Wirtschaft

Nicht nur im Bereich Biophysik ist die FAU eine ausgezeichnete Forschungs- und Lehranstalt. (Foto: FAU / David Hartfiel)

20.10.2017

Wie legt man eine Milliarde am besten an?

Die Seehofer-Söder-Initiative für eine neue Nürnberger Universität entzweit die Wissenschaftsexperten –während der Sanierungsstau bei den anderen bayerischen Hochschulen bleibt

Der Beschluss des Ministerrats, in Nürnberg eine eigene Universität zu gründen, findet nicht nur Beifall. Insider, die Jahrzehnte lange Erfahrungen im Universitätswesen mitbringen, wie etwa der frühere Kanzler der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg, Thomas A. H. Schöck, kritisieren die geplante Milliarden-Investition in der Noris. „Eine Uni mit 6000 Studenten wird wohl kaum in einer Liga mit europa- oder gar weltweit beachteten Spitzen-Unis spielen können. Man muss sich schon fragen, ob das Geld nicht an anderer Stelle besser investiert wäre.“ Der von 1988 bis 2014 amtierende Verwaltungschef macht eine nachvollziehbare Rechnung auf: Mit einer Milliarde Euro, was dem von der Staatlichen Bauverwaltung ermittelten Sanierungsbedarf der FAU entspricht, könne man die bestehende Universität an ihren Standorten in Erlangen und Nürnberg zum Nutzen der gesamten Region räumlich und ausstattungstechnisch auf Weltstandard bringen.

Viele Kritiker


Es gibt nicht wenige Kritiker, die sich hinter dem früheren Sprecher aller Kanzler der deutschen Universitäten formieren. Die FAU und die Technische Hochschule Nürnberg ergänzen sich geradezu ideal in vielen Forschungsfeldern und leben eine gesunde Konkurrenzsituation aus. Wo bleibt da die Chance für eine neue, dritte Hochschule, ihren Platz, ihre Reputation in der Hochschullandschaft zu finden? Zumal der Freistaat die in Aussicht gestellte Milliarde Euro nicht beliebig vervielfältigen kann. Eine neue Nürnberger Uni müsste, darauf weisen Experten hin, erst grundständige Fächer wie Physik, Chemie und Mathematik aufbauen, was allein schon die Hälfte der Investitionen verschlingen würde – und was an den beiden anderen Einrichtungen in Erlangen und Nürnberg bereits vorhanden ist. Überflüssige, eminent teure Doppelstrukturen würde es auch bei den Verwaltungen geben – gerade einmal 30 Kilometer vom FAU-Sitz entfernt. Für Lothar Hoja, der seit 1988 als Hochschulredakteur der „Nürnberger Nachrichten“ die FAU fast 30 Jahre lang begleitet hat und diese von innen und außen bestens kennt, ist das Pro der Staatsregierung für eine neue Universität eine „totale Fehlentscheidung, vollkommen sinnlos“. Sein Fazit ist ein dringender Appell an alle Abgeordneten des Landtags: „Spätestens wenn es zur Abstimmung über das geplante neue Uni-Gesetz kommt, dann stoppt diesen Unsinn!“

Nach wie vor gelten – darauf hat auch der Präsident der TH Nürnberg, Professor Michael Braun, hingewiesen – die beiden Kabinettsbeschlüsse vom 2. und 16. Mai 2017. Darin ist jeweils von einer „neuen Hochschuleinrichtung“ – also ausdrücklich nicht von einer „Universität Nürnberg“ – die Rede, deren Konzept „in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Hochschuleinrichtungen, den betroffenen Kommunen sowie der in der Region ansässigen Wirtschaft, mit FAU, TH, Stadt Nürnberg und Siemens“ entwickelt werden soll. Da fragen sich dann manche, wie damit die Besetzung der Expertenkommission zu vereinbaren ist, die ausgerechnet der Münchner TU-Präsident Professor Wolfgang Herrmann führen soll, der bisher stets eifersüchtig darauf geachtet hat, die weltweit besten Wissenschaftler in den aktuellsten Fächern zu sich nach München zu lotsen. Er spricht schon jetzt in Superlativen: „In Nürnberg soll eine hervorragende und international sichtbare Einrichtung entstehen.“ Die Einschränkung folgt bereits im nächsten Satz: „Wie wir sie mit anderen Standorten vernetzen, das kommt später.“ In dem Expertengremium fehlt übrigens jeglicher regionaler Bezug – entspricht also nicht dem, was der Ministerrat beschlossen hat.

Einzige Großstadt ohne Uni


In einer Podiumsdiskussion der „Nürnberger Nachrichten“ in Erlangen kam auch das Söder-Wort von der „historischen Ungerechtigkeit“ zur Sprache: Nürnberg ist die einzige unter allen deutschen Großstädten über 500.000 Einwohner ohne eigenständige Universität. NN-Chefredakteur Michael Husarek hat das mit einem „gefühlten Minderwertigkeitskomplex, den Nürnberg mit sich herumschleppt“, erklärt. Als der Erlanger Joachim Herrmann, der sich zur Nürnberger Uni bekannte, jetzt seinen Chef Horst Seehofer feierte, der mit dem Beschluss einen gordischen Knoten durchschlagen habe, ließ es sich Husarek nicht nehmen, den Innenminister zu provozieren: „Da hat’s der Söder dem Herrmann aber gezeigt.“ Und auch von seinem Nebensitzer auf dem Podium, dem Erlanger Oberbürgermeister Florian Janik (SPD), erhielt der Innenminister ebenfalls Pfeffer. Ihm sei die Latte „sehr, sehr hochgelegt“ – was die Befürchtung in sich berge, alles könne zu einer „politischen Showveranstaltung“ verkommen. Schließlich bestehe die Gefahr, dass die Ausgaben für Nürnberg zu Lasten aller anderen bayerischen Universitäten gingen.

FAU-Präsident Joachim Hornegger hat sich bisher aus all dem Gezerre herausgehalten. Er beschränkt sich darauf, für seine eigene Einrichtung zu sprechen und verweist auf das Reuters-Ranking der innovativsten Universitäten auf der Welt. Und da nimmt die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg den herausragenden 6. Platz in Europa ein – noch vor international höchst prominenten Adressen wie der LMU München, der Freien Universität Berlin und Bildungszentren wie jene in Paris, Zürich und Oxford. Auch er wird wohl nicht verstehen, dass ihm vom Forschungskuchen des Freistaats – der zum Erhalt dieses wissenschaftlichen Spitzenplatzes dienen könnte – ein gutes Stück abgebissen wird. Viel Geld für Nürnberg – was der einstige bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel ebenfalls nicht nachvollziehen kann. „Wir brauchen keine zweite Hauptstadt in Bayern“, resümierte er in einem Interview. Und auf Söder angesprochen, meinte er: „Die Tatsache, dass einer in seiner Heimatstadt praktisch alles ansiedelt, worüber er zu entscheiden hat, macht es zu seiner Sache.“ > (Udo B. Greiner)

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