Kommunales

Kurorte und Heilbäder müssen ihren Besuchern ein angenehmes Umfeld und eine gute Infrastruktur anbieten – sonst ist der Titel rasch weg. (Foto: dpa)

22.08.2014

Verwirrte Gesundheits-Urlauber

Die deutsche Tourismusbranche kennt 17 verschiedene Bezeichnungen für Heilbäder und Kurorte - und beharrt auf den Unterschieden

Kirchberg im Bayerischen Wald ist ein „Erholungsort“. Die oberbayerischen Gemeinden Kochel und Walchensee nennen sich „Luftkurort“. Bad Tölz und Bad Heilbrunn sind sogar „heilklimatische Kurorte“. Klingt alles irgendwie ähnlich – aber wer soll da noch durchblicken? Doch die kleinen sprachlichen Unterschiede sind durchaus wichtig.
Derzeit gibt es rund 350 Heilbäder und Kurorte in Deutschland, davon sind 244 Mitglieder im Deutschen Heilbäderverband. Heilbäder und Kurorte sind „Kompetenzzentren für die Gesundheit“. Merkmale der Orte: „Hier werden natürliche Heilmittel des Bodens, Wassers oder Klimas und traditionelle Heilverfahren angewandt“, heißt es auf der Homepage. „Zudem bieten die Orte reizvolle Landschaften und saubere Luft, ein vielseitiges Angebot an Freizeitaktivitäten, ausgesuchte Kunst- und Kulturangebote, die Möglichkeiten einer vielschichtigen gesunden Ernährung und eine angemessene Infrastruktur.“

Hilfe bei der Orientierung

Kurorte unterteilen sich in sieben Kategorien: Heilbad, Kneippheilbad, Kneippkurort, Schrothheilbad, Schrothkurort, heilklimatischer Kurort und Luftkurort. Über die Anerkennung entscheidet in manchen Bundesländern – etwa in Bayern –, das Innenministerium, gemeinsam mit dem Fachausschuss für Kurorte, Erholungsorte und Heilbrunnen, dem auch Mediziner, Chemiker und Meteorologen angehören. In anderen Ländern kümmert sich das Wirtschafts- oder Gesundheitsministerium darum. Aber was sagen diese Labels eigentlich aus? Und was bringen sie letztendlich dem Urlauber?
„Die Gütesiegel helfen Urlaubern bei der Orientierung“, erläutert Claudia Gilles, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Tourismusverbandes. Zusammen mit dem Deutschen Heilbäderverband hat ihre Organisation vor über 50 Jahren diese Prädikate geschaffen. „Sie verpflichten die Orte, gewisse Qualitätsstandards einzuhalten, die in einem Kriterienkatalog festgeschrieben sind“, erklärt Gilles. Die Einhaltung der Kriterien wird alle paar Jahre kontrolliert. Die Anforderungen steigen mit jeder Stufe: Klimatische und lufthygienische Voraussetzungen, genügend Ärzte und Gesundheitsangebote sowie touristische Einrichtungen wie Schwimm- oder Hallenbäder, Kneippeinrichtungen und Lesesäle.
Ähnlich ist das an der Küste: Nicht jeder Ort, der an der See liegt, darf sich automatisch „Seebad“ nennen, sagt Professor Martin Lohmann vom Kieler Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa. Um dieses Prädikat zu erhalten, darf das Zentrum des Ortes nicht mehr als zwei Kilometer vom Strand entfernt liegen. Daneben braucht es medizinische Einrichtungen für Kurmaßnahmen. Die Luft- und Wasserqualität muss die Erholung und Genesung der Reisenden unterstützen. Auch ein Kurarzt und touristische Infrastruktur wie Parks und Strandpromenaden sind vorgeschrieben.

