Kultur

Die Bühne mit all den Requisiten und Videoeinspielungen spiegelt das inhaltliche Tohuwabohu dieses Stücks wider. Im Bild Natalie Hünig, Linda Elsner, Andrej Kaminsky und Anatol Käbisch. (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

17.05.2019

Nerviges Fegefeuer

„Die nötige Folter“ auf der Augsburger Brechtbühne lässt das Publikum ratlos zurück

Die neue Brechtbühne: Dieser gerade erst hergerichtete wunderbare Theaterraum im alten Gaswerk in Augsburg ist in seiner Offenheit so etwas wie ein halbliturgischer Erlebnisraum für innovative Bühnenformate, und sei es wie bei der Uraufführung von Dietmar Daths „Spiel für sechs Unschuldige und ein Bild“ mit dem Titel Die nötige Folter eine Art spätkapitalistisches Fegefeuer, ein Purgatorium, in dem die Menschen Verantwortung zu tragen haben für die Folgen ihrer Handlungen. Vieles von dem, was wir tun, hat negative Auswirkungen. In dem Stück soll es scheinbar irgendwie um die bittere Erkenntnis gehen, Ursache für Leid und Elend zu sein. Blickt man auf den Zustand unseres Planeten, ist das auch nicht weit hergeholt.

Irgendwie in der Art also, weil man sich solche Aussagen aus dem Stück erst herauspicken muss. Denn es kommt zwar im beständigen Gestus des Bedeutungsschwangeren daher, ist aber doch nur aus sagenhaft inhaltsleerem Geschwulst zusammengenagelt und kommt vor lauter intellektueller Bla-Bla-Bla-Borniertheit keinen Zentimeter vom Fleck weg.

Brüllen und deklamieren

Es geht im Großen und Ganzen um eine post-apokalyptische Endzeit, in der Menschen zur Wahrheit gefoltert werden sollen und durch Emotions-Implantate manipuliert herumrennen. Das hängt irgendwie mit einer Künstlerin zusammen, die scheinbar tot ist oder auch nicht und offenbar die gesamte Menschheit mit einem Kunstexperiment umgebracht hat. Auch ein Neurowissenschaftler spielt herein, der so seine Theorien hat über menschliche Aufmerksamkeitsspannen, Erlebnisraten und Ereigniskaskaden, die er in einer Art Labortotalitarismus umsetzen mag.

So viel zum Stoff. Aus dem entwickelt sich aber kein Bühnenexperiment, sondern ein solches Deklamieren, Brüllen und Schmerzertragen, dass man froh ist, wenn dieses Fegefeuer nach zwei Stunden vorüber ist. Weil es keine erkennbare Handlung im Sinne von Spannung, Erzählung, Motivketten gibt, sind einem die Figuren auf der Bühne alsbald herzlich egal. Erkenntnis geht zwar gerne über Empathie – sie stellt sich hier aber ebenfalls nicht ein. Die Zuschauer bekommen die Rolle des ahnungslos Ahnenden zugewiesen.

Und wenn es denn mal zur Sache geht, also Sünden der Vergangenheit aufgedeckt werden, sind die von einer solchen Banalität (irgendwelcher Beziehungskram), dass man sich nur wundern kann, wie derart Nichtssagendes zum plärrend grusligen Umfeld passen soll. Da sehnt man sich doch glatt nach einer ordentlichen katholischen Totensonntagsmesse mit Beichtpflicht. Dabei glückt das alles nämlich viel besser.

Auf Augsburgs Brechtbühne reagiert Regisseur André Bücker auf Daths textliches Tohuwabohu mit noch mehr Tohuwabohu in der Hoffnung, Dramaturgie und Bewegung in die Sache zu bekommen. Es gibt Turngeräte, einen Glaskubus, einen Mann im Leichensack, einen weiteren Mann in einem Kokon, eine Supermarktkasse mit Laufband, einen Stuhl mit Tisch, Foltergeräte inklusive Riesendildo und Fernsehbilder auf der Bühne (eingerichtet von Jan Steigert) anzuschauen und darüber Videoprojektionsflächen (Videos von der Gruppe „heimspiel“) mit auch nicht immer leicht enträtselbaren Flimmerbildern von Pop-Ikonen und Pferden.

Darben im Folterkeller

Für die Schauspieler ist es eine echte Herausforderung, auf dieser diffusen Ebene klare Figuren zu entwickeln. Am ehesten schafft das Natalie Hünig als Galeristin Eva, deren Dreck am Stecken jetzt auch nicht so gewaltig ist, dass es dazu gleich eines ganzen Quäl-Arsenals bedürfte: Sie hat halt ihre Künstler ein wenig ausgenützt, mit denen zusammen sie im Folterkeller darbt. Hünig gibt sie als vergnügte Plaudertasche, was allerdings stark zulasten des Angst-Szenarios geht. Dafür zuständig sind ein Stier (Kai Windhövel) und ein stummer Widder (Lilian Waworka), die, wie sich zuletzt herausstellt, im Auftrag des Wissenschaftlers Hark handelten; Andrej Kaminsky wird in dieser Rolle ebenso wie Sebastian Baumgart (als Sven aus dem Leichensack) und Anatol Käbisch (als Baqil aus dem Kokon) erstrangig mit Lamentieren beauftragt, während Linda Elsner als todernst herumwandelnde Künstlerin für den Theorieteil zuständig ist. (Christian Muggenthaler)

Kommentare (1)

  1. Folterknecht am 17.05.2019
    Vielen Dank für diese treffende Kritik!! Was für ein krudes Stück und welch Folter diese Inszenierung.
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