Seit Mai letzten Jahres fordert der Sozialverband VdK unter dem Motto „#Rente für alle“ eine auskömmliche Altersversorgung für jeden in Deutschland. Ende März soll eine Großdemonstration in München den Höhepunkt der Kampagne bilden.
BSZ: Herr Pausder, will der VdK sich jetzt in die Tradition von „Fridays for Future“ einreihen? Das Motto der geplanten Großdemo in München lautet „Soziales Klima retten!“.
Michael Pausder: Nein. Wir versuchen, Zehntausende Menschen für einen Tag zu mobilisieren und wollen durch das Format einer Großdemonstration Aufmerksamkeit für das Thema soziale Gerechtigkeit erwecken. Allerdings habe ich großen Respekt vor der Fridays-for-Future-Bewegung, die in kurzer Zeit schon viel für den Klimaschutz erreichen konnte.
BSZ: Also keine regelmäßigen Kundgebungen nach dem Prinzip „Fridays for social justice“?
Pausder: Das ist bislang nicht geplant, denn der VdK mit seinen 710.000 Mitgliedern allein in Bayern kann den öffentlichen Druck auf die Politik auch mit anderen Mitteln aufrechterhalten. Aber die Regierung ist schon stark in Hab-Acht-Stellung, was diese Großdemonstration anbetrifft. Die Bundeskanzlerin zeigte sich Ende Januar bei der 70-Jahr-Feier des VdK Deutschland in Berlin ziemlich beeindruckt von unseren Plänen.

BSZ: Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie?
Pausder: Im Jahr 2004 hatten wir bei unserer Renten-Demo rund 27.000 Teilnehmer. Für die kommende Demonstration am 28. März 2020 haben sich unsere Kreisverbände schon mit rund 300 Bussen angemeldet, die Teilnehmer aus ganz Bayern nach München bringen werden. Das heißt, wir werden allein dadurch schon über 15.000 Teilnehmer haben. Hinzu kommen noch Demonstranten aus dem ganzen Bundesgebiet sowie die Münchnerinnen und Münchner und die Bewohner der Landkreise im S-Bahn Bereich.
BSZ: Gibt es noch andere Organisationen, die mitmachen wollen?
Pausder: Ja, so wird uns beispielsweise die für mehr bezahlbaren Wohnraum kämpfende Münchner Bürgerinitiative „#Ausspekuliert“ unterstützen. Darüber hinaus gibt es das Bündnis „Soziales Netz Bayern“, in dem die großen Wohlfahrtsverbände, der DGB und der VdK zusammenarbeiten. Vielleicht bekommen wir darüber noch weitere Unterstützung.
Viele Pfandflaschensammler
BSZ: Großdemonstrationen für soziale Gerechtigkeit sind in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich eher selten. Wächst jetzt hierzulande langsam das Bewusstsein dafür, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt immer mehr erodiert?
Pausder: Man muss sich ja nur die vielen Pfandflaschensammler ansehen. Ich fahre sehr viel mit dem Zug. Egal an welchem Bahnhof in Deutschland ich bin, gehören diese meist älteren Frauen und Männer leider inzwischen zum Alltagsbild. Das zeigt, dass die Rente zum Leben nicht mehr reicht.
BSZ: Wenn Sie die soziale Gerechtigkeit beurteilen sollten, wo würden Sie Bayern und Deutschland auf einer Skala von eins bis zehn einordnen – zehn wäre der beste Wert?
Pausder: Deutschland bei fünf und Bayern bei sechs. Das bedeutet, wenn man es anders ausdrückt, dass es der Hälfte hierzulande nicht so optimal geht. Das ist eindeutig zu viel.
BSZ: In Österreich ist das nicht so.
Pausder: Die Alpenrepublik sollte unser Vorbild bei der Alterssicherung sein. Dort beträgt die monatliche Durchschnittsrente 1400 Euro, bei uns nur 900 Euro.
BSZ: Warum das?
Pausder: Weil es dort im Jahr 2005 zum Beispiel gelungen ist, alle unter 50-jährigen Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung zu integrieren.
Erwerbstätigenversicherung ist nötig
BSZ: Also müsste man das deutsche Rentensystem umbauen.
Pausder: Ja, wir brauchen eine Erwerbstätigenversicherung, in die neben den Beamten auch die Abgeordneten sowie alle Selbstständigen wie Ärzte, Apotheker, Notare oder Rechtsanwälte einbezahlen. Aber das ist nicht alles.
BSZ: Was müsste die Politik noch angehen?
Pausder: Wie in Österreich auch, müsste der Arbeitgeberanteil zur Rente höher sein.
