werden. Bis zum Jahr 2045 soll der Import auf 250 Terrawattstunden pro Jahr und mehr als fünf Millionen Tonnen Wasserstoff ansteigen. Das entspricht laut Crone einem Zehntel des gesamten jährlichen Primärenergiebedarfs Deutschlands. „Grüner Wasserstoff wird sich nur durchsetzen, wenn er in großem Maßstab produziert wird, bezahlbar und auf Abruf verfügbar ist“, bekräftigte Crone.
(Antje Schweinfurth)
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