Einen unbequemen Referenten haben sich Bayerns Landräte zu ihrer Landkreisversammlung 2016 unter dem Motto „Landkreise und Wirtschaft“ im unterfränkischen Bad Kissingen geladen. Der Zukunftsforscher Franz Josef Radermacher von der Universität Ulm zeigte auf, wie angesichts eines prognostizierten Bevölkerungswachsums auf rund zwölf Milliarden im Jahr 2100 Europa mit seiner schrumpfenden Bevölkerung (rund 500 Millionen EU-Einwohner) noch eine Rolle spielen kann.
„Es ist ja schön, dass Bayern so gut dasteht und dass es Deutschland insgesamt so gut geht. Aber wo bleiben die anderen?“, fragte der Professor provozierend. Analog zum deutschen Länderfinanzausgleich wird man seiner Ansicht nach in Europa nicht um einen Staatenfinanzausgleich herumkommen. Ansonsten riskiere man ein Auseinanderfallen der EU und damit ein Abrutschen des Alten Kontinents in die Bedeutungslosigkeit.
Überwunden: neoliberale Wirtschaftsdoktrin
Die neoliberale Wirtschaftsdoktrin vom Beginn des 21. Jahrhunderts mit dem Slogan „Der Finanzmarkt weiß, wo wir hinmüssen“ ist laut Radermacher glücklicherweise überwunden. „Alle haben gelernt, dass das Gehirn Finanzmarkt von Gier und Panik getrieben ist. Es ist ein Instrument der Plünderung der Allgemeinheit durch Akteure an bestimmten Schlüsselstellen. Dem ist nur mit Regulierung beizukommen“, so der Professor.
Darum sei es zu begrüßen, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) das Programm der weiteren Marktliberalisierung begraben habe. „Das neue Programm des IWF setzt auf green and inclusive, also auf Umwelt und so etwas, was wir soziale Marktwirtschaft nennen“, so Radermacher. Das größte Problem mit diesem neuen Programm sei aber, dass „wir immer noch unter den alten Regeln operieren, obwohl jetzt green and inclusive angesagt ist“. Gerade das mit den USA geplante Freihandelsabkommen TTIP sei mit „green and inclusive“ nicht zu vereinbaren.
Auch könne nicht länger damit weitergemacht werden, dass sich der reichere Teil der Welt die Ressourcen aus dem ärmeren Teil der Welt holt. Der Club of Rome habe eine Explosion der Weltbevölkerung vorhergesagt. Waren 1965 nur drei Milliarden Menschen auf der Erde, sind es heute 7,5 Milliarden. Im Jahr 2050 sollen es zehn Milliarden Menschen sein und im Jahr 2100 gar zwölf Milliarden. „Der größte Zuwachs findet in Afrika statt. Dort leben heute eine Milliarde Menschen, die auf vier Milliarden anwachsen werden“, so Radermacher. Doch der sich verschärfende Klimawandel werde dafür sorgen, dass es dort, wo es heute schon richtig heiß ist, noch heißer wird. Wassermangel und Bodenprobleme seien die Folgen. „Da baut sich eine Bombe auf“, mahnte der Ulmer Professor. Diese Menschen würden zwangsläufig in die Teile der Welt drängen, in denen es sich besser leben lässt, also nach Europa. „Doch Europa ist ja schon in Panik und droht auseinanderzufallen, wenn eine Million Flüchtlinge kommen. Was passiert, wenn eine Milliarde Afrikaner zu uns kommen?“, fragte Radermacher rhetorisch.
Schwachsinnige Gebäudedämmung
Damit die immer komplexeren Probleme der Welt gelöst werden können, müssen laut Radermacher zwei Dinge passieren: „Wir müssen ein neues Energiesystem für die Welt erfinden, das preiswert, umweltfreundlich sowie klimaneutral ist und uns im Energiereichtum leben lässt. Und wir müssen massiv aufforsten.“ Knappheitsverwaltung statt Wachstum sei ebenso absurd wie das Häuserverpacken in Deutschland. Die sieben Millionen Wohnungen der öffentlichen Wohnungsunternehmen in Deutschland mit Wärmedämmung zu isolieren, brächte den lächerlichen Gegenwert von 14 Millionen Tonnen CO2-Einsparung pro Jahr. „Allein BASF pustet pro Jahr 20 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre und jedes neue chinesische Kohlekraftwerk pustet ebenfalls 20 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in die Luft“, so Radermacher. Angesichts dieser Fakten sei das „deutsche Kreuzrittertum“ mit der Gebäudedämmung „der größte Schwachsinn“, den er je gesehen hat.
„Wir müssen massiv Aufforsten. Denn über Bäume lässt sich CO2 aus der Atmosphäre holen. Und wir brauchen einen Marshall-Plan für Nordafrika“, bringt es Radermacher auf den Punkt. In der Sahara sei niemand. Dort könne man Solarfelder ohne Ende installieren und niemand würde dagegen protestieren. Mit dem gewonnenen Sonnenstrom ließe sich Meerwasser entsalzen und mit diesem Wasser könne nicht nur die Bevölkerung versorgt werden, sondern auch die Bewässerung für die Aufforstung sichergestellt werden. „Nordafrika war einmal die Kornkammer des Römischen Reiches“, so der Professor. Diese Maßnahmen würden auch Arbeit für die Bevölkerung generieren. Ein entscheidender Faktor, damit die jungen Menschen auch in ihrer Heimat blieben.
Allerdings sei dies nur zu realisieren, wenn diejenigen Staaten, die jetzt vom Verkauf fossiler Energieträger wie Erdgas und Erdöl leben, auf irgendeine Weise entschädigt werden. „Denn hätten wir diese Bodenschätze, würden wir auch nicht einfach einer De-Karbonisierung zustimmen“, so Radermacher. Alle müssten mitgenommen werden. Das seien auch die vor Kurzem von der Weltgemeinschaft in New York einvernehmlich verabschiedeten SDGs, die sogenannten Sustainable Development Goals (Nachhaltige Entwicklungsziele).
(Ralph Schweinfurth)
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