Wissenschaft

Die Forschenden haben Stammzellen angeregt, die Entstehung des menschlichen Herzens nachzubilden. Das Ergebnis ist ein Organoid, eine Art Miniatur-Herz. Damit lassen sich die früheste Phase der Entstehung unseres Herzens studieren und Erkrankungen erforschen. (Foto: TUM)

05.04.2023

Mini-Herzen in der Kulturschale

Mit Organoiden aus den Stammzellen von Kardiologie-Patrient*innen lassen sich Erkrankungen besser verstehen

Ein Team der Technischen Universität München (TUM) hat Stammzellen angeregt, die Entstehung des menschlichen Herzens nachzubilden. Das Ergebnis ist ein Organoid, eine Art Miniatur-Herz. Damit lassen sich die früheste Phase der Entstehung unseres Herzens studieren und Erkrankungen erforschen.

Etwa drei Wochen nach der Empfängnis beginnt das menschliche Herz sich zu formen. Damit liegt die frühe Phase der Herzentwicklung in einer Zeit, in der viele Schwangerschaften noch unbemerkt bleiben. Auch deshalb sind viele Details der Herzbildung unbekannt. Untersuchungen an Tieren lassen sich ebenfalls nur bedingt auf Menschen übertragen. Ein Organoid, der an der TUM entwickelt wurde, könnte nun die Forschung voranbringen.

Das Team um Alessandra Moretti, Professorin für Regenerative Medizin kardiovaskulärer Erkrankungen, hat eine Methode entwickelt, um aus sogenannten pluripotenten Stammzellen eine Art Mini-Herz herzustellen. Rund 35.000 Zellen werden in einer Zentrifuge zu einer Kugel verdichtet. Über mehrere Wochen werden der Zellkultur dann nach einem festen Protokoll immer wieder neue Signalmoleküle zugesetzt. „Wir imitieren so die Signalwege im Körper, die das entwicklungsbiologische Programm des Herzens steuern“, erläutert Alessandra Moretti.

 

Durchmesser von etwa einem halben Millimeter



Die Organoide, die so entstehen, haben einen Durchmesser von etwa einem halben Millimeter. Blut pumpen können sie nicht. Sie sind aber elektrisch erregbar und in der Lage wie menschliche Herzkammern zu kontrahieren. Dem Team um Prof. Moretti ist es weltweit erstmals gelungen, in einem Organoid Herzmuskelzellen (Kardiomyozyten) und Zellen der Außenschicht der Herzwand (Epikard) entstehen zu lassen. In der jungen Geschichte der Herz-Organoide – die ersten wurden 2021 beschrieben – konnten bislang nur solche mit Herzmuskelzellen und Zellen der Herzinnenhaut (Endokard) hergestellt werden.

„Um die Entstehung des Herzens zu verstehen, sind Epikard-Zellen entscheidend“, sagt Dr. Anna Meier, Erstautorin der Studie. „Aus diesen Zellen entwickeln sich weitere Zelltypen des Herzens, zum Beispiel Zellen des Bindegewebes und der Blutgefäße. Das Epikard spielt auch für die Bildung der Herzkammern eine sehr wichtige Rolle.“ Die neuen Organoide hat das Team dementsprechend „Epicardioids“ getauft.


Neben der Methode zur Herstellung der Organoide schildern die Forschenden erste neue Erkenntnisse. Durch Einzelzellanalysen haben sie herausgefunden, dass sich ungefähr an Tag sieben der Entwicklung des Organoids Vorläuferzellen bilden, die erst kürzlich in Mäusen entdeckt wurden. Aus diesen Zellen bilden sich die Epikard-Zellen. „Wir gehen davon aus, dass es diese Zellen auch im menschlichen Körper gibt – wenn auch nur für wenige Tage“, sagt Alessandra Moretti.

 

Personalisierte Organoide erzeugt


Möglicherweise liefern diese Erkenntnisse auch Anhaltspunkte dafür, warum das fetale Herz sich selbständig reparieren kann.  Das Herz eines erwachsenen Menschen ist dazu fast gar nicht in der Lage. Dieses Wissen könnte dazu beitragen, neue Behandlungsmethoden für Herzinfarkte und andere Erkrankungen zu finden.

Das Team konnte darüber hinaus zeigen, dass sich anhand der Organoide auch Erkrankungen individueller Patient:innen untersuchen lassen. Aus pluripotenten Stammzellen eines Menschen, der an dem sogenannten Noonan-Syndrom erkrankt ist, erzeugten die Forschenden Organoide, die Merkmale der Erkankung in der Kulturschale spiegelten. In den kommenden Monaten will das Team weitere angeborene Fehlbildungen des Herzens anhand solcher personalisierter Organoide untersuchen.

Durch die Möglichkeit Erkrankungen des Herzens in Organoiden abzubilden, könnten Wirkstoffe in Zukunft direkt an diesen getestet werden. „Durch solche Tests könne man perspektivisch die Zahl der notwendigen Tierversuche bei der Entwicklung eines Medikaments reduzieren“, sagt Alessandra Moretti.

Für das Verfahren zur Herstellung der Herz-Organoide haben die Forschenden eine internationale Patentanmeldung eingereicht.  Das "Epicardioid-Modell“ ist eines von mehreren Projekten zu Organoiden an der TUM. Am Center for Organoid Systems werden künftig Arbeitsgruppen aus diversen Fachbereichen gemeinsam forschen. Interdisziplinär werden sie hier an Bauchspeicheldrüsen-, Gehirn- und Herzorganoiden mit modernsten Methoden der Bildgebung und Einzelzellanalyse in Bereichen der Organentstehung, des Krebs und der Neurodegeneration arbeiten, um Fortschritt mit menschlichen 3D-Systemen für die Medizin zu erzielen. (Paul Hellmich)

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