Bauen

Die neue Brücke im Stadtteil Kalasatama. (Foto: Wiegand)

15.12.2017

Entwicklung zur Smart City

In Finnlands Hauptstadt Helsinki herrscht ein Bauboom

Helsinki, Finnlands schöne Hauptstadt, befindet sich im Bauboom, denn die Bevölkerung steigt. Derzeit beträgt die Einwohnerzahl etwa 630 000, doch sie wächst jährlich um rund 7500, berichtet die Stadtverwaltung. Zusätzlicher Wohnraum entsteht, aber nicht der simplen Art, sondern umweltfreundlich, mit viel digitaler Technik und guter Verkehrsanbindung. „Smart City“ lautet das internationale Modewort für dieses Bestreben.

„Helsinki erlebt gerade die stärkste Transformation in seiner Geschichte“, sagt Anne Stenros, Designleiterin der Stadt, wozu in Finnland auch das Bauen gehört. „Bis 2030 soll Helsinki zu einer humanen, gesunden und smarten City werden, die es mit Hilfe der Architektur den Menschen ermöglicht, von Verbrauchern zu Bürgern zu werden“, so ihre Vision. „Wir wollen die funktionstüchtigste Stadt der Welt werden“, fügt sie hinzu und meint damit auch mehr individuelle Lebensqualität und Zeit für Projekte mit anderen. Zustande käme dieser Zeitgewinn durch den weiteren Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die (noch) bessere Verknüpfung der Fahrpläne von Bussen und Bahnen.
In Helsinki sind das keine Sprechblasen. Auf der neuen Fahrrad-Autobahn ins Zentrum treten die Benutzer bereits kräftig in die Pedale. Schon seit 2015 verbindet eine moderne S-Bahn das Zentrum mit dem Flughafen. Ein neuer Bahnhof empfängt die Ankömmlinge. Diesem ersten Schritt folgt als zweiter die deutliche Airport-Erweiterung bis 2020. Verantwortlich dafür ist Chefdesigner Tuomas Silvennoinen. 20 Millionen Passagiere will man dann schnell und smart abfertigen können. Das ist nötig, denn die Besucherzahlen steigen ständig.

Helsinki gilt als Welthauptstadt des Designs und das zieht. Auch die historischen Bauten machen Finnlands Metropole zur Augenweide. Alle lieben die weiße, 1852 geweihte klassizistische Kathedrale, das Wahrzeichen Helsinkis und ein Meisterwerk des Berliner Architekten Carl Ludwig Engel. Engel, erkennbar ein Freund Schinkels, plante auch die Universität. Doch das Neue ist nahe: die Universitätsbibliothek von 2012, entworfen von Anttinen Oiva Architects (AOA). Sie überzeugt innen mit fantasievoll-praktischer Raumaufteilung und perfektem Licht-Design. Solches erfreut die Fans der Moderne genau so wie das Kiasma-Museum für Moderne Kunst und das mit grünen Kupferplatten verkleidete Konzerthaus. Hoch geachtet sind nach wie vor die weiß leuchtenden Ikonen der Avantgarde – die Finlandia-Halle und die streng geradlinige Hauptverwaltung von Stora Enso am Fährhafen neben der orthodoxen Kathedrale. Diese Bauten schuf Alvar Aalto (1898 bis 1976), inspiriert von der Bauhaus-Architektur. Für Finnland wurde er zum Vater der Moderne. Sein Tuberkulose-Sanatorium in Paimio mit der von ihm designten Inneneinrichtung ist UNESCO-Weltkulturerbe. Die von ihm gestalteten Stühle, Schwingsessel, Liegen und stapelbaren Hocker sind begehrte Designklassiker und werden nach wie vor gefertigt.

