Ausschreibung und Vergabe

Um die Beschaffung von Informations- und Kommunikationstechnik gab es Streit. (Foto: dpa/Sebastian Willnow)

13.03.2020

Wer beschafft, muss wissen, was er will

Vergabekammer Nordbayern zur fehlerhaften Auftragswertschätzung

Ein öffentlicher Auftraggeber beabsichtigte, seine Informations- und Kommunikationstechnik zu erneuern. Hierzu benötigte er fachplanerische Dienstleistungen gemäß den Leistungsphasen 6 bis 8 nach §§ 55 ff. HOAI, die er als Unterschwellenvergabe im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb beschaffen wollte. Die Leistungsphasen 2 und 3 beziehungsweise 5 sollten laut einer sachdienlichen Auskunft gegebenenfalls im Wege einer Nachbeauftragung und Vergütung der zusätzlichen Leistungen gemäß § 10 HOAI erfolgen. Auch eventuell erforderliche Leistungen für die Erstellung eines Förderantrags würden zusätzlich beauftragt werden.

Ein Unternehmen gab ein Angebot für die Leistungsphasen 6 bis 8 ab und wurde später darüber informiert, dass der Auftrag anderweitig vergeben wurde. Daraufhin beantragte der Unternehmer die Nachprüfung des Vergabeverfahrens mit dem Ziel, die Unwirksamkeit des erteilten Auftrags feststellen zu lassen. Mit Erfolg.

Unter Umständen weitere Leistungen beauftragen

Nach der Vergabekammer Nordbayern (Beschluss vom 10. Oktober 2019 – RMF-SG21-3194-4-43) entsprach die Berechnung der Vergabestelle, der lediglich die Leistungsphasen 6 bis 8 zugrunde gelegt wurden, nicht den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Schätzung gemäß § 3 VgV. Für eine Auftragswertschätzung ist vom voraussichtlichen Gesamtwert der zu vergebenden Leistungen auszugehen. Denknotwendigerweise ist zunächst von der Vergabestelle festzulegen, welche Leistungen sie überhaupt zu vergeben beabsichtigt. Nur darauf aufbauend kann eine Auftragswertschätzung ordnungsgemäß erfolgen.

Dies war vorliegend nicht der Fall. So hat insbesondere die sachdienliche Auskunft, die ausdrücklich auf eine eventuelle Nachbeauftragung von Leistungen hingewiesen hat, deutlich gemacht, dass die Vergabestelle nicht nur die Leistungsphasen 6 bis 8 benötigte. Der öffentliche Auftraggeber hat sein Leistungsbestimmungsrecht gerade nicht allein darauf beschränkt, sondern dieses Recht dahingehend ausgeübt, dass unter Umständen auch weitere Leistungen beauftragt werden konnten. Diese sind dann nach Ansicht der Ansbacher Vergabekammer ebenfalls auszuschreiben und einer sachgerechten Auftragswertschätzung zugrunde zu legen.

Gesamtwert ist maßgeblich

Dementsprechend hat die Vergabestelle hier keine ordnungsgemäße Auftragswertschätzung vorgenommen. Denn nach § 3 Abs. 1 VgV wird ausdrücklich gefordert, dass der Gesamtwert des Auftrags einschließlich etwaiger Optionen und Vertragsverlängerungen und ohne Absicht der Vermeidung einer europaweiten Vergabe maßgeblich ist. § 3 VgV verbietet es geradezu, etwa erforderliche Leistungen nicht schon bei der ursprünglichen Ausschreibung zu berücksichtigen und deren Vergabe über Nach- oder Zusatzbeauftragungen in das Stadium nach Vertragsabschluss zu verlegen, also „sehenden Auges“ eine Nach- oder Zusatzbeauftragung zu avisieren.

Die Vergabekammer Nordbayern durfte deshalb die fehlerhafte Auftragswertschätzung der Vergabestelle durch eine eigene ersetzen und war der Überzeugung, dass der EU-Vergabeschwellenwert hier weit überschritten wird. Der bereits erteilte Auftrag wurde für unwirksam erklärt und dem öffentlichen Auftraggeber aufgegeben, eine ordnungsgemäße Auftragswertschätzung unter Einbeziehung aller vom zukünftigen Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen vorzunehmen.
(Holger Schröder)

(Der Autor ist Fachanwalt für Vergaberecht bei Rödl & Partner in Nürnberg.)

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