Wirtschaft

Montenegro setzt auf Gäste: Ein Touristenboot läuft in den Hafen von Perast in der 30 Kilometer tiefen Bucht von Kotor ein, die als der größte Fjord Europas außerhalb von Norwegen gilt. (Foto: dpa/Wolfgang Thieme)

03.09.2020

Zwischen Corona und Korruption

Montenegro bietet für bayerische Firmen Potenzial, doch der Balkan-Staat hat massive Probleme

Montenegro gilt auch vielen bayerischen Unternehmen als interessanter Markt. Doch der Balkan-Staat kämpft mit massiven Problemen wie grassierender Kriminalität und Korruption. Nach dem Wahlsieg der Opposition gibt es nun Hoffnung auf einen Wandel.

Auf der Suche nach neuen Märkten geriet in den vergangenen Jahren der westliche Balkan auch für die bayerische Wirtschaft immer mehr in den Blick. Schon heute sind die Europäische Union und die Region, die bis heute nicht zur Brüsseler Staatengemeinschaft gehört, wirtschaftlich sehr eng verflochten: Rund zwei Drittel der Importe in den Westbalkan kam 2016 aus der EU – umgekehrt gingen sogar gut vier Fünftel der Exporte der Region in die EU. Längst sind auch bayerische Unternehmen wichtige Investoren in der Region.

Der "Westbalkan" umfasst laut Definition der EU Albanien sowie die jugoslawischen Nachfolgestaaten Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Allein nach Serbien gehen jährlich elektrische Ausrüstungen, Autos, Maschinen und chemische Erzeugnisse und Kunststoffe im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro. Auch der einstige Bruderstaat Montenegro scheint auf den ersten Blick ein attraktiver Markt. Das Wachstum lag in den vergangenen beiden Jahrzehnten zumeist über dem Deutschlands und der meisten EU-Staaten. Doch klar ist auch, dass das Land unter massiven Problemen wie der grassierenden Korruption leidet.

Unfairer Wahlkampf

Und auch über den Zustand des politischen Systems machten sich Experten zuletzt Sorgen. In den Wochen vor der Parlamentswahl in Montenegro am vergangenen Sonntag beklagte die Opposition, dass der Wahlkampf nicht fair verlaufen sei und sie keinen normalen Wahlkampf machen konnte. Eine Ursache waren die massiven Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Auf die Einwohnerzahl gerechnet verzeichnete Montenegro ab Mitte Juni weit mehr Neuinfektionen mit Corona als viele andere Länder. Zuletzt waren deshalb größere Versammlungen nur sehr eingeschränkt möglich oder sogar verboten, die Bewegungsfreiheit ist in Teilen des Landes beschnitten.

Manche politischen Beobachter beklagen allerdings ein generelles Demokratiedefizit in dem auch bei bayerischen Touristen vor Beginn der Covid19-Pandemie immer beliebter gewordenen Land. „In vielen Ländern des Balkans sind schon länger keine freien Wahlen mehr möglich. Doch das war auch schon vor Corona so“, sagt Dušan Reljić, Südosteuropa-Experte der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Ein großes Problem in Montenegro, sei wie auch in den meisten anderen Westbalkanstaaten, „dass dort die Pressfreiheit stark eingeschränkt ist“, erläutert er im Gespräch mit der Bayerischen Staatszeitung. Die Regierung kontrolliere dort die Staatsmedien. „Sie und ihre Parteien verfügen auch über mehr Geld als die Opposition“, sagt der Leiter des Brüsseler SWP-Büros.

Hinzu komme die fehlende Rechtsstaatlichkeit. Tatsächlich hat die NGO „Freedom House“ Montenegro so wie auch Serbien mittlerweile als Hybrid-Regime klassifiziert. „Darunter versteht man ein Mischsystem aus einer Demokratie und einem autoritären System“, erklärt Reljić. Im Ranking von „Freedom House“ kam Montenegro zuletzt sogar nur mehr auf 48 von 100 Prozentpunkten. Dass der Wahlkampf durch die Corona-Pandemie stark eingeschränkt stattgefunden habe, sei noch erschwerend hinzugekommen, Reljić.

Hoffnung auf Wandel

Doch zuletzt keimte Hoffnung auf einen Wandel auf: Bei beinahe sämtlichen Wahlen in den vergangenen zwei Jahrzehnten war bereits vor der Abstimmung weitgehend klar, wer am Ende in Montenegro das Rennen macht. Seit 1991 war die Demokratische Partei der Sozialisten (DPS), die aus der kommunistischen Partei hervorgegangen war, bei Wahlen stets vorne. Die Partei, deren Vorsitzender seit 1997 der heutige Präsident Milo Đukanović ist, stellt seit fast drei Jahrzehnten durchgehend den Regierungschef. Zuletzt führte die DPS das Land in einer gemeinsamen Koalition mit Sozialdemokraten sowie Minderheiten-Parteien. Doch nach der Wahl am Sonntag scheint erstmals seit fast drei Jahrzehnten ein Machtwechsel möglich zu sein. Zwar wurde auch diesmal die DPS mit rund 35 Prozent stärkste Kraft. Allerdings verlor die Koalition die Mehrheit um einen Sitz.

