Den technischen Fortschritt kann niemand aufhalten. Hat sich wohl auch Siemens gedacht und sich auf den Weg gemacht, das Erlanger Gerätewerk (GWE) in eine Digitale Musterfabrik umzuwandeln. Roboter, Mensch und Maschine schrauben hier schon heute Hand in Hand an der industriellen Zukunft, die einmal das neue Rückgrat der Volkswirtschaft werden könnte. „Wir wollen bei der Digitalen Revolution ganz vorne dabei sein und die Entwicklung mitgestalten“, bringt Werkleiter Stephan Schlauß die interne Marschrichtung auf den Punkt.
Derweil kurven in der Fabrikhalle zahlreiche Transportroboter wie stumme Diener über die Flure. Wie selbstverständlich greifen sich Roboter und Mitarbeiter im Gerätewerk unter die Arme. Die Liebe geht so weit, dass die Belegschaft bereits dazu übergegangen ist, den blechernen Kollegen menschliche Namen zu geben. Überall leuchten Monitore und bewegen sich Roboterarme wie von Geisterhand. Die Szenerie hat mehr mit einem OP-Saal als mit eingebrannten Vorstellungen von einer Fabrik gemein.
Höherwertige Jobs
Auch wenn hier alle wissen, dass immer mehr einfache Tätigkeiten von Robotern übernommen werden. Den Produktionsstandort wollen sie hier mithilfe der neuen Automatikkollegen gemeinsam erhalten. „Die Produktion der Zukunft wird sich verändern. Viele manuelle Tätigkeiten werden in der Zukunft automatisiert. Während einfache Tätigkeiten wegfallen, entstehen im Zeitalter der künstlichen Intelligenz parallel höherwertige Jobs“, erklärt Daniel Craiovan, Leiter Digitalisierung im Gerätewerk Erlangen, und verweist auf das „umfangreiche Qualifizierungsprogramm“ für die derzeit noch unersetzlichen Mitarbeiter. Die, die noch nicht ersetzt werden können, freuen sich darüber, dass ihnen die wachsende Zahl der Roboterkollegen die anstrengendsten und monotonsten Handgriffe abnehmen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Siemens-Mitarbeiter wohl gar nicht so viel von dem mit der Zeit gehenden Gartenbesitzer, der seinem Rasenroboter die lästige Mäharbeit überlässt.
Im Jahr 2002 hat Siemens damit begonnen, das Gerätewerk praktisch vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die Maxime lautete: Wertschöpfung steigern, Transportwege vermeiden. Dafür hat Siemens den „verschwendungsarmen Arbeitsplatz“ entwickelt und 2006 die erste Auszeichnung als „Fabrik des Jahres“ eingeheimst. In den Folgejahren von 2009 bis 2014 hat sich das Gerätewerk einer noch radikaleren Schlankheitskur unterzogen. Überflüssige Puffer und Laufwege sind noch konsequenter beseitigt worden. Damit sei die komplette Fertigung von fünf auf zwei Stufen reduziert worden.
Vorteil: Der Kunde kann schneller beliefert werden. Für diese nächste Diätstufe hat das Erlanger Gerätewerk im Jahr 2013 erneut den Preis als „Fabrik des Jahres“ abgeräumt. Nicht von ungefähr, findet Daniel Craiovan. Im Eiltempo sei das Werk noch effizienter und noch viel schneller geworden. Und wozu all diese Anstrengungen? Um zu zeigen, dass sich die Produktion von Elektronikbauteilen auch im Roboterzeitalter in Deutschland weiterhin rechnen kann. Mit dem wichtigen Nebeneffekt, dass die Zahl der Fehler drastisch gesunken sei. Das Werk produziert laut Craiovan jetzt bei sechs Fehlern pro einer Millionen Fehlermöglichkeiten. Das entspreche einer Qualitätsstufe von sagenhaften 99,999 Prozent. Damit befinde sich das Werk an der absoluten Weltspitze. Und dabei läuft hier nicht immer das gleiche Produkt vom Fließband.
Wie am Fließband
In Erlangen werden elektrische Antriebssysteme in allen Größen produziert. „Trotz der hohen Varianz unserer Produkte und den individuellen Kundenwünschen können wir fast wie am Fließband produzieren“, freut sich Daniel Craiovan und verweist auf die Leistung, komplexeste Fertigungsprozesse mithilfe von Leichtbaurobotern, künstlicher Intelligenz und pfiffigen Mitarbeitern weitestgehend automatisieren zu können. Das würde normalerweise nur bei einfachen Produkten funktionieren. Aber was ist schon noch „normal“ in der Digitalen Zukunftsfabrik.
Für Siemens ist die Reise in die Zukunft damit längst noch nicht beendet. Die Automatisierung soll auch die letzten Winkel des Werkes erobern, damit Siemens die Speerspitze der Digitalen Industrierevolution bleiben kann und die Arbeitsplätze in der Produktion langfristig in Erlangen erhalten bleiben können.
(Nikolas Pelke)
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