Die von Bayerns früherem Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU) initiierte Innovationsagentur feiert 2025 ihr 30-jähriges Bestehen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 hat sich die Innovationsplattform des Freistaats zum zentralen Knotenpunkt, Netzwerk und Thinktank für Unternehmen, Forschungseinrichtungen und politische Akteure entwickelt.
BSZ: Herr Seßner, was ist das Besondere an Bayern Innovativ?
Rainer Seßner: Das Besondere ist die Kombination aus thematischer Breite, technologischer Tiefe und branchenübergreifender Vernetzung, mit der wir Innovationen vorantreiben. Und das immer mit dem Ziel, den Wirtschaftsstandort Bayern zu stärken. Denn aus Industriesicht – egal ob Automobilbranche, Medizintechnik oder Maschinenbau – stößt man bei Innovationen auf immer die gleichen Hemmnisse. Diese Hürden machen wir durch Impulse, Wissenstransfer und Vernetzung kleiner.
BSZ: Welche Hindernisse sind das?
Seßner: Zum einen die Frage, wie man in einem sich wandelnden Markt in der jeweiligen Branche erfolgreich bleibt. Zum anderen, was neue Technologien konkret für das Unternehmen bedeuten. Wir liefern Antworten, ordnen Entwicklungen ein und begleiten die Unternehmen bei der Umsetzung. Wir schauen mit einem objektiven Blick auf die Dinge, aber eben auch mit einem tiefen Branchenverständnis.
BSZ: Immer?
Seßner: Natürlich setzen wir uns auch mal kurzfristig mit Themen auseinander, die sich im Nachhinein nicht in der zunächst erwarteten Art und Weise entwickeln. Aber auch diese Erkenntnisse sind wertvoll. Ich kann mit Überzeugung sagen, dass Bayern Innovativ immer die richtigen Entwicklungen aufgreift. Nehmen wir zum Beispiel den Automobilsektor. Wir haben schon vor zehn Jahren den Wandel der Antriebstechnik, die Digitalisierung und autonomes Fahren als zentrale Zukunftsthemen identifiziert. Heute sind sie Realität. Gerade für Mittelständler, die ja oftmals sogenannte Hidden Champions sind, sind solche Impulse entscheidend, um Chancen rechtzeitig zu erkennen.
BSZ: Haben Sie ein Beispiel?
Seßner: Sicher. Nehmen wir mal die va-Q-tec Thermal Solutions GmbH aus Würzburg. Das Unternehmen ging als Start-up aus dem Zentrum für angewandte Energietechnik hervor. Es entwickelte eine Vakuumisolierpaneele als Gebäudedämmung speziell für die energetische Sanierung von Bestandsbauten. Dann hat das Unternehmen sich mit uns Gedanken gemacht, wo man diese Technologie noch einsetzen kann. Das mündete in hocheffizienten Transportboxen für Medizin- und Pharmaunternehmen.
BSZ: Also für die Transplantationsmedizin?
Seßner: Nicht nur. Das Unternehmen war in der Pandemie als einziges in der Lage, das Vakzin auf dem Transport mehrere Wochen temperaturstabil zu halten. Dadurch hat sich bei va-Q-tech eine enorme Logistikkompetenz entwickelt. Von dieser profitiert das Unternehmen immer noch. Dieses Beispiel zeigt, wo neue Dinge entstehen.
BSZ: Wo?
Seßner: An Schnittstellen. Und genau dort setzt Bayern Innovativ an, das ist unser Markenkern. Wir zeigen Unternehmen diese Schnittstellen auf, öffnen ihnen Türen in andere Branchen und bringen Know-how zusammen. Hierbei helfen unser enormes Netzwerk und unsere Services. Damit sind wir einzigartig in Bayern, Deutschland und Europa.
BSZ: Wer hat denn das erfolgreiche Konzept von Bayern Innovativ schon kopiert?
Seßner: Es gibt Versuche. Beispielsweise in NRW, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Die Organisationen dort reichen aber in puncto Breite, Tiefe und Wirkung nicht an Bayern Innovativ heran. Das liegt auch an dem Standortvorteil, dass Bayern über die nötigen Mittel verfügt und bereit ist, strategisch und langfristig in die Zukunft zu investieren.
BSZ: Wenn Sie mit Ihrem Team dafür sorgen, dass neue Geschäftsmodelle entwickelt werden, fragt man sich immer, weshalb Ideen aus Bayern und Deutschland immer nur in den USA monetär zum Erfolg werden.
Seßner: Das Problem, das Sie ansprechen, sind die späten Finanzierungsrunden von Start-ups. Und da hat in der Tat nicht nur Deutschland ein Problem, sondern ganz Europa. Private Equity, also privates Kapital, wäre auch in Europa genügend vorhanden.
BSZ: Aber?
Seßner: Es gibt rechtliche Restriktionen.
BSZ: Welche?
Seßner: Zum Beispiel dürfen Kapitalvolumina aus Renten- und Pensionsfonds nicht als Wagniskapital eingesetzt werden. Das ist in Ländern wie den USA und China anders.
BSZ: Aber das dürfte nicht das einzige Problem sein. Gerade in Deutschland gibt es im Gegensatz zu den USA keine Fehlerkultur.
Seßner: Richtig. Das betrifft auch wieder ganz Europa. Dabei lernt man aus Fehlern. Wer hier einmal scheitert, dem traut man nichts mehr zu. Dabei ist es doch oftmals wie in dem englischen Spruch „it’s not a bug, it’s a feature“. Auf deutsch: Es ist kein Fehler, sondern eine Funktion. Das bedeutet, dass dem Scheitern ein Lernprozess innewohnt, der zu neuen Erkenntnissen und damit Möglichkeiten und Lösungen führt, aus denen wiederum Geschäftsmöglichkeiten entwickelt werden können. Wir müssen endlich Fehler als Teil des Innovationprozesses akzeptieren.
BSZ: Viele Menschen sagen, dass Deutschland das Rennen mit China in Sachen Technologie längst verloren hat. Wie sehen Sie das?
Seßner: Wir haben es nicht verloren. Immerhin sind wir die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt und verfügen über exzellente Forschung. Wir müssen uns nur weiterentwickeln. Aber wir haben auch ein starkes Innovationsökosystem. Dass der US-amerikanische Konzern Apple nach München gekommen ist, um dort sein neues Chipdesign zu entwickeln, spricht Bände. Wir müssen nur unsere Stärken konsequenter nutzen, das Innovationsökosystem weiterentwickeln und vor allem schneller werden.
BSZ: Was wünschen Sie sich zum 30. Geburtstag von Bayern Innovativ von der Politik?
Seßner: Dass man sich auch mal von Initiativen verabschiedet, die man nicht mehr braucht, anstatt neue zu schaffen und die alten weiterlaufen zu lassen. Man könnte ja auch dem vorhandenen Personal in den Initiativen neue Aufgaben zuweisen. Das Stichwort lautet Exnovation, also bewusst Altes loszulassen, um Platz für Neues zu schaffen. Exnovation fördert Effizienz, schafft Klarheit und hält uns agil.
BSZ: Und welche technologischen Zukunftsfelder sehen Sie?
Seßner: Quantentechnologie in Kombination mit künstlicher Intelligenz, Kernfusion und Robotik. Gerade im Medizin- und Pflegebereich wird man angesichts des Fachkräftemangels auf Roboter nicht verzichten können. Und die Verbindung von Quantentechnologie mit KI wird neue Dimensionen der Problemlösung eröffnen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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