Wirtschaft

So ein ICE-Werk (weißes Gebäude links im Bild) wie hier in Hamburg soll auch in Nürnberg entstehen. (Foto: dpa/Christian Charisius)

21.01.2022

Wohin der Informationsfluss schlängelt

Im Raum Nürnberg soll ein neues ICE-Werk gebaut werden

Das geplante ICE-Werk Nürnberg ist weiter umstritten: Aus ursprünglich 70 möglichen Standorten hat die Bahn zwischenzeitlich drei Geländeflächen ausgewählt. Alle drei liegen im streng geschützten Bann- und Reichswald südlich der Frankenmetropole.

Ein Ministerpräsident hält es nicht für notwendig, die kommunal verantwortlichen Bürgermeister und Landräte zu informieren, sehr wohl aber eine Parteigruppierung. Im Zusammenhang mit dem umstrittenen ICE-Werk Nürnberg der Bahn ist offensichtlich genau das passiert.

Neben Medien berichtet auch eine Bürgerinitiative über ein von Regierungschef Markus Söder (CSU) übermitteltes „Schreiben an die CSU-Ortsgruppe in Feucht, dass der streng geschützte Reichswald bei Nürnberg als Standort für ein ICE Werk nicht geeignet ist“. Dabei ist dieser Teil des Reichswalds im Süden der Frankenmetropole einer jener drei möglichen Standorte, die sich die DB AG für besagtes ICE-Werk explizit auserkoren hat.

Offener Brief an Söder

Die anderen beiden Flächen genießen ebenfalls Schutz als Bannwald, tragen den Schutzstatus „Natura 2000“, sind Flora-Fauna-Habitat- (FFH-) und Vogelschutz-Gebiet nach EU-Richtlinien. Die Kritik an der Auswahl ist einem „Offenen Brief“ der Bürgerinitiative (BI) „Kein ICE Werk bei Harrlach“ an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vom Sonntag zu entnehmen.

Schon einmal, im vergangenen Herbst, hatte Söder einem anderen potenziellen ICE-Standort eine klare Absage erteilt: Keinesfalls käme das Gelände in den Nürnberger Ortsteilen Fischbach und Altenfurt infrage, hatte er damals öffentlich erklärt. Und als die Bahn zum Jahreswechsel bekannt gab, dass sie bald ins Raumordnungsverfahren gehen werde, standen prompt nur noch die drei Standorte Muna Feucht, Südlich Muna Feucht und Allersberg/Harrlach auf ihrer Liste, Fischbach-Altenfurt aber nicht mehr.

Dabei war noch ein Jahr zuvor Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) begeistert, „dass die Deutsche Bahn in den Standort Nürnberg investiert“. Aber dachte er wirklich an ein Gelände auf dem Gebiet der Stadt? Nun soll Söder die landeseigenen Bayerischen Staatsforsten „gebeten“ haben, ihren Bannwaldbesitz an der Fläche Südlich Muna Feucht nicht zu veräußern, sollte die Bahn diese zum ICE-Werk-Standort küren. Das wiederum bringt besagte Bürgerinitiative auf die Palme: „Es gibt noch zwei weitere, entsprechend dem von Ihnen angelegten Maßstab völlig ungeeignete Standorte mitten im Reichswald. Einer davon ist Allersberg/Pyrbaum/Roth-Harrlach. Die Sachlage ist völlig gleich gelagert wie bei den Standorten Muna Süd und Altenfurt/Fischbach. Wir bitten Sie sehr eindringlich, sich ebenfalls schützend vor den Standort Roth-Harrlach zu stellen“, steht im Brandbrief an den Landeschef. Reaktion: bislang wohl keine. Auf BSZ-Nachfrage antwortete die Staatskanzlei: „Zu internen Korrespondenzen geben wir grundsätzlich keine Auskunft.“

Landrat ist sauer

Roths Landrat Herbert Eckstein (SPD) ist ebenfalls ziemlich sauer. Denn auch er weiß bislang nur aus den Medien von Markus Söders Schreiben an den CSU-Ortsverband Feucht. „Die Kommunikation zwischen dem Ministerpräsidenten und den staatlichen Ebenen ist nicht nachvollziehbar“, erklärte Eckstein während einer Online-Kreistagssitzung am Mittwoch genau zu diesem Thema.

