Kommunales

Die Kommunen rechnen beim Familiennachzug anerkannter Asylbewerber mit dem Faktor 3 bis 4 - mindestens. (Foto: dpa)

15.01.2016

"Bürgermeister aller Parteien sind alarmiert"

Der Hohenwarter Bürgermeister und Gemeindetagsfunktionär Manfred Russer (CSU) über die Folgen eines möglichen Familiennachzugs der Asylbewerber

Während sich Politiker in Bund und Land noch über die Möglichkeiten einer Begrenzung des Zustroms weiterer Flüchtlinge streiten, droht den Kommunen die nächste Herausforderung: Die ersten Asylbewerber sind anerkannt und planen den Nachzug ihrer Angehörigen. Der Gemeindetag sieht das kritisch und fordert in einer Resolution, den Familiennachzug zu begrenzen.
BSZ Herr Russer, wie schaut die Flüchtlingssituation derzeit konkret in Ihrer Gemeinde aus?
Russer Momentan haben wir – bei rund 4500 Einwohnern – 50 Flüchtlinge im Ort, bis Ende Januar sollen noch 40 weitere hinzukommen. Aber das ist nur der aktuelle Stand, es können auch noch mehr werden. BSZ Mit welchem Familiennachzug rechnen Sie quantitativ?
Russer Von den genannten Personen sind 38 allein stehende Männer, fast alle zwischen 20 und 30 Jahren alt. Sollten die ihre Familien nachholen, rechnen wir mit einem Faktor von mindestens 3 bis 4 also etwa 120 weiteren Personen. Und das ist nur unser Ort. Im Landkreis wären es schon mehrere tausend Menschen, in Bayern wiederum gibt es 71 Landkreise. Und wir reden nur von den Asylbewerbern, die schon da sind.

"In einer Nachbargemeinde will ein anerkannter Syrer acht Angehörige nach Deutschland holen"

BSZ Aber sind die denn alle verheiratet und haben mehrere Kinder?
Russer Nein. Das muss aber auch nicht so sein. Denn es ist nach meinen Informationen ja nicht so, dass die anerkannten Asylbewerber – meistens sind es ja Männer – nur ihre Ehefrauen und Kinder nachholen. In der Praxis scheint es ja so zu sein, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auch ihre Eltern und minderjährigen Geschwister nachholen dürfen. Ich weiß von einem Fall aus der Nachbargemeinde Schweitenkirchen, da hat ein – verheirateter – anerkannter Flüchtling acht Angehörige, die er nach Deutschland nachholen will.

BSZ Und diese Menschen sind nicht mehr unterzubringen?
Russer Nein, definitiv nicht. Praktisch allen Kommunen fehlen dazu die finanziellen wie auch die organisatorischen Ressourcen, um zusätzlich zu den vielfach anstehenden Aufgaben in den Städten und Gemeinden eine Vielzahl an binnen kurzem erforderlichen Wohnungen zur Verfügung stellen zu können. Die versprochenen Zuschüsse oder Förderprogramme von Land und Bund – selbst wenn das Geld kommt – werden hier keine sinnvolle Entlastung bringen. Schon die logistische Herausforderung ist zu groß.

BSZ Wie viele Leute arbeiten in Ihrem Rathaus?
Russer Wir haben umgerechnet neun Vollzeitstellen, das reicht nicht mal ansatzweise, um den zusätzlichen Arbeitsaufwand zu stemmen. Zwar heißt es immer, dann sollen eben die Landkreise mehr Personal einstellen und das tun die Landratsämter ja auch unentwegt. Aber die Personalkosten dafür holen uns hintenherum wieder ein – über eine deutlich höhere Kreisumlage, die die Gemeinden zu zahlen haben. Das ist dann Geld, das uns im Gemeindehaushalt für andere Aufgaben fehlt. Wie soll ich das unseren Bürgern denn erklären, dass es ständig neue Wasserstandsmeldungen bei der künftigen finanziellen Mehrbelastung gibt?

"Wenn das so weitergeht, halte ich öffentliche Unruhen nicht mehr für ausgeschlossen"

BSZ Wie viele Sozialwohnungen gibt es denn derzeit in Hohenwart?
Russer Vier. Wobei zwei davon allein von einer Familie belegt sind – allerdings mit einer Familie von EU-Ausländern. Sicher, die Obdachlosenunterbringung war und ist eine Pflichtaufgabe der Gemeinden und daher von diesen zu erfüllen. Aber wissen Sie, wie viele „einheimische“ Obdachlose wir hier in unserem Ort haben? Vier. Die haben wir in Wohncontainern untergebracht. Aber wir könnten ja, um weitere Obdachlose unterzubringen, nicht mal, statt richtiger Wohnungen, genügend Wohncontainer finanzieren. Für Dimensionen, wie sie jetzt auf uns zukommen, sind die geltenden gesetzlichen Vorschriften zur kommunalen Obdachlosenunterbringung nicht ausgelegt. Da wird auf die Gemeinden ein Problem abgewälzt, was an höherer Stelle zu lösen ist. BSZ Und die private Bauwirtschaft?
Russer Die hat kaum Interesse, Sozialwohnungen zu bauen. Das ist auch nachvollziehbar, denn mit Sozialwohnungen lässt sich nun mal keine vernünftige Rendite erwirtschaften.

