Wirtschaft

Die Konzerne stecken Milliarden in den Durchbruch des Elektroautos. Bei der sächsischen Polizei sind die E-Fahrzeuge von Mercedes bereits im Einsatz. (Foto: dpa)

11.07.2017

Zwischen Paranoia und Beruhigung

Elektro-Streit im Daimler-Stammwerk

Wenn es um die Zukunft von Daimlers Stammsitz geht, findet Frank Deiß drastische Worte. "Das ist so eine Gratwanderung zwischen Erzeugen von Paranoia und Verabreichen von Beruhigungspille", sagt der Fabrikchef. Ausgerechnet hier - im Nervenzentrum des Oberklasse-Autobauers in Stuttgart-Untertürkheim - lässt sich beobachten, dass der Weg in die Ära der Elektromobilität auch für finanziell gut aufgestellte Großkonzerne nicht leicht ist.

Deiß leitet das Werk, einen Standort mit rund 19.000 Beschäftigten und mehr als 100 Jahren Geschichte im Autobau. Gefertigt werden unter anderem Motoren und Getriebe - und genau darum machen sich die Leute hier deutlich mehr Sorgen als ihre Kollegen an anderen Orten.

Was soll aus ihnen werden, wenn das Elektroauto immer mehr an Bedeutung gewinnt und der Verbrennungsmotor womöglich irgendwann ausgedient hat? Seit Wochen verhandeln Betriebsrat und Unternehmen über konkrete Pläne für Untertürkheim, werden sich aber nicht einig.

Fluch und Segen zugleich


Für die Beschäftigten kann die E-Mobilität Segen und Fluch zugleich sein. Denn einerseits soll sie die Zukunft der Branche angesichts immer strikterer Klimaschutzvorgaben und der Dauerdebatte um den Diesel sichern. Andererseits benötigen Elektroautos ganz andere Teile als Verbrenner, und insgesamt dürfte das Volumen an Arbeit sinken.

Das Auto der Zukunft fährt elektrisch - das ist ziemlich sicher. Aber viel mehr lässt sich heute eben kaum sagen. Dafür sind entscheidende Faktoren wie Reichweite und Ladeinfrastruktur zu schwer abzusehen. Von "extrem vielen Unsicherheitsfaktoren" spricht Willi Diez, der Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen.

Inzwischen beteiligen sich mehrere Unternehmen auch aus der Energiewirtschaft am Ausbau des noch dünnen Ladenetzes. Das Hauptproblem, so Diez, sei aber die Frage, wie viele reine E-Autos künftig verkauft werden und wie viele der diversen Mischformen, die weiter auch einen Verbrenner an Bord haben. Entsprechend müsste die Produktion ausgerichtet sein, mit Konsequenzen für die Arbeitsplätze.

Im Nebel stochern


"Da stochert jeder ein bisschen im Nebel", sagt der Experte und ergänzt mit Blick auf die von Betriebsräten geforderten Zusagen: "Ich verstehe jeden Hersteller, dass er keine Garantien gibt." Diez glaubt auch, dass übermäßige Eile nicht nötig ist. Der Wandel komme - aber noch nicht jetzt. "Wir reden da eher über 2030 als über 2020."

Daimler rechnet mit einem Anteil von 15 bis 25 Prozent an Elektro- und Hybrid-Autos bis 2025. VW und BMW planen mit ähnlichen Zahlen. Die Konkurrenten müssen auch ähnliche Investitionen stemmen - und die Folgen des Umbruchs auf die Jobs in der Produktion mit bedenken.

Wenn die Entwicklung so weitergehe wie prognostiziert, rechnet Deiß vor, würde das im Fall Daimler mitnichten das schnelle Aus für Benziner oder Diesel bedeuten. 2025 würden dann sogar mehr konventionelle Motoren gebaut als heute. Das wäre die "Beruhigungspille" - die der Betriebsrat aber nicht schlucken will.

Beide Seiten liegen über Kreuz


Dass Untertürkheim seinen Daimler-internen Status als führendes Werk auch im Elektro-Zeitalter behalten soll, dürfte den Arbeitnehmern naturgemäß gefallen. Bei der Frage, welche Antriebskomponenten dort letztlich gebaut werden sollen, liegen beide Seiten aber über Kreuz.

Das Unternehmen will eine Batteriefertigung aufbauen. Im sächsischen Kamenz gibt es so eine schon - und in China soll bis 2020 eine weitere hinzukommen. In Untertürkheim wäre das deutlich teurer. Daher soll die Belegschaft einen Teil der Weiterbildung in ihrer Freizeit absolvieren. Betriebsrat Wolfgang Nieke lehnt das ab und besteht darauf, dass auch die elektrischen Antriebssysteme, die die Motorkraft auf die Achsen bringen, in Untertürkheim gefertigt werden. Zudem sei der große Rahmen für die E-Offensive noch gar nicht abgesteckt - erst dann jedoch könne man über Details reden.

Ähnlich heikler Balanceakt bei VW


Bei Volkswagen ist der Balanceakt ähnlich heikel: Milliarden-Sparkurs und das Ziel schlankerer Prozesse hier, Milliarden-Ausgaben für die neue Technik dort - der mühsam errungene "Zukunftspakt" soll beides unter einen Hut bringen. Neben der beschlossenen Forschung an Batteriezellen hat das Motorenwerk Salzgitter Chancen auf eine Zellfertigung. Betriebsratschef Bernd Osterloh plant einen "größeren dreistelligen Millionenbetrag" für Qualifikation ein. Auch BMW pumpt hohe Summen in weitere Elektromodelle, wobei deren Gewinnspanne noch zulegen muss. Bei Ausstattungsvarianten wird dafür gekürzt.

In Stuttgart wurde am Montag wieder bis in den Abend verhandelt. "Da das Unternehmen keine Zusagen macht, werden wir den Druck weiter erhöhen", hatte Nieke angekündigt - und zum zweiten Mal die Mehrarbeit am Samstag abgeblasen. Daimler reagierte und strich zum zweiten Mal die Frühschicht an den E-Klasse-Bändern in Sindelfingen. Dort werden die Teile aus Untertürkheim gebraucht.

Die E-Mobilität hat Schattenseiten - die IG Metall, in der Branche stark verwurzelt, hat das erkannt. Die Zahl der Jobs dürfte sinken, dafür gebe es Chancen für speziell Qualifizierte. Das Ganze habe aber Grenzen, wusste Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht schon Ende 2016: "Nicht jeder, der Ingenieur ist, kann auch Apps schreiben."
(Nico Esch und Jan Petermann, dpa)

Kommentare (1)

  1. Martin am 11.07.2017
    Wenigstens haben die Betriebsräte inzwischen erkannt, dass der Wandel schon begonnen hat. Die Manager glauben ja immer noch, dass sie mindestens bis 2030 Zeit haben. Oder vielleicht sagen sie es nur, weil sie dann eh nicht mehr am Ruder sein werden und ihre aktuellen Boni nicht durch "unnötige" Ausgaben schmälern wollen.
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