Scharf auf die Kurtaxe


Strenger sind die Kriterien für die Vergabe des Titels „Seeheilbad“. So müssen an diesen Orten auch Heilmittel wie Meersalz oder Meeresschlick vorhanden sein. Es wird eine noch bessere touristische Infrastruktur erwartet und mindestens eine Badearztpraxis. „Ein Seeheilbad zu werden, ist ziemlich schwierig“, sagt Lohmann. „Aber ob das so wahnsinnig wichtig für Touristen ist, ob sie jetzt in einem Seebad oder Seeheilbad ein Hotelzimmer beziehen, bezweifele ich.“ Der Ort muss hübsch ausschauen, am Meer liegen, gute Hotels und Lokale haben, so der Wissenschaftler. „Früher, als die ambulante Kur noch von den Kassen bezahlt wurde und zwar nur, wenn es ein Heilbad war, spielten solche Label noch eine wesentlich größere Rolle.“
Der Werbeeffekt solcher Prädikate halte sich in Grenzen. „Die Prädikate sind keine Garantie, dass ich gesünder wieder nach Hause komme. Wenn ich im Heilbad nur Wein statt Wasser trinke, ist es egal, wo ich meinen Urlaub verbringe.“ Außerdem leben Seebäder wie St. Peter-Ording, das als einziges deutsches Seebad eine eigene Schwefelquelle hat, mehrheitlich von den normalen Touristen, die ohnehin kommen und surfen, baden, sich erholen wollen – und da ganz ohne Kur-Hintergedanken.

Regelwerk mit Qualitätsstandards

Claudia Gilles sieht es ähnlich: „Es stimmt, wir haben 17 verschiedene Bezeichnungen. Ich behaupte, der Gast kann das nicht auseinanderhalten. Wer kennt schon den Unterschied zwischen Kneipp-Ort und Kneipp-Bad?“ Die Geschäftsführerin des Deutschen Tourismusverbandes plädiert für ein Regelwerk, das unterschiedliche Qualitätsstandards festlegt – etwa Luftqualität, Lärmschutz oder medizinische Kompetenz vor Ort.
Heilbad und Kurort seien Oberbegriffe und stellten verschärfte Anforderungen, so Gilles. Wohingegen „Erholungsort“ und „Luftkurort“ eher touristische Prädikate seien, die keine medizinischen Richtlinien erfüllen müssten. Der Deutsche Tourismusverband hält daher weiterhin an den Labels als sinnvolles Instrumentarium fest. „Die großen Kurorte und Heilbäder stehen alle für gute Infrastruktur, gute Luft und ein gut gepflegtes Ambiente. Das trifft auch auf Seebäder und Seeheilbäder zu.“
Professor Lohmann hat herausgefunden: Bei den Urlaubsreisen der Deutschen machen nur sechs Prozent einen „Gesundheitsurlaub“ aus. „Gesundheitsurlaub als Trend wird derzeit überschätzt. Das ist die Konsequenz des demografischen Wandels: Wer fit ist – und die heute 60-Jährigen sind in der Regel fit – macht keinen reinen Kururlaub. Das machen erst die über 80-Jährigen.“

Prädikate sind für die Orte erstrebenswert

Auch wenn die Mehrheit der Deutschen nicht nur einen Urlaubsort wählt, weil ein „Heil“ oder „Kur“ im Namen steckt: Für die Orte sind die Prädikate dennoch erstrebenswert. Denn: Der Titel zahlt sich aus. Wenn eine Gemeinde ein staatliches Prädikat vorweisen kann, darf sie Kurtaxe erheben – eine wichtige Einnahmequelle, mit dem sie die Promenade, den Strand und den Kurpark pflegen und ihr Ortsbild verschönern kann. Die Höhe regelt jede Gemeinde selbst – in Bad Reichenhall beträgt sie zurzeit 3,10 Euro pro Person und Tag, in Bad Bayersoien 2,20 Euro.
Wird da nicht viel Schindluder getrieben? „Nein“, sagt der Reiserechtler Paul Degott, „die Einhaltung der Kriterien wird akribisch kontrolliert“. Das Label sei nichts, was sich jede Kommune selber mal einfach so vergeben kann. „Wer sich vollmundig so deklariert, es aber nicht ist, bekommt Probleme“, warnt der Jurist. Die Vergangenheit habe auch gezeigt, dass Orte ihren Status als Kurort oder Heilbad verloren haben, weil sie die Voraussetzungen nicht mehr erfüllten – geschehen etwa im vergangenen Jahr im rheinland-pfälzischen Bad Bodendorf. (Claudia Schuh)

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