BSZ Was wird passieren, wenn hunderte anerkannte Migranten samt ihrer Angehörigen irgendwann auf der Straße stehen?
Russer Ganz ehrlich? Ich halte öffentliche Unruhen dann nicht mehr für ausgeschlossen, man muss das mal so offen sagen. Denn diese Menschen kommen ja mit ganz anderen Erwartungen nach Deutschland. Wenn das so weitergeht – dann ist hier in zwei, drei Jahren Land unter.

"Man darf das Thema nur noch positiv sehen, Kritik ist unerwünscht"

BSZ Wie ist aktuell die Stimmung in der Bevölkerung?
Russer Unsere ehrenamtlichen Helfer leisten Sensationelles, an der Grenze ihrer Belastungsfähigkeit. Aber ich rede ja auch mit vielen Bürgern und da spüre ich große Angst und auch Unzufriedenheit. Aber hinterher sagen mir die Menschen immer, ich soll das bitte für mich behalten, dass sie das so sehen. Unter den Menschen herrscht inzwischen eine große Skepsis, offen und ehrlich die eigene Meinung zur Flüchtlingsproblematik zu sagen ohne gleich in die „rechte Ecke“ gestellt zu werden. Man darf bei diesem Thema inzwischen nicht mehr warnen oder Kritik äußern, es darf nur noch positiv gesehen werden. BSZ Die von Ihnen als Kreisvorsitzender des Bayerischen Gemeindetags verfasste Resolution an Politiker in Land und Bund und die darin geäußerte Kritik sehen alle Bürgermeister in Ihrer Region so?
Russer Absolut alle, parteiübergreifend. Da gibt es keinerlei Unterschiede zwischen christsozialen, sozialdemokratischen und Freie Wähler-Bürgermeistern. Alle stimmen zu.

BSZ Angesichts dieser Situation: Wie bewerten Sie dann die Forderung von Landes- und Bundespolitikern von SPD und Grünen, dass es auch künftig keinerlei Einschränkungen beim Familiennachzug geben darf?
Russer Wer A sagt, muss auch B sagen. Aber die Umsetzung, das Managements der gesamten Problematik sind fernab jeglicher Realität. Und ideologisch motiviert.  (Interview: André Paul)

Kommentare (3)

  1. Zitrone am 18.01.2016
    Wir haben in Mitteleuropa jahre- wenn nicht jahrzehntelang die Augen vor den Problemen verschlossen, die jenseits des Mittelmeeres wuchsen und uns über die Friedhofsruhe der Dikatoren gefreut, die uns diese vom Halse hielten. Nun sind sie mit der Unterstützung unserer "Freunde" Großbritannien, Frankreich (Libien) und unseres großen Stiefbruders USA (Irak, Afghanistan) vor die Füsse gefallen. Und wer behauptet, eine Lösung zu haben, der lügt und da sollten wir unsere Politiker auch nicht überfordern, die auch nur Menschen sind. Wir dürfen sie aber auch nicht aus der Verantwortung entlassen, die wir Ihnen übertragen haben.
    Es scheint mir beides richtig, nochmals ein paar Jahre lang jeweils 500.000 bis 1.000.000 Menschen plus Famlien, auch für eine hilfsbereite offene Gesellschaft nicht machbar, irgendwann muss jeder freiwillige Helfer wieder zurück in seinen Alltag. Andererseits, Familien zu zerreissen, humanitär und christlich wäre das auch nicht. Wiederum andererseits, politisch verfolgte Menschen gibt es besonders in den großen Nationen wie China, Indien, Russland. Wo ist die Grenze? Wer von uns ist bereit, eine Flüchtlingsfamlie in seinem Haus aufzunehmen? Rund um den Tegernsee und in bestimmten Stadtteilen von München gibt es viele große Häuser mit viel Platz.
    Und wann ändert die Weltgemeinschaft die himmelschreiende Ungerechtigtkeit von der Verteilung der Güter? Wahrscheinlich nie, denn Geld regiert die Welt. Aber mit mehr Gerechtigkeit könnte jeder Mensch in seiner Heimat bleiben.
  2. A. Brokurowski am 17.01.2016
    Gewiss wird die Unterbringung der Familienangehörigen viele Kommunen vor Schwierigkeiten stellen, aber kann man es verantworten, dass die Frauen mit ihren minderjährigen Kindern in zerbombten und zum Teil belagerten und von der Versorgung abgeriegelten Regionen Syriens zurückgelassen werden? Oder in den Camps der Nachbarstaaten, in denen es an Essen mangelt und in denen es seit Jahren nur für einen Teil der Kinder Unterricht gibt? Fordert dies allen Ernstes eine christliche Partei, der Ehe und Familie heilig sind? Man kann nicht erst die Menschen mit dem Versprechen des Schutzes hierher holen und dann Schlag auf Schlag humanitäre Prinzipien über Bord werfen!
  3. otto regensbacher am 15.01.2016
    Merkel ist die erste Kanzlerin der Deutschen, die vorsätzlich einen massiven Verfassungsbruch i.S. Migranten begangen hat. Ohne das Parlament einzubeziehen, entschied sie selbstherrlich, dass EU- und deutsches Recht nicht mehr anzuwenden sind. Das Ergebnis kennen wir ja: Täglich kommen Abertausende Migranten und Armutsflüchtlinge. Man darf Merkel als die größte Rechtsbrecherin im Amt eines Bundeskanzlers bezeichnen - insbesondere unter Verweis auf die vorliegenden Rechtsgutachten von Verfassungsjuristen!
    Es ist höchste Zeit, dass die an der Regierung beteiligten Parteien in Berlin dieser Frau ihren Rücktritt anheim stellen.
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