Kommunales

Gemeinsam mit ihrer Assistentin Ina Gölitzer (links) behandelt Veterinärin Elke Ettel eine hochträchtige Katze. (Foto: Christ)

24.08.2018

Hilfe für Hartz-IV-Haustiere

In der Aschaffenburger "Tieroase" werden kostengünstig die vierbeinigen Freunde von sozial schwachen Herrchen und Frauchen behandelt

Leo, ein zwei Jahre alter Huskymischling von Diana Stieler, ist ein extrem schlanker Hund. Kein Wunder. „Er frisst nur ganz spezielles Futter“, schildert sein Frauchen in der Sprechstunde der Aschaffenburger „Tieroase“. Das gefällt Tierärztin Elke Ettel gar nicht: „Leo ist stark untergewichtig“, stellt sie fest. Dabei hat er weder Durchfall, noch erbricht er sich. „Vielleicht liegt es an der Bauchspeicheldrüse“, vermutet die Veterinärin. Doch dafür bräuchte es eine Blutentnahme. Was in der heutigen Sprechstunde nicht machbar ist. Leider.

Seit fünf Jahren gibt es mit der Tieroase in Aschaffenburg ein bundesweit einmaliges Projekt. Tierbesitzer mit wenig Geld können ihren Hund, ihre Katze, ihr Meerschweinchen oder den Hamster gegen eine Gebühr von fünf Euro pro Besuch untersuchen und behandeln lassen. Die Idee geht auf die Tierärztin Elke Ettel aus Mainaschaff (Landkreis Aschaffenburg) zurück. „Bei einer unserer regelmäßigen Notdienstbesprechungen aller Tierärzte aus Stadt und Kreis Aschaffenburg kam die Idee auf, Hunde von Obdachlosen kostenlos zu behandeln“, berichtet die Veterinärin. Das fand sie gut. Allerdings: „Ich warf ein, dass ja auch andere sozial schwache Menschen Hilfe benötigen, wenn ihr Haustier krank ist.“ Die Kollegen pflichteten ihr bei.

Das war vor fünf Jahren die Geburtsstunde der „Tieroase“. Zu seinem Namen kam das Projekt durch den Aschaffenburger Sozialverein „Oase“, der sofort zur Kooperation bereit war. Die Tiersprechstunde passte gut ins Konzept der „Oase“, gab es doch bereits eine Tierfutterausgabe für Bedürftige. „Die Sprechstunde auf die Beine zu stellen, war am Ende allerdings nicht ganz einfach, wir mussten zunächst verschiedene Auflagen erfüllen“, berichtet Friedrich Greinert, Mitglied der Oase Aschaffenburg und seit zwei Jahren Leiter der Tieroase.

Vor allem die Impfkosten sind für viele zu teuer


Vor vier Jahren schließlich konnte das erste Haustier behandelt werden. Seither kommt im Zwei-Wochen-Rhythmus ein ehrenamtlicher Tierarzt für zwei Stunden in die Räume der „Oase“. Diane Stielers Hund Leo ist heute der erste Patient. Leo muss routinemäßig geimpft werden. Das würde in einer normalen Tierarztpraxis 65 Euro kosten – eine Menge Geld für die schwer behinderte Diana Stieler. „Ich bin Frührentnerin“, erzählt die Frau aus Aschaffenburg, die beim Gehen auf einen Rollator angewiesen ist.

Zusammen mit Elke Ettel engagieren sich 13 Tierärzte in der „Tieroase“. Diese Anzahl reicht im Moment auch aus, um den Bedarf zu decken, sagt Friedrich Greinert: „Zumal es Tage gibt, an denen nur drei Patienten in die Tiersprechstunde kommen.“ An anderen Tagen sind oft gleich acht Hunde und Katzen zu behandeln.

Heute stehen sieben vierbeinige Patienten auf der Liste. Nachdem Leo geimpft ist, kommt Oliver Bretthauer mit seiner Katze Kaily ins Sprechzimmer. Kaily ist unlängst von daheim ausgebüxt und hat sich schwängern lassen. Jetzt ist das Tier hochträchtig. „Hallo, Süße“, begrüßt Ettel das Tier, das ängstlich mit dem Köpfchen aus der Transportbox schaut. Vorsichtig tastet Elke Ettel die Katze ab: „Der Bauch ist ganz hart.“ Mindestens vier kleine Kätzchen, so vermutet sie, wird Mama Kaily in Kürze zur Welt bringen. „Es könnte schon morgen so weit sein.“

Herrchen Oliver Bretthauer hat bereits vorgesorgt und eine Geburtsecke in der Wohnung eingerichtet. Die jungen Katzen würde er gern an seine Freunde verschenken. „Nehmen Sie besser von jedem 50 Euro und lassen Sie Kaily danach kastrieren“, rät ihm Elke Ettel und verpasst der Katze ein sogenanntes Spot on-Präparat gegen Zecken, Flöhe und Spulwürmer. Gute Idee, findet Bretthauer, der sich gerade zum Landschaftsgärtner umschulen lässt. Auch deshalb lebt er im Moment auf Hartz IV-Niveau. Reguläre Tierarztkosten sind in seinem Budget nicht drin.

