Kultur

01.10.2013

Reifender Taugenichts

München-Premiere von Edgar Reitz' neuem Film "Die andere Heimat"

Er ist kein Macher. Schon gleich zu Beginn von Edgar Reitz' neuem Film Die andere Heimat weiß man: Das Jakobche ist ein Träumer und Denker - einer, der sich seine "andere Heimat" am anderen Ende der Welt bestimmt nicht mit körperlicher Schufterei erobern wird: "Das Paradies liegt auch in Brasilien nicht auf der Straße", warnt der Pfarrer. Da kann das Elend im Hunsrück-Kaff Schabbach noch so groß sein: Das gescheite Bürscherl bleibt. Und macht doch eine Wanderung mit - gar wie eine Art Eichendorffscher "Taugenichts" entfaltet er sich zum Erwachsenen. Und kommt zur Erkenntnis, dass die innere Freiheit nicht zwangsläufig den Ausbruch aus der kargen Welt des Hunsrück bedeuten muss. Jakob reift zum Denker: Die wahre Freiheit bietet Wissen. Jan Dieter Schneider ist die eine Überraschung in diesem Film: Ein angehender Mediziner, der den Jakob mit der richtigen Mischung von Naivität, Wissenshunger, Trotz und gar heiterer Fügung  