Wissenschaft

Ein Plakat der Covid-19-Impfkampagne erinnert die Bevölkerung in Bergamo am 5. Oktober 2021 an die Bedeutung der Immunisierung. (Foto: dpa/Beata Zawrzel)

16.12.2025

Pandemien verstehen: Was Bergamos Todeszahlen für die Zukunft lehren

Sterbedaten aus Bergamo 2020 zeigten eine bis zu zehnfache Übersterblichkeit bei älteren Menschen. Eine neue Hypothese erklärt, warum die Sterberate ebenso schnell wieder abfiel – und plädiert für eine systematische Aufarbeitung

Die Berichte und Bilder über extrem viele Todesfälle in kurzer Zeit zu Beginn der Coronapandemie 2020 verunsicherten die Welt. Neueste Zählungen auf den Friedhöfen der Region Bergamo ergaben, dass es tatsächlich zu einer zehnfachen Übersterblichkeitsrate in der zwölften Kalenderwoche 2020 kam. Das Durchschnittsalter der Gestorbenen lag bei 83,6 Jahren. Neben der Frage nach dem Grund dieser Übersterblichkeit stellt sich zusätzlich noch die Frage, wieso diese genauso rasant wieder abfiel wie sie anstieg. Dass eine neue, hoch infektiöse Krankheit für einen rasanten Anstieg der Letalität (Sterberate) sorgt, mag noch verständlich sein, aber wieso der krasse Abfall nach so kurzer Zeit? Unsere Hypothese für diese Phänomene ist die folgende, wobei wir zum besseren Verständnis zuerst erläutern, wie sich das Virus SARS-CoV-2 verbreitet.

„Die Dosis macht das Gift“

SARS-CoV-2 verbreitet sich durch die Abatmung sogenannte Aerosole. Ein Aerosol ist ein Gemisch aus kleinen festen Partikeln oder Tröpfchen und Gas. In unserem Fall sind die Partikel des Aerosols sehr klein, nämlich Coronaviren, die aus der ausgeatmeten Luft eines Infizierten stammen. Wenn ein Nicht-Infizierter ein solches Aerosol einatmet, infiziert er sich. Zigarettenrauch ist auch ein Aerosol, stellen Sie sich dies bildlich vor: Zigarettenrauch steht über einen längeren Zeitraum in geschlossenen kleinen Räumen. Außenbereiche sind unkritisch, denn der Rauch verdünnt sich durch Verwirbelungen, weil der ausgeatmete Rauch wärmer als die Umgebungsluft ist und somit sofort nach oben steigt. Infektiöse Aerosole sind fatalerweise geruchslos, sodass es keine Chance gibt, diese zu registrieren und zu flüchten. Des Weiteren gilt auch hier das Paracelsus-Diktum „Die Dosis macht das Gift.“ Je höher die bei der Infektion inhalierte Virenanzahl, desto schwerer die Erkrankung, denn das Immunsystem benötigt Zeit, um sich auf den neuen Eindringling einzustellen.

Die SARS-CoV-2-Version, mit der die Pandemie in Europa begann, war der sogenannte „Wildtyp“. Dieser war neu, hatte eine hohe Infektiösität als auch Letalität, vor allem bei älteren oder vorgeschwächten Menschen. In Bergamo grassierte das Virus sehr früh und traf die Bevölkerung unvorbereitet. Die Region Bergamo verfügt über einen regen gelebten Katholizismus, vor allem in der älteren Bevölkerungsschicht, das heißt man trifft sich viel und oft in großer Gruppe in der Kirche zum Gottesdienst, welcher auch das gemeinsame Singen beinhaltet, wodurch extrem viel Aerosole abgeatmet werden. Noch dazu sind Kirchen in der Region Bergamo räumlich eher klein, wodurch sich die Ausatemluft im Raum kaum verdünnt. Die Räume in Seniorenheimen sind ebenfalls keine großen Säle. Die Infektionsrate mit dem Wildtyp bei älteren Menschen, die besonders gefährdet sind, war aufgrund dieser besonderen Umstände extrem hoch.

Kontaktverläufe mit dem Wildtyp sind nicht mehr valide rekonstruierbar

Wieso kam es nach kurzer Zeit zum rasanten Abfall der Letalität? Einerseits mutierte SARS-CoV-2 schnell in Richtung geringerer Virulenz (und Letalität). Andererseits haben sich durch den vorangehend geschilderten hocheffizienten Ausbreitungsmechanismus in kurzer Zeit große Bevölkerungsteile angesteckt, so dass schnell eine lokale Herdenimmunität entstand. Zudem reagierte die Bevölkerung nach den ersten Todesfällen mit einer freiwilligen Isolation.

Unsere Hypothese zur erhöhten Letalität in Bergamo ist aus methodischen Gründen empirisch nicht nachzuweisen: Kontaktverläufe mit dem Wildtyp sind nicht mehr valide rekonstruierbar. Trotzdem sollte diese Hypothese zur Grundlage einer Pandemieaufarbeitung gemacht werden. In einer zukünftigen Pandemie können auf dieser Grundlage die Daten gewonnen werden, um sie zu überprüfen. Damit hätte man zugleich in einem frühen Stadium ein Instrument zur Pandemiebekämpfung, wenn sich die Hypothese bestätigen sollte. (Dieter Köhler, Thomas Voshaar und Andreas Rothenberger)

Eine ausführliche wissenschaftliche Darstellung finden sie unter: www.sokrates-rationalisten-forum.de

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