Ausschließlich eine Grundversorgung wird geleistet


Die Tieroase leistet ausschließlich eine Grundversorgung, schildert Friedrich Greinert. Was bedeutet, dass zum Beispiel keine Operationen vorgenommen werden. „Dafür hätten wir die Räume nicht.“ Allerdings soll demnächst erstmals ein Spezialtermin organisiert werden, an dem allen Patienten, die das nötig haben, Blut abgenommen wird. Auch der spindeldürre Huskymischling Leo wird dann einbestellt.

Manche Tierbesitzer kommen fast zu jeder Sprechstunde. Denn einige Hunde und Katzen sind schon alt und chronisch krank, regelmäßig müssen sie Medikamente einnehmen. Zu ihnen zählt der elf Jahre alte Schweizer Sennenhund Sammy. Heute wird der Rüde vorgestellt, weil sein Zahnfleisch stark entzündet ist. Deswegen ist es ihm auch nicht mehr möglich, Trockenfutter zu beißen. „Ohne die Tieroase wäre ich wirklich aufgeschmissen“, sagt Sammys Frauchen. Die 32-Jährige leidet seit fünf Jahren an einer speziellen Art von Leukämie. Ständig treten neue Beschwerden auf. Arbeiten ist nicht mehr möglich, das Krankengeld längst ausgelaufen. Die Aschaffenburgerin lebt von Grundsicherung und muss jeden Cent dreimal umdrehen.

Behandelt werden in der Tieroase fast ausschließlich Katzen und Hunde. „Nur in Ausnahmefällen kommen Tierhalter mit Meerschweinchen, Hamstern, Vögeln oder Ratten zu uns“, verrät Greinert. Viele Tiere haben Gelenkprobleme, Allergien, Zecken, Ohrenkrankheiten, Futtermittelunverträglichkeiten, Magen- und Darmprobleme. Auch Krebserkrankungen sind nicht selten.

Rolex, einem fünf Jahre alten Chihuahua, geht es gerade richtig schlecht. „Er hat wahnsinnige Bandscheibenschmerzen“, sagt Elke Ettel zu Frauchen Sandra Ergül. Außerdem stellt die Tierärztin fest, dass etwas mit dem Herz des Hundes nicht stimmt. Ergül nimmt drei verschiedene Medikamente mit. Den Kindern der alleinerziehenden Mutter, die mit einem Teilzeitjob insgesamt fünf Personen durchbringen muss, wird eingeschärft, in nächster Zeit nicht mit Rolex zu spielen. Der Hund braucht absolute Ruhe. „Also auf keinen Fall Bällchen werfen.“ Schont sich der Chihuahua jetzt nicht, kann er querschnittsgelähmt werden.

Von Neuanschaffungen wird den Haltern abgeraten


Nach Rolex kommt Charlie, der beste Freund von Richard Twardy. „Meine Kinder wohnen weit weg, ich habe nur meinen Hund“, sagt der Rentner, der von 800 Euro im Monat lebt. 600 Euro gehen für die Miete weg. Auch Twardy muss ständig knapsen. Dennoch möchte er alles, was möglich ist, für Charlie tun. Denn der Hund, der an Epilepsie leidet, ist sein Ein und Alles.

„Die Aschaffenburger Tieroase ist in dieser Form deutschlandweit einzigartig“, erläutert Friedrich Greinert. Die Initiative unterscheidet sich von ähnlichen tierärztlichen Hilfsprojekten dadurch, dass Tierhalter nicht nur punktuell, sondern auf Dauer unterstützt werden. Außerdem versucht das Oase-Team, mit wenig Bürokratie auszukommen. Die Tierbesitzer müssen lediglich nachweisen, dass sie auf Hartz-IV-Niveau leben, dass ihr Tier mindestens zwei Jahre alt ist und dass sie es mindestens ein Jahr lang besitzen. Pro Haushalt werden zwei Tiere behandelt.

Diese Voraussetzungen werden streng geprüft, denn die via Spenden finanzierte Initiative will kein Messietum mit Tieren und keine Neuanschaffungen von Haustieren fördern. Greinert: „Wir möchten Tierbesitzern helfen, die unverschuldet in finanzielle Not geraten sind und ihr Tier deshalb nicht mehr versorgen können.“ Für die Behandlung muss eine Gebühr von fünf Euro berappt werden. Die zu verlangen, ist der Verein verpflichtet, denn Tierärzte dürfen nicht umsonst arbeiten. Wobei nicht jeder Tierhalter imstande ist, die fünf Euro aufzubringen. Dann werden andere Wege gesucht. „Leidet ein Tier oder hat es Schmerzen, helfen wir in jedem Fall.“ (Pat Christ)

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