Kommunales

Scheinbar ist Lärm in Biergärten von anderer Art als in Straßenkneipen oder auf Festen. (Foto: dpa)

24.03.2016

Immer zeitigere Sperrstunden

Früher durfte im Außenbereich bayerischer Wirtshäuser bis spät in die Nacht gefeiert werden – vorbei

Während im Nachbarland Baden-Württemberg in Kneipen bis Mitternacht draußen gefeiert werden darf, kuschen viele bayerische Kommunen in letzter Zeit verstärkt vor auf Ruhe klagenden Anwohnern und bremsen ihre örtliche Gastronomie aus. Das Problem: Im Freistaat fehlt eine einheitliche Außenbewirtschaftungsverordnung. Wie viele Kneipengäste werden wohl künftig in lauen Sommernächten um 23 Uhr vom bayerischen Süd- auf das württembergische Westufer, von Neu-Ulm nach Ulm, wechseln? Denn dort, im Ländle, dürfen sie nun bis Mitternacht draußen sitzen und feiern. In Bayerisch-Schwaben dagegen werden die Tische bereits eine Stunde vorher geräumt. Es gibt in Neu-Ulm sogar einige Kneipen, in denen Gäste bereits um 22 Uhr von den Außen-Tischen verscheucht werden. Aus dem Ordnungsamt der Kommune heißt es, wegen der Lautstärke habe es „Einzelfall-Entscheidungen“ gegeben.
In Fürth in Mittelfranken belastet eine Einzelentscheidung nicht nur eine einzelne Wirtschaft, sondern gleich eine ganze Kneipenmeile: die Gustavstraße. Dorthin kommen sogar Gäste aus der Nachbarstadt Nürnberg gerne; die trauen sich sonst kaum über die Stadtgrenze. Doch ein Hausbesitzer, er wohnt noch nicht einmal in der Straße, hat auf sein Ruherecht gepocht. In der Gustavstraße heißt es nun wochentags: 22 Uhr ist Zapfenstreich. Lediglich an Wochenenden und zu einigen Festivitäten ist eine Stunde länger Draußensitzen erlaubt. Das hat dieser Tage wiederholt ein Verwaltungsgericht so festgelegt. Die Stadtverwaltung denkt immer noch über Einspruchsmöglichkeiten nach.

Kneipen müssen schließen


Derweil schließen dort Kneipen. So steht zum Beispiel die größte, der Gasthof Grüner Baum, schon lange leer. Zuletzt kündigte der Wirt des Traditionslokals Pfeifndurla ebenfalls an, keine Lust mehr zu haben. Von der Initiative „Wir sind Gustavstraße“ ist zu hören: „Die Gerichtsentscheidung, 22 Uhr zu schließen, ist wochentags lebensfremd, die Außentische gibt es ohnehin nur im Sommer.“
Doch die Oberbürgermeister von Erlangen, Schwabach und Nürnberg nebst den Landräten der umgebenden Landkreise erklärten sich solidarisch mit dem Fürther OB Thomas Jung (SPD). Ulrich Maly (SPD), Nürnbergs Stadtoberhaupt und Vorsitzender des Bayerischen Städtetags, forderte im Namen aller „eine staatliche Regelung für Gaststätten, vergleichbar mit der Biergartenverordnung.“
Seit 1999 ist im Freistaat für die besonders in Altbayern weit verbreiteten Biergärten als Tageszeit die Zeit von 7 bis 23 Uhr festgelegt. „Die Betriebszeit ist so zu beenden, dass der zurechenbare Straßenverkehr bis 23 Uhr abgewickelt ist“, heißt es im Gesetzestext, nachzulesen in der Bauordnung, Artikel 361d. „Biergärten, die Erholung im Freien und den Verzehr mitgebrachter Speisen ermöglichen, sind Ausdruck bayerischer Lebensart. Es gibt sie nur in relativ kleiner und überschaubarer Zahl.
Doch die Biergartenverordnung gilt nicht nur für „alte“ Biergärten. Auch neu eröffnete Betriebe und selbstverständlich auch Gaststätten in Nordbayern können unter die Regelung der Biergartenverordnung fallen, wenn sie die genannten Kriterien erfüllen.“ Das antwortet das bayerische Wirtschaftsministerium schriftlich auf Nachfrage der Staatszeitung, warum es bislang keine allgemeine Außenbewirtschaftungsverordnung für Stadt und Land gibt.

