Der Schlag der berühmten astronomischen Uhr hallt übers Kopfsteinpflaster, Nebelschwaden kriechen durch enge Gassen, steinerne Heilige werfen lange Schatten – und irgendwo zwischen Karlsbrücke und jüdischem Viertel erwachen alte Geheimnisse zu neuem Leben. Prag war schon immer eine Stadt der Mysterien und Legenden, doch in diesem Herbst wird die Stadt an der Moldau selbst zur Hauptfigur eines Thrillers: Dan Brown, Meister der Rätsel und verschlüsselten Botschaften, hat die Goldene Stadt als Bühne für seinen neuesten Roman The Secret of Secrets gewählt.
Browns neuer Thriller wirft ein Schlaglicht auf etwas, das in Tschechien seit jeher präsent ist, die Lust am Rätselhaften, verschwimmende Grenzen zwischen Geschichte und Legende sowie der Zauber der Vergangenheit.
Wer durch die Altstadt Prags streift, kann die Stimmen vergangener Zeiten regelrecht flüstern hören. Die Karlsbrücke etwa, deren steinerne Bögen die Moldau seit über 660 Jahren überspannen, ist nicht nur eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt, sondern auch Schauplatz zahlloser Legenden. Kein Wunder, denn die steinernen Heiligen scheinen Passanten bis heute mit prüfendem Blick zu begleiten. Nicht weit entfernt zieht das Prager Jesulein seit Jahrhunderten Pilger und Neugierige an und ist bis heute eines der bekanntesten Gnadenbilder Jesu. Die kleine Statue, die in der Kirche Maria vom Siege (Tschechisch: Kostel Panny Marie Vítezné) verehrt wird, gilt als wundertätig und hat in ihrer bewegten Geschichte seit 1628 Kriege und politische Umbrüche überdauert.
Das jüdische Viertel, ein Labyrinth aus engen Straßen und ehrwürdigen Synagogen, ebenfalls ein Schauplatz in Browns Thriller, ist unterdessen der Geburtsort der Legende des Golems, der auch in The Secret of Secrets eine bedeutende Rolle spielt. Der Sage zufolge formte Rabbi Löw im 16. Jahrhundert eine Gestalt aus Lehm, um das jüdische Ghetto in Prag vor Verfolgung zu schützen. Eine große, unförmige, stumme Silhouette, weder Mensch noch Maschine – der Golem soll bis heute bei Dunkelheit durch die Gassen des Viertels streifen, so auch der Golem bei Dan Brown.
Expertin für Noetik
Die letzten Monate des Jahres in Prag bedeutet kürzere Tage und längere Schatten, und gerade dann entfalten die Friedhöfe der Stadt ihre besondere Anziehungskraft. Der moosbewachsene Olany-Friedhof, einer der größten in Europa, ist ein stiller Park aus Grabsteinen, Monumenten und wucherndem Efeu. Die ersten Bestattungen reichen bis ins späte 17. Jahrhundert zurück, und bis heute sollen hier schätzungsweise zwei Millionen Menschen ihre letzte Ruhe gefunden haben. Dort wird Stadtgeschichte in Stein erzählt – von barocken Skulpturen bis zu Art-déco-Mausoleen. Friedhöfe wie dieser sind keine Orte des Schreckens, sondern der Erinnerung, die Prag seine ganz eigene Melancholie verleihen.
Jetzt aber zurück zu The Secrets of Secrets. Die Handlung entführt, wie bereits erwähnt, mitten ins Herz der tschechischen Hauptstadt, wo der Meister des mystischen Thrillers seinen Helden Robert Langdon durch Prags Gassen irren lässt, auf der Suche nach okkulten Symbolen, alchemistischen Rätseln und verborgenen Wahrheiten.
Langdon, Symbolforscher und Harvard-Professor, begleitet seine Freundin und Bewusstseinsforscherin Katherine Solomon nach Prag, die dort auf Einladung einen Vortrag halten soll. Die Wissenschaftlerin, die als Expertin für Noetik vorgestellt wird, ein Feld, das Philosophie, Spiritualität und Wissenschaft verbindet, um Fragen nach Bewusstsein, Tod und der Macht des Geistes zu untersuchen, bereitet die Veröffentlichung eines Buches vor, in dem sie die Kräfte des menschlichen Bewusstseins und die Fähigkeit des Geistes, die materielle Welt zu beeinflussen, erforscht.
„Es ist kein Geheimnis, dass ich gerne über große Themen schreibe: Die Ursprünge des Christentums, künstliche Intelligenz oder Überbevölkerung. Aber es gibt kein größeres Thema als das menschliche Bewusstsein. Es ist die Brille, durch die wir die Realität und uns selbst betrachten“, verriet Brown bereits vorab in einem Social-Media-Clip.
Ein brutaler Mord
Geheimnisvolle Begegnungen und ein brutaler Mord an der Frau, die Solomon eingeladen hat, stürzen den Tripp nach Prag in ein Chaos in Brownschem Ausmaß. Katherine verschwindet urplötzlich und auch ihr bisher unveröffentlichtes Buchmanusskript. Solomons bahnbrechende Forschungsergebnisse sind für die CIA zu brisant, als dass sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürften. Beide, Solomon und Langdon, sehen sich daher fortan einer mächtigen Organisation mit scheinbar unerschöpflichen Ressourcen gegenüber.
Gleichzeitig tritt auch eine Figur aus Prags ältester Mythologie auf den Plan, der Golem, der nur ein Ziel verfolgt: gnadenlose Rache.
Umgeben von imposanten Burgen und Kirchen, auf geheimnisumwitterten Friedhöfen und in unterirdischen Labyrinthen jagen die beiden Protagonisten durch eine Stadt, die mehr in ihren dunklen Schatten offenbart als im Licht des hellen Tages.
Mehr sei zu The Secret of Secrets nicht verraten.
Jedoch noch ein kleiner Praghinweis: Die astronomische Uhr an der Südseite des Turms des Altstädter Rathauses ist der Blickfang auf dem Cover der deutschen Edition. Die Uhr ist ein über 600 Jahre altes Meisterwerk der Technik im Herzen der böhmischen Metropole, das bereits im Mittelalter zu den Weltwundern gezählt wurde.
The Secret of Secrets ist ein typischer Dan Brown mit Robert Langdon als Hauptfigur. Reißerisch und spannend, dass man als Leser teilweise das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen will. Dennoch hat der neue Thriller erhebliche Längen, die den Leser rätseln lassen, ob er nun ein wissenschaftliches Werk über Noetik in Händen hält oder einen Thriller. Leider ziehen sich nämlich Passagen, die zum Teil sehr abstrakte und komplizierte naturwissenschaftliche Zusammenhänge rund um das Thema Bewusstsein beinhalten, über viel zu viele Seiten hin und trüben daher den Lesegenuss und Thrill etwas. Dennoch ist der neue Dan Brown ein absolutes Muss für jeden Langdon-Fan und bietet spannende Unterhaltung. (Friedrich H. Hettler)
Infos zu Prag und Tschechien unter (www.visitczechia.com).
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