Ob die inhaltlich extrem unterschiedliche Opposition es tatsächlich schafft, eine neue Regierung zu schmieden, war bis Redaktionsschluss zwar völlig ungewiss. Doch manche Zeitungen wie die taz sehen den Thron von Đukanović bereits wackeln.

Zweitstärkste Kraft bei der Wahl wurde mit einem Drittel der Stimmen die bislang wichtigste Oppositionspartei, die Demokratischen Front (DF). Sie profitierte vor allem vom sogenannten Kirchenstreit. Denn die DPS-Regierung hatte ein radikal anti-klerikales Gesetz verabschiedet. Ein Teil der Grundstücke der Serbisch-orthodoxen Kirche könnte aufgrund der Ende 2019 vom montenegrinischen Parlament verabschieden Regelung an den montenegrinischen Staat fallen. So fürchten es zumindest Kritiker.

„Die Serbisch-Orthodoxe Kirche muss dem Gesetz zufolge Eigentumsnachweise für sämtliche von ihr bereits vor 1918 besessenen Güter vorlegen“, erläutert Balkan-Experte Reljić. Doch dies sei „sehr schwer, wenn nicht unmöglich“. Denn zuverlässige Unterlagen in den Katasterämtern gebe es in der Regel erst seitdem Zweiten Weltkrieg.

"Wächter der Heiligtümer"

Die Opposition und insbesondere die DF hatte deshalb viele Menschen gegen das Gesetz auf den Straßen gebracht. Die DF wolle sich als 'Wächter der Heiligtümer' profilieren, sagte jüngst der Publizist Vladan Žugić und profiliere sich „eigentliche Schutzmacht des Serbentums in Montenegro“. Doch Đukanović sieht das anders: „Vielen Beobachtern ist nicht klar, warum Đukanović diesen Streit mit der Serbisch-Orthodoxen Kirche tatsächlich gesucht hat.“ Nicht wenige würden denken, die Regierung wolle mit dem Vorhaben an das kostbare Land der Kirche. Denn mit Bauland lasse sich im dem in weiten Teilen malerischen Land, in dem auch Teile der Kult-Serie „Games of Thrones“ gedreht wurden, viel Geld verdienen. „Das ist sicher ein wichtiger Grund“, sagt Reljić.

Aber auch ein anderer Punkt sei zentral: „Die Serbisch-Orthodoxe Kirche ist ein Hort des Widerstands gegen die Regierung. Sie ist noch immer ein großer Machtfaktor. Đukanović wollte sie schwächen“, so Reljić. Doch letztlich habe ihm der Konflikt eher geschadet. Denn auch manche Anhänger seiner Partei würden sich  der Serbisch-Orthodoxen Tradition verbunden fühlen.

Đukanović gilt als pro-westlich. Viele europäische Regierungen halten ihm zugute, dass er Montenegro in die Nato führte und die EU-Mitgliedschaft anstrebt. Letztere liegt aber derzeit de facto in weiter Ferne. „Das größte Hindernis ist der in Montenegro bestehende Mangel an Rechtsstaatlichkeit. Das Land hat so wie viele Länder auf dem Balkan eine Justiz, die den Namen nicht verdient“, sagt Reljić.

Organisierte Kriminalität

Ein riesiges Problem ist die Organisierte Kriminalität. „Es gibt in Montenegro seit Jahren einen offenen Krieg zweier Banden“, sagt  Reljić. Seit 2012 habe es in Serbien und Montenegro 166 Morde gegeben, die auf Rechnung krimineller Banden gingen, die in den beiden Staaten weitgehend unbehelligt agierten. Der Experte kritisiert auch die massive soziale Ungleichheit in dem Land. „In Montenegro ist in den vergangenen drei Jahrzehnten eine kleine Elite sehr reich geworden, während sich die Lebensumstände der meisten Menschen nicht verbessert haben“, so der frühere Journalist.

Aus seiner Sicht ist Đukanović auch nicht pro-westlich. „Đukanović ist allein für Đukanović.“ Er habe in den 1990er-Jahre lange Zeit auf der Seite des damaligen serbischen Machthabers Slobodan Milosevic gestanden. „Er war zu jener Zeit auch sehr russlandnah.“ Dies habe auch „mit seinen mutmaßlichen Verbindungen zum internationalen Zigarettenschmuggel in jenen Jahren“ zu tun gehabt, Reljić. Dann habe er einen Wandel durch und war schließlich immer stärker westlich orientiert gewesen.

Wirtschaftlich macht Montenegro derzeit eine sehr schwere Zeit durch. Das Land ist stark auf die zuletzt massive eingebrochenen Einnahmen im Tourismus angewiesen. Mittelfristig bleibt der Staat aber ein Markt mit viel Potenzial. Eine wichtige Voraussetzung ist neben stärkeren Bemühungen im Kampf gegen die Korruption allerdings, dass sich nach  der Wahl vom Sonntag eine stabile Regierung bildet.
(till)

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