Virtuell zu Gast bei den Kreisräten waren zunächst Vertreter von Bürgerinitiativen der drei potenziellen ICE-Werk-Standorte. Danach standen Klaus Dieter Josel, der Konzernbevollmächtigte der Bahn für Bayern, und DB-Projektleiter Carsten Burmeister den Politikern Rede und Antwort.

Doch Bahn-Verantwortliche enttäuschten der Kreistag augenscheinlich über alle Parteigrenzen hinweg. Das wurde bei jeder Frage der gewählten Kreisrät*innen deutlich. Christine Rodarius, die SPD-Fraktionsvorsitzende, hatte sich von Josel „heute eine offenere Darlegung gewünscht“. Denn im Wesentlichen zitierten der Chef wie Projektleiter Burmeister nur aus früheren Präsentationen altbekannte Punkte. So gab es auf die Frage, wie hoch jedes jener 33 Auswahlkriterien gewertet werde, ob finanzielle mehr zählten als ökologische, nur ausweichende Antworten.

Keine Anordnung von oben

Irritiert waren die Kreisrät*innen offensichtlich auch, als Burmeister anmerkte, die Streckenauslastung vom Nürnberger Hauptbahnhof nach Fischbach sei daran schuld, dass dieser Standort nun nicht mehr zur Auswahl stehe. Hätte dieses „K.-o.-Kriterium“ nicht schon zu Beginn auffallen müssen? Und auch wenn ihn Bahnchef Josel unterstützte – „Es gab keine Anordnung von oben“ – zweifelte Helmut Bauz (Freie Wähler) genau dies an: „Das Problem war der Eingriff des Ministerpräsidenten.“

Grünen-Sprecher Felix Erbe stellte dann auch die rhetorische Frage: „Sind Sie eigentlich selbst über das Verfahren glücklich?“ Seiner Meinung nach schädige dieses Vorgehen das Vertrauen in künftig notwendige Ausbauprojekte der Bahn. Handwerkliche Fehler wiederum prangerte Landrat Eckstein an: „Wenn ich ein 100-Quadratmeter-Grundstück habe, bekomme ich halt keine Schule drauf.“ Deshalb hätten fast alle der anfangs 70 Standortvorschläge gar nicht gemacht werden dürfen, weil der Platzbedarf von 35 bis 45 Hektar unterschritten worden sei.

„900 Eingriffe in den Bannwald hat es in den letzten Jahren gegeben. Ein Eingriff wie für das ICE-Werk geht dem Reichswald an die Substanz“, lautete die Einschätzung des Bund-Naturschutz-Biologen Sebastian Haas. Der hatte sich im vergangenen Jahr mehrere Tage und Nächte auf dem Gelände des seit zig Jahren eingezäunten, ehemaligen Munitionslagers Muna Feucht aufgehalten; „ein Vogelschutzgebiet europäischer Bedeutung“, wie er heraushob. Betretungsverbot, keine Düngung, kein Mähen hätten dafür gesorgt. Wenn wegen des ICE-Werks gerodet würde, müsse ein Ausgleich laut Gesetz direkt anschließend an den Reichswald stattfinden – „das ist aber hier unmöglich“.

Transparente Standortauswahl gefordert

Doch egal ob Muna, Südlich Muna oder Harrlach: Für Bayerns Bahnchef Josel kommt nur eine dieser drei Reichswald-Flächen infrage. Außer man finde kurzfristig noch eine nutzbare: „Einen Plan B haben wir nicht in der Hinterhand.“ Vielleicht auch deshalb fordern Rother Kreistag und Bürgerinitiativen übereinstimmend: „Stellen Sie Ihr Verfahren auf Null und machen Sie die Standortauswahl transparent.“

Am gestrigen Donnerstag haben sich übrigens Staatsregierung, Bahn und andere Verantwortliche im Nürnberger Verkehrsmuseum hinter verschlossenen Türen getroffen. Ob sie einen Weg aus dem aktuellen Kuddelmuddel gefunden haben, stand bis Redaktionsschluss nicht fest.

Bahn-Mann Klaus Dieter Josel jedenfalls will das ICE-Werk Nürnberg. Und dabei scheint für ihn weder ein FFH-Gebiet ein Ausschlusskriterium, noch die Vorgabe des Ministerpräsidenten an die Staatsforsten, zu stören. „Auch ein Gerichtsverfahren ist möglich“, drohte er dem Freistaat mit einer möglichen Enteignung seiner Muna-Süd-Flächen.
(Heinz Wraneschitz)

 

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