Wolkenkratzer
nicht erwünscht

Finnisches Design steht seit Jahren vor allem in Japan und China hoch im Kurs. Ihre Künstler und Architekten strömen in Scharen zur „Helsinki Design Week“ im September und bereichern sie – anhand von Erfahrungen in ihren Megastädten – durch eigene Ideen für die erwünschte „Smart City“. Helsinkis Designwoche ist zum Schmelztiegel für zukunftsweisende Ideen und Projekte geworden. Ein Beispiel ist das einige Tage im Zentrum aufgestellte, super schmale Tikku-Holzhaus von Architekt Marco Casagrande. Das passt auf jeden nicht mehr benötigten Parkplatz, bietet auf drei Stockwerken genügend Raum zum Arbeiten oder Relaxen wird jetzt vermarktet.
Hsieh Ying-Chun & Chin Chen-Yu aus Taiwan haben ein in wenigen Stunden errichtbares Bretterhaus entwickelt, zur schnellen Schaffung von Wohnraum nach Katastrophen. Mehr als 3000 solcher Häuser hat Hsieh Ying Chun mit seinem Team nach Desastern in Ostasien bereits konstruiert. Der weltweite Bedarf könnte steigen. Ein Riesenprojekt östlich des Helsinkier Zentrums im Stadtteil Kalasatama nimmt bereits Gestalt an. Am Meer, auf dem Gelände des ehemaligen Frachthafens, entsteht „Smart Kalasatama“, ein neues energieeffizientes, mit viel Digitaltechnik ausgestattetes Viertel für letztendlich 20 000 Bewohner, 25 Prozent davon als Sozialwohnungen. Tuomas Hakala, Projektleiter und Stadtarchitekt, rechnet mit einer Bauzeit bis 2035 und der Schaffung von 10 000 Arbeitsplätzen. Diverse Architekten sollen ihre Pläne unterbreiten, um einen Einheitslook zu vermeiden. Mindestens 1200 Euro pro Quadratmeter müssen die Firmen der Stadt als Bodenpreis bieten, die dann über die Entwürfe entscheidet. Der höchste Wohnturm erreicht 37 Meter, Wolkenkratzer sind nicht erwünscht. Ein Gesundheitszentrum und ein Solar-Park sind ebenso geplant wie eine Kulturhalle sowie gepflegte Grünflächen. Einige Bauten ist schon bewohnt, darunter die in Privatinitiative geschaffene Kotisatama-Senioren-WG. Terttu Fält, eine frühere Immobilienmaklerin, ergriff die Initiative und fand Mitstreiter. Ein Grundstück wurde gekauft und das Architekturbüro Kirsti Sivén & Asko Takala engagiert. 85 ältere Damen und Herren bewohnen nun das braune, mit viel Elektronik ausgerüstete Backsteingebäude.

Geschwungene Brücke
für Fußgänger und Radler

Beim Rundgang über das Gelände zeigt Hakala die neue Schule und ist stolz auf die zentral positionierte Müllschluckanlage, eine mit Abfalltrennung. In deutschen Bundesländern wie Berlin, Bayern, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind Müllschlucker seit 2014 aufgrund fehlender Abfalltrennung, Brandgefahr und fehlender Hygiene verboten.
Eine Attraktion in diesem Neubauviertel ist die weiße, elegant geschwungene Brücke für Fußgänger und Radler, designed von Teo Tammivuori/Architekturbüro Pontek, die ein wenig an die Brücken von Santiago Calatrava erinnert. „Die ist weit besser“, lächelt Hakala. Sie verbindet nun Kalasatama mit der waldreichen Zoo-Insel Korkeasaari. Die Neue ist jedoch nur eine der drei neuen Crown Bridges, die Helsinkis Osten mit der Innenstadt verbinden sollen. Auch dort tut sich was, vor allem im Jätkäsaari-Investment-Distrikt am Westhafen. Hier dominiert das im Herbst 2016 eröffnete Clarion Hotel, konzipiert von Davidsson Tarkela Architects. Glaskorridore verbinden die beiden 75 und 78 Meter hohen Türme. Ein Clou ist nicht nur die Skybar mit weiter Aussicht, sondern noch mehr der an dem niedrigeren Turm aufgehängte Pool. Durch den Plexiglasboden blicken die Badenden 70 Meter in die Tiefe. Nur was für starke Nerven. Gegenüber entsteht die Wood City nach Plänen von Anttinen Oiva Architects. Sie umfasst zwei siebenstöckige Wohnhäuser, ein Bürogebäude, ein Hotel und ein Parkhaus. Die ersten Bauten sollen 2018 fertig werden, der Gesamtkomplex Ende 2019, da man mit dem Naturmaterial Holz, so wird erklärt, zu jeder Jahreszeit und daher geschwind bauen kann. Die Wohnhäuser werden allein aus verleimtem finnischem Furnierschichtholz, geeignet für tragende Balken und Stützen, errichtet. Zu den Bauherren gehört die weltbekannte, international tätige finnische Forstfirma Stora Enso. Noch verhüllen Planen die Fassade, die mit einer weißen Farbschicht überzogen werden soll. Der Blick ins Internet wird jedoch zum Aha-Erlebnis, ähnelt doch die strenge, weiße Front mit den gleichmäßigen Fenstern verblüffend der 1962 von Alvar Aalto designten Stora Enso Hauptverwaltung am Fährhafen. Helsinki erlebt damit ein Comeback der vom Bauhaus inspirierten Alvar Aalto-Architektur. (Ursula Wiegand) (Blick vom Sea Pool auf Helsinkis klassizistische Prachtbauten. Das Clarion Hotel und die Kotisatama-Senioren-WG - Fotos: Wiegand)

Kommentare (1)

  1. Pia am 27.12.2017
    Super.so könnten wir es auch in bayern!
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