Bauen

Aus dem Kurfürstlichen Wagenhaus wurde das Amberger Stadtarchiv. (Foto: Architekturbüro Gildehaus.Partner)

13.07.2018

Noble Unterkunft

Das Amberger Stadtarchiv ist ins Kurfürstliche Wagenhaus umgezogen

Wie kann eine Kommune ein Gebäude sinnvoll nutzen, das 1615 im Auftrag des Kurfürsten Friedrich V. als sogenanntes Kurfürstliches Wagenhaus erbaut worden war, in seiner letzten Funktion über 30 Jahre hinweg als Braustätte diente und seit 1994 leer stand? Vor dieser Frage stand die Stadt Amberg, nachdem sie den historischen Bau – eines der bedeutendsten profanen Baudenkmale der Stadt und als solches in der Denkmalliste eingetragen – im Jahr 2006 von der Brauerei übernommen hatte.

Nachdem Ideen, hier eine Markthalle, einen „Kulturtempel“ oder einen Bürgersaal einzurichten, verworfen worden waren, beschloss der Stadtrat, das aus allen Nähten platzende und immer wieder vom Hochwasser der nahen Vils heimgesuchte Stadtarchiv dorthin zu verlegen. Und das, obwohl das Wagenhaus in seiner Substanz bereits deutliche Verluste zu verzeichnen hatte und die baulichen Voraussetzungen des im Renaissancestil gehaltenen Gebäudes, das ursprünglich vor allem für die Unterbringung von Kutschen sowie die Aktivitäten der Reiterei errichtet worden war, als nicht unbedingt besonders geeignet erschien.

Eine Reihe von Voruntersuchungen der konstruktiven Besonderheiten, der baulichen Mängel sowie der räumlichen Voraussetzungen bestätigten jedoch die prinzipielle Eignung des Objekts für den angestrebten Zweck. Nichtsdestotrotz war die Einordnung einer neuen, artfremden Funktion in dieses historisch bedeutsame und das Stadtbild prägende Gebäude zwangsläufig mit Konflikten verbunden. Sie zu lösen, stellte eine anspruchsvolle Aufgabe für alle Beteiligten dar. Diese bestand vorrangig darin, den Erhalt der Originalsubstanz mit den Anforderungen an die Qualität und Funktionalität der neuen Nutzung in Einklang zu bringen. Vor diesem Hintergrund wurde 2013 ein VOF-Auswahlverfahren gestartet, das das Architekturbüro gildehaus.partner erfolgreich für sich entschied.

Die geniale Entwurfsidee der Weimarer Architekten basierte auf einem zentralen Aspekt: Alt und Neu sichtbar zu machen, indem der Alt- und ein Neubau räumlich voneinander getrennt werden, sodass beide „Häuser“ klar erkennbar sind und einander gleichberechtigt ergänzen. Dazu wurde ein neuer Baukörper im Abstand von rund 90 Zentimetern als „Haus-im-Haus“-Konstruktion in das historische Gebäude eingefügt. Es handelt sich dabei um eine aus Stützen, aussteifenden Wänden und Decken bestehende Stahlbetonkonstruktion, die über zwei Geschosse sowie eine Gesamtfläche von rund 780 Quadratmetern verfügt und gemeinsam mit den historischen Außenwänden des Wagenhauses einen für das Archiv bauphysikalisch günstigen „Zwischenraum“ bildet. Die Außenwände dieses „eingestellten“ Neubaus sind durch eine begehbare Fuge von der Originalsubstanz abgelöst.

Der neue Baukörper endet unterhalb der Dachkonstruktion des Wagenhauses. Lediglich das Treppenhaus greift bis in das Dachgeschoss ein. Zudem wurden bereits gestörte Bereiche zwischen den Hauptgebindelagen des Dachtragwerks für einen Technikaufbau genutzt, um den bauzeitlichen Dachstuhl weitgehend zu erhalten. An geeigneter Stelle durchstößt der Neubau die Fassade und bildet ein außerhalb des Bestandes liegendes Eingangsgebäude aus. Dieses ist rund vier Meter hoch und verfügt über eine Grundfläche von rund 150 Quadratmetern.

Wechselspiel
von Alt und Neu

Über das als eingeschossige Stahlbetonkonstruktion errichtete Gebäude wird das neue Stadtarchiv direkt vom inmitten der Altstadt gelegenen Paulanerplatz erschlossen. Es fungiert als Foyer und „Kopf-Bau“ im doppelten Sinn, denn es hat neben dem öffentlichen Zugang zum Archiv und dem Lesesaal auch die Archivverwaltung aufgenommen. Die bestehende Hofmauer am Paulanerplatz blieb erhalten und die ebenfalls im Bestand vorhandenen Tore geben nun den Blick frei auf die jeweils inneren Gebäudeschichten.

Neben dem erforderlichen Abbruch der Brauereieinbauten und der baulichen Instandsetzung galt es jedoch, weitere relevante Sanierungsanforderungen zu erfüllen. So gehörten städtebauliche Aspekte, denkmalpflegerische Anforderungen sowie aufgrund der unmittelbaren Nähe zu angrenzenden privaten Fremdgrundstücken auch ein intensiver nachbarschaftlicher Dialog zu den Punkten, die in den Planungsprozess zu integrieren waren. Außerdem hatte man in den 1950er und 1960er Jahren kontaminierte Baustoffe wie Teerkork und teerhaltige Anstriche eingebracht, die im Rahmen der Renovierung wieder ordnungsgemäß ausgebaut und entsorgt werden mussten.

Schließlich zeigte sich, dass aufgrund der nach heutigen Gesichtspunkten unzulässigen baulichen Veränderungen und der Tatsache, dass die historischen Bestandsfundamente über lange Wandabschnitte nur einseitig und schmal abgestützt worden waren, die Standsicherheit des Gebäudes nicht mehr gegeben war. Sie konnte mithilfe der Unterfangung großer Fundamentabschnitte im HDI-Verfahren jedoch wiederhergestellt werden. Rund drei Jahre dauerte der aufwendige Umbau, der unter der Leitung des Hochbauamts der Stadt Amberg stattfand und im Städtebauförderungsprogramm „Städtebaulicher Denkmalschutz“ mit Mitteln des Bundes und des Freistaats Bayern gefördert wurde.

Nach Abschluss dieser Maßnahme und dem Umzug des Stadtarchivs wird offenbar, dass sich im Wechselspiel von Alt und Neu innerhalb, außerhalb und zwischen den beiden Gebäudehüllen spannende Räume gebildet haben. Die doppelte Hülle des „Hauses-im-Haus“ lädt ein zum Spiel zwischen Öffnen und Schließen, zwischen Verbergen und Sichtbarmachen, zwischen Schützen und Präsentieren.

Auf diese Weise wurde eine neue öffentliche Präsenz für das Stadtarchiv Amberg kreiert, dessen teilweise mehr als 700 Jahre alten Archivalien einen idealen Platz zur Aufbewahrung erhalten haben. Darüber freuen sich nicht nur die neuen Hausherren, Stadtarchivar Johannes Laschinger und sein Stellvertreter Jörg Fischer, sowie ihre beiden Mitarbeiterinnen, sondern auch die Amberger Bevölkerung, die das Angebot gerne und zahlreich annahm, das Gebäude im Rahmen von öffentlichen Führungen zu besichtigen und sich selbst von der gelungenen Maßnahme zu überzeugen. (Susanne Schwab)

(Die begehbare Fuge und das Archiv. So sah das Wagenhaus früher aus - Fotos: Architekturbüro Gildehaus.Partner)

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