Wissenschaft

Die muslimischen Kinder lernen auch die anderen monotheistischen Religionen kennen. (Foto: Paul)

24.10.2021

"Wer Respekt erwartet, muss ihn auch bezeugen"

Ayfer Demir unterrichtet das neue Wahlpflichtfach "islamischer Unterricht" im Kreis Pfaffenhofen

Religionslehrerin Ayfer Demir hat an der rechten Hälfte Tafel eine Tabelle erstellt mit drei Spalten: blau für Judentum, orange für Christentum und grün für Islam. Im mittleren Teil der Tafel sind zahlreiche Begriffe angeheftet: „Vater unser“, „Moschee“, „Opferfest“, „Allah“, „Moses“, „Ostern“, „Bibel“, „Weihnachten“, „Zuckerfest“ und mehrere weitere. Die Kinder sollen diese nun der jeweils richtigen Religion zuordnen. Zahlreiche kleine Arme schnellen in die Höhe, hier und da wird von besonders Eifrigen mit den Fingern geschnippt: Islam-Unterricht in der Klassenstufe 4 an der Joseph-Maria-Lutz-Schule in Pfaffenhofen.

An mehr als 350 Schulen in Bayern gibt es seit diesem Schuljahr ein sogenanntes Wahlpflichtfach „islamischer Unterricht“. Im Juli billigte der Bayerische Landtag die Überführung des bisherigen landesweiten Modellversuchs in ein reguläres Schulfach. Das Wahlpflichtfach ist für Bayerns Schülerinnen und Schüler – insbesondere muslimischen Glaubens – fortan statt Religionslehre und neben Ethik wählbar. Es handelt sich um ein staatliches Angebot, bei dem staatliche Lehrkräfte in deutscher Sprache Wissen über die islamische Religion sowie eine grundlegende Werteorientierung "im Geiste der Werteordnung des Grundgesetzes und der bayerischen Verfassung" vermitteln sollen. Die Staatsregierung hatte den Gesetzentwurf im Februar dieses Jahres auf den Weg gebracht.

Die Buben und Mädchen kennen sich ziemlich gut aus – nicht nur bei ihrer eigenen, sondern auch bei den beiden anderen großen monotheistischen Religionen. Die meisten Begriffe werden richtig in die jeweilige Spalte der Tabelle eingeordnet. Außer Worten sind das auch Symbole: der Davidstern, der Halbmond und das Kruzifix sowie Nachbildungen der Gotteshäuser Synagoge, Kirche und Moschee. Natürlich gibt es auch hin und wieder eine falsche Zuordnung – aber dafür ist es ja Unterricht. Das kleine und große Einmaleins lernt man ja auch erst und kann es nicht von Anfang an. Besonders ein Begriff ist den Kindern ein Begriff, auch wenn er nicht aus ihrem Glauben stammt: Weihnachten. Von der Lehrerin danach gefragt, was sie damit verbinden, heißt es: „Da kann man schön mit der Familie zusammen sein“ und „Da bekomme ich Geschenke. Im Krippenspiel waren einige auch schon mal als Besucher.

Im Vorfeld politischer Streit


Wer an diesem Nachmittag die wissbegierigen und aufgeschlossenen Kinder beim Lernen erlebt, mag kaum glauben, welchen politischen Streit und wie viele böse Worte es im Vorfeld um den Unterricht gegeben hatte. Es sei „naiv zu glauben, dass der Islam eine Religion des Friedens und der Toleranz sei", hatte der AfD-Landtagsabgeordnete Markus Bayerbach im Plenum argumentiert; vergebens hatte seine Partei versucht, die Einführung des Fachs zu verhindern. Angeblich würden die Kindern dort im Sinne des türkischen Diktators Erdogan oder gar der afghanischen Taliban indoktriniert. Vorm Bayerischen Verfassungsgerichtshof will sie das Ganze wieder rückgängig machen. Vermutlich wäre die Welt der Rechtspopulisten beim Anblick der kleinen Pfaffenhofener Muslime nachhaltig erschüttert: Nicht ein einziges Mädchen trägt Kopftuch.

