Wirtschaft

Hilfe zur Selbsthilfe: Die Sicherstellung der Ernährung ist eine der wichtigsten Aufgaben von Entwicklungshilfe. Landwirt Berikmasi Mugabo aus Ruanda hilft es angesichts der zunehmenden Trockenheit in seinem Land, dass er beim Bau eines Wasserspeichers bezuschusst wurde. (Foto: dpa/Jesko Johannsen)

06.10.2022

"Wir müssen Chinas Engagement was entgegensetzen"

Bärbel Kofler (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit, über steigende Flüchtlingszahlen, Geburtenkontrollen und Gelder für autoritäre Regierungen

Bärbel Kofler, seit 18 Jahren Bundestagsabgeordnete aus Traunstein, erklärt, warum eine Reduzierung der Ausgaben für Entwicklungshilfe – trotz der aktuell hohen eigenen finanziellen Belastungen der deutschen Bevölkerung – langfristig falsch wäre. Änderungsbedarf in der Arbeit ihres Ministeriums sieht sie trotzdem.
 

Bayerische Staatszeitung Frau Kofler, Millionen Menschen in Deutschland leiden unter der Inflation, überall soll gespart werden: Müsste man da nicht auch die Ausgaben bei der Entwicklungszusammenarbeit reduzieren?
Bärbel Kofler Ja, wir müssen im Inland die Bevölkerung und kleine Firmen unterstützen. Das kostet Geld. Bei dem Entlastungspaket von 65 Milliarden Euro ist auch eine Milliarde Euro für Ernährungssicherheit dabei. Das zeigt, dass innen-, außen- und entwicklungspolitische Herausforderungen zusammenhängen. Ich glaube, es ist schwierig, im internationalen Bereich zu sparen. Das wäre das falsche Signal. Denn die Krisen und Probleme in der Einen Welt kommen dann zeitverzögert irgendwann auch wieder bei uns an. Nahrungsmittelkrisen in anderen Staaten fördern deren Destabilisierung und es führt zu neuen Konflikten, auch militärischen. Deshalb müssen wir die Anstrengungen sogar noch verstärken, um Menschen aus tiefster Not zu holen – denn dort geht es oft ums nackte Überleben. Wenn wir Frieden in der Welt wollen, dann dürfen wir auf internationaler Ebene nicht nachlassen.
 

BSZ Ein häufig genanntes Ziel von Entwicklungszusammenarbeit heißt es immer, sei den Verbleib der Menschen in ihren Ländern zu ermöglichen – trotzdem steigen die Flüchtlingszahlen seit Jahren: Was läuft da falsch?
Kofler Ich glaube, hier besteht ein Missverständnis darüber, was Entwicklungspolitik ist. Entwicklungszusammenarbeit – ich spreche bewusst von wirtschaftlicher Zusammenarbeit, so lautet ja auch der offizielle Name unseres Ministeriums – soll dazu beitragen, dass es positive wirtschaftliche und soziale Entwicklung gibt. Wenn es wirtschaftlich aufwärts geht, steigen auch die Lebensperspektiven vor Ort für die Menschen. Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch noch andere Faktoren: Lieferketten zum Beispiel. Ist das, was wir in anderen Ländern produzieren, so gut bezahlt, dass die Menschen dort einen existenzsichernden Lohn bekommen? Auf welche Weise beziehen wir Rohstoffe aus anderen Ländern? Gibt es Kinderarbeit? Werden menschenrechtliche und ökologische Standards in der Wirtschaft gewahrt?


 

BSZ Aber mit genau diesen Fragen beschäftigen sich doch entsprechende Institutionen in westlichen Ländern schon lange?
Kofler Das kann nicht alles die Entwicklungszusammenarbeit alleine regeln. Es geht auch um internationale Handelsfragen. Und auch die Klimaveränderungen haben dramatische Folgen. In vielen Ländern, in denen man vor zehn Jahren noch Lebensmittel anbauen konnte, ist das inzwischen nicht mehr möglich. Das alles trägt dazu bei, dass die Fragilität von Staaten wächst. Die meisten Menschen sind übrigens vor Kriegen auf der Flucht, nicht aus wirtschaftlicher Not. Das kann man nicht mit kurzfristigen Projekten beheben – sondern mit der Einstellung und dem gemeinsamen Engagement, langfristig bei der Lösung der genannten Probleme weltweit zusammenzuarbeiten.
 

BSZ Vor 60 Jahren war auch China ein Entwicklungsland. Ein ganz wichtiger Schritt zur wirtschaftlichen Entwicklung war dort die Geburtenkontrolle. In vielen Ländern Afrikas ist das Fehlen dieser Maßnahme eine der Hauptursachen für die Not. Muss man die Regierungen dort nicht zur Begrenzung des Bevölkerungswachstums auffordern?
Kofler Es ist ganz wichtig, gemeinsam mit den Partnerländern Ideen zu entwickeln. Ich möchte daran erinnern, dass auch in Deutschland Familien früher größer waren. Die Kinder hatten auch die Aufgabe, die ältere Generation zu unterstützen. Das spielt heute in vielen Ländern noch eine sehr große Rolle. Deshalb müssen wir soziale Sicherungssysteme entwickeln, die den Familien helfen. Viele Menschen – auch in Ländern mit aktuell noch hohen Geburtenraten, wollen weniger Kinder und mehr Sicherheit im Alter. Man muss mit Frauen und Männern über Familienplanung reden, für Mädchen den Zugang zu Bildung verbessern. Auch das gehört zu feministischer Entwicklungspolitik. Viele Länder im Süden haben gute eigene Projekte. Sie haben erkannt, dass ein „Weiter so“ nicht gut für Land und Leute ist. Auf Sansibar beispielsweise hat man – auf niedrigem Niveau – eine Art Rente eingeführt. Wenn solche Maßnahmen ausgebaut werden, dann wird das zu positiven Veränderungen für die jetzige und zukünftige Generation führen.


BSZ Gleich nochmals zu China: Das Land macht gerade in Afrika dem Westen Konkurrenz – auch weil es manche autoritäre Regierung nicht mit Themen wie Demokratie und Menschenrechte behelligt: Lässt sich das stoppen?
Kofler China ist nach der EU der zweitgrößte Handelspartner afrikanischer Staaten und tätigt dort sehr viele technologische und infrastrukturelle Investitionen, beispielsweise Straßen-, Schienen- und Brückenbau. Das wird aber auch von vielen afrikanischen Regierungen sehr ambivalent gesehen. Einerseits gehen diese Investitionen, gerade bei der Infrastruktur, sehr schnell; das wird von vielen Ländern positiv bewertet.


BSZ Kann der Westen da nicht nachziehen?
Kofler Auch wir europäischen Länder wollen uns künftig stärker als Partner für eine starke Entwicklungszusammenarbeit und für faire Handelsbeziehungen engagieren. Andererseits wird durch Pekings Vorgehen aber eine große Abhängigkeit der Länder von China geschaffen, beispielsweise mit der Verpflichtung, Rohstoffe ausschließlich an China zu liefern. Außerdem ist für die einheimische Bevölkerung keine Ausbildungskomponente dabei, das gesamte Projekt wird von chinesischem Personal durchgeführt. Es werden keine Arbeitsplätze für die Menschen vor Ort geschaffen. Obendrein nimmt China Einfluss auf diese Länder, um bei Abstimmungen der Vereinten Nationen mit China zu stimmen. So wird versucht, antidemokratische und autoritäre Strukturen auch auf Ebene der Weltgemeinschaft zu untermauern. China hat angekündigt, sich in der Entwicklungszusammenarbeit stärker zu engagieren.


BSZ Inwieweit profitiert China selbst schon aktuell davon?
Kofler China ist mittlerweile ein großer Gläubiger vieler afrikanischer Länder. Wie genau sich diese Schulden darstellen, ist aber sehr intransparent. Dies führt dazu, dass ein Schuldenerlass für hochverschuldete arme Länder immer schwieriger wird. Damit wird es vielen afrikanischen Ländern erschwert, dringend benötigte Kredite zu erhalten. Da müssen wir etwas dagegensetzen.
 

BSZ Ließe sich dem nicht dadurch entgegenwirken, dass in der Entwicklungszusammenarbeit weniger auf nationale Regierungen sondern auf kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure gesetzt wird?
Kofler Ich bin seit 18 Jahren im Bundestag und beschäftige mich seither auch mit Fragen der Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben schon immer auf verschiedene Akteure gesetzt, unter anderem auf das starke Engagement der Zivilgesellschaft. Die frühere Ressortchefin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) hat zum Beispiel die Zusammenarbeit mit regionalen Wirtschaftsinitiativen eingeführt. Es ist aber auch Aufgabe einer Regierung, in den direkten Austausch mit der Regierung eines anderen Landes zu treten, diplomatisch wie finanziell.
 

BSZ Was falsche Entscheidungen der jeweiligen Exekutive vor Ort aber nicht verhindert: Es gibt nun mal korrupte Regime.
Kofler Wichtig ist dabei auch, wie Umsetzung und Projektfortschritte kontrolliert werden. Das Partnerland muss natürlich auch eigene Haushaltsmittel für die Basisversorgung und Infrastruktur bereitstellen. Wichtig ist, dass die Länder ihre Einnahmen verbessern, etwa durch den Aufbau eines effizienten Steuersystems. Oder nehmen sie die soziale Absicherung alter, kranker und behinderter Menschen: Das geht nicht allein über die Zusammenarbeit mit lokalen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, dafür braucht es die Beteiligung der staatlichen Ebene. Das alles geht aber nicht mit jedem Land und auch nicht in jedem Kontext. In manchen Ländern kann man tatsächlich nur mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, weil die Regierungsführung sehr schlecht ist.

(Interview: André Paul)

 

Bildunterschrift zum Foto im Text:
Vor ihrem jetzigen Amt war die 55-jährige Bärbel Kofler Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. (Foto: dpa/Daniel Karmann)

 

 

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