BSZ: Dann laufen alle Arbeitgeberverbände Sturm.
Pausder: Sicher, aber man muss sich auch einmal die Aussage von Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, zur ungleichen Vermögensverteilung vor Augen führen.
BSZ: Was sagt er?
Pausder: Fratzscher hält es für höchst beunruhigend, dass 40 Prozent der Deutschen so gut wie kein Vermögen haben.
Sozialen Zusammenhalt thematisieren
BSZ: Das ist kaum bekannt.
Pausder: Darum sollte zum Beispiel auch die bayerische Staatsregierung in der Öffentlichkeit mehr darüber sprechen. Der Ministerpräsident sollte stärker den großen Stellenwert des sozialen Zusammenhalts thematisieren.
BSZ: Warum?
Pausder: Weil der soziale Frieden Voraussetzung für den inneren Frieden ist. Kriminologen sprechen solche Zusammenhänge an. Auf deren Kongressen wird immer wieder betont, dass armutsvermeidende, sozial gerechte Politik die Kriminalität reduziert.
BSZ: Und wie sieht es in diesem Zusammenhang mit der Radikalisierung der Bevölkerung aus?
Pausder: Angesichts der Perspektivlosigkeit für viele Menschen braucht man sich nicht zu wundern, wenn Parteien an den Rändern des Spektrums leider immer mehr Zulauf bekommen.
Sozialen Frieden sichern
BSZ: Also sollten die etablierten Parteien ein vitales Eigeninteresse daran haben, den sozialen Zusammenhalt zu stärken.
Pausder: Sicher, und dazu gehört es, die Stärkung des sozialen Friedens ganz nach oben auf die Tagesordnung zu setzen. Es ist ein Skandal, dass Deutschland das Land mit dem größten Niedriglohnsektor in Europa ist. Denn Voraussetzung für auskömmliche Renten sind auskömmliche Löhne. Auch deswegen demonstrieren wir auf über drei Kilometern Länge.
BSZ: Warum über drei Kilometer?
Pausder: Weil unsere Großdemo an der Theresienwiese starten wird und die Teilnehmer sich dann auf den Weg zur Abschlusskundgebung am Odeonsplatz machen werden. Demoparolen haben unsere Mitglieder auch schon kreiert.
BSZ: Welche?
Pausder: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Rente klaut“. Oder: „Neun Euro Mindestlohn, das ist doch der blanke Hohn“. Oder: „Wer Rentner quält, wird nicht gewählt.“
BSZ: Angst vor Altersarmut – Spüren Sie das am Zulauf zum VdK?
Pausder: Klar, wir haben jetzt über 710.000 Mitglieder allein in Bayern. Als ich 2013 Landesgeschäftsführer wurde, waren es 612.000 Mitglieder. Bundesweit sind es jetzt über zwei Millionen.
BSZ: Aber die meisten kommen doch nur wegen der Rechtsberatung?
Pausder: Die hat in der Tat einen ausgezeichneten Ruf und bekommt regelmäßig beste Bewertungen in den Magazinen der Stiftung Warentest. Aber unsere internen Statistiken zeigen, dass es nicht allein die Rechtsberatung ist. 30 Prozent der Neuzugänge nehmen in den ersten zwei Jahren ihrer VdK-Mitgliedschaft keine Rechtsberatung in Anspruch. Sie kommen offensichtlich auch, um uns zu unterstützen bei unserem politischen Engagement für soziale Gerechtigkeit. Wir sind die größte Bürgerbewegung für die kleinen Leute in Bayern und in ganz Deutschland.
BSZ: Wie viel kostet die VdK-Mitgliedschaft?
Pausder: In Bayern sechs Euro im Monat.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
Sozialverband sagt Demo wegen Coronavirus ab
Der Sozialverband VdK hat eine geplante Großdemonstration am 28. März in München wegen des Coronavirus abgesagt. Die Kundgebung sollte unter dem Motto "Soziales Klima retten!" stattfinden. VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte am Montag, den 2. März, in Berlin: "An erster Stelle steht die Sicherheit aller Teilnehmer, daher haben wir uns schweren Herzens zu dieser Absage entschlossen." Unter den Demonstrationsteilnehmern hätten viele Ältere sowie Menschen mit chronischen Erkrankungen sein sollen. Aus ganz Bayern und aus vielen Teilen Deutschlands hatten sich laut dem Verband Tausende VdK-Mitglieder bereits angemeldet. Zu einem späteren Zeitpunkt solle die Kundgebung nachgeholt werden. (dpa)
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