Aber auch von der anderen Seite des politischen Spektrums gab es Widerstand gegen das Vorhaben der schwarz-orangen Koalition, dass von den Fraktionen von SPD und FDP im Landtag weitgehend mitgetragen wird. Die Parteien sind sich einig: Dieser Unterricht ist ein Beitrag zur Integration. Den Grünen aber geht das neue Wahlpflichtfach nicht weit genug. „Wir wünschen uns kein zweites Ethikfach mit besonderer Erwähnung des Islam, sondern konfessionsgebundenen Unterricht“, argumentierte die Abgeordnete Gabriele Triebel. Den diversen muslimischen Verbänden passt nicht, dass sie die Lerninhalte nicht mitbestimmen dürfen, sondern es eine rein staatliche Angelegenheit bleibt. Für das bayerische Kultusministerium ist das aber gerechtfertigt: „Es gibt eben für die Behörden beim Islam – anders als beim christlichen Konfessionsunterricht mit der Katholischen und Evangelischen Kirche – keinen einheitlichen Ansprechpartner“, so ein Sprecher von Ressortchef Michael Piazolo (FW).


Nur eine Lehrkraft - für sieben Schulen im ganzen Kreis

„Was ist Vielfalt“ möchte Ayfer Demir von den Kindern wissen und auch diesmal können einige es gar nicht abwarten, eine Antwort zu geben. „Bitte melden und nicht rein reden“, ermahnt die Lehrerin und erteilt dann das Wort. „Religionsfreiheit“, antwortet ein Mädchen mit langem dunklen Zopf. Wobei die Kindern auch auf sich selbst verweisen könnten in Sachen Vielfalt. Sie stammen aus zahlreichen Ländern – unter anderem Bosnien, Syrien, Afghanistan, Bulgarien und der Türkei. Der Ausländeranteil an der Joseph-Maria-Lutz-Schule liegt inzwischen um die 50 Prozent. Für den Islam-Unterricht aber gibt es eine einzige Lehrerin – eben Ayfer Demir. Außer für die Grundschule in der Kreisstadt ist die 53-Jährige noch an sieben weiteren Schulen im Landkreis tätig; bisher als einzige staatliche Religionslehrerin im Fach Islam. Rund 200 Kinder unterrichtet sie in 28 Wochenstanden. Studiert hat die gebürtige Türkin in ihrer Heimat auf Lehramt an Grundschulen.

Ayfer Demir arbeitet viel mit Fragen an die Klasse.  „Ist öffentlich beten gut?“, will sie beispielsweise wissen. „Man muss Angst vor Gott haben“, ruft ein großgewachsener Junge mit gelbem Pullover aus einer der vorderen Reihen. „Ist das tatsächlich so?“, will Ayfer Demir von den Kindern wissen. Ein Mädchen mit rosa Pullover gibt ihrem Klassenkameraden: „Angst ist nicht gut!“ Aber so einfach will sicher Bub nicht geschlagen geben: „Wenn man ein schlimmer Mensch ist, dann muss man Angst haben“, erklärt er mit Nachdruck. „Nein!“, schallt es ihm von anderen entgegen, „doch!“ erhält er aber auch Unterstützung. „Ich glaube, dieses Thema behandeln wir mal eigenständig“, befindet die Lehrerin und beendet die Debatte unter ihren Schützlingen. Schließlich dauert das Schuljahr noch viele Monate. Wobei: Lehrinhalte gibt es genug – vom Koran über das Leben des Propheten Mohammeds bis zum Verhältnis von Glauben und Alltag – und eben Kenntnisse über die anderen Religionen. „Wenn wir als Muslime Respekt erwarten, dann müssen wir ihn auch den anderen Menschen bezeugen“, befindet die Religionslehrerin. (André Paul)

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