Aigner sieht keinen Bedarf


Scheinbar ist Lärm in Biergärten von anderer Art als in Straßenkneipen oder auf Festen. Denn Bayerns Verwaltungsgerichte berufen sich immer auf die Technische Anleitung TA Lärm, wenn sie die Außenbewirtschaftung ein-schränken. Ob in Augsburg („Die Kläger haben Anspruch auf weitere geeignete Maßnahmen des aktiven Schallschutzes zur Nachtzeit, das heißt, in der Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr“, VG Augsburg Au 4 K 11.809) oder in Kahl am Main. Dort wurde im vergangenen Jahr die Ortskirchweih „Kerb“ abgeblasen. Ein Ehepaar hatte auf Ruhe geklagt, woraufhin der Vorstand des Veranstaltervereins laut Mainpost erklärte: „Für die Kerb geh’ ich nicht in’ Knast!“
Gerade noch abgewendet werden konnte 2015 die Absage des größten Fests im Frankenwald. Das Kronacher Freischießen fand statt, weil sich Kläger und Verantwortliche schriftlich auf eine Sperrzeit von 24 Uhr während der Woche und Ausschank bis 1 Uhr am Wochenende geeinigt hatten. Doch auch in Kronach würde man sich viel lieber auf eine staatliche Verordnung berufen, statt Angst vor der TA Lärm zu haben. „Einem Gerichtsurteil sind wir gottseidank entgangen. Aber Fürth macht Schule. Plötzlich trauen sich viele zu klagen“, sieht man auch im Kronacher Rathaus eine Art neuen „Ruhe-Egoismus“ aufziehen.
Doch bei der bayerischen Staatsregierung beißen betroffene Gemeinden mit ihren diesbezüglichen Nöten bislang noch auf Granit. „Das Wirtschaftsministerium hat bereits 2014 Hinweise an die Vollzugsbehörden versandt, wie die Öffnungszeiten von Freischankflächen verlängert werden können. Dies trägt der Lebenswirklichkeit besser Rechnung als eine pauschale Freischankflächen- oder Kneipenstraßenverordnung“, erklärt eine Sprecherin von Ressortchefin Ilse Aigner (CSU). Städtetagschef Maly will aber nicht aufgeben und kündigt nun eine entsprechende Initiative seines kommunalen Spitzenverbands an. (Heinz Wraneschitz)

Kommentare (3)

  1. Jura am 28.04.2016
    Zitat aus oben stehendem Text: "...er wohnt noch nicht einmal in der Straße..."
    Ist es möglich, dass Autoren, deren Artikel in der (seriösen) Bayerischen Staatszeitung veröffentlicht werden, zu den von ihnen behandelten Sachverhalten nicht die wichtigsten Details kennen müssen? In diesem Fall wäre das das jüngste Urteil des VGH (München), in dem eindeutig festgestellt wurde, dass es für das Recht zur Klage ausreicht, Hausbesitzer zu sein. Man muss das betreffende Haus nicht bewohnen. Im vorliegenden Fall Gustavstraße bewohnte der Hausbesitzer das Haus auch.
    Die Umstände, die den Wegzug bedingten, hat "aus Färdd" dankenswerterweise bereits erläutert.
  2. "Ruhe-Egoist" am 15.04.2016
    Ich lege Wert auf eine ausreichende Nachtruhe von etwa acht Stunden. Muss ich mich von nun an als "Ruhe-Egoist" verspotten lassen?
    Ich werde meinen Hausarzt fragen, ob es zur Nachtruhe evtl. neue wissenschaftliche Studien gibt, die vom Hotel-und Gaststättenverband oder von politischen Parteien gefördert wurden. Nur so kann ich mir nämlich erklären, dass plötzlich ein gesunder Schlaf weniger wichtig sein soll als nächtliches Sitzen und Lärmen im Freien.
  3. aus Färdd am 14.04.2016
    "Doch ein Hausbesitzer, er wohnt noch nicht einmal in der Straße, hat auf sein Ruherecht gepocht."
    Dieser Hausbesitzer würde heute noch dort wohnen, wenn er nicht von einigen "Gastronomen", ihrem Personal und manchen Gästen der Gustavstraße aufs Übelste angefeindet und behandelt worden wäre. Ein Mitglied des Altstadtvereins meinte - vor laufender Kamera - dazu: "In Betrieben würde man das Mobbing nennen" und der Fürther Ordnungs- und Rechtsreferent bezeichnete einige dieser Vorgänge als "faschistoid". Nach etlichen dieser Aktionen zog (nicht nur) dieser Hausbesitzer weg.
    Er kann sich aber nach wie vor auf den speziellen Bebauungsplan für dieses Gebiet berufen, der im Zuge der Altstadtsanierung zum Schutz der Anwohner aufgestellt und beschlossen wurde - und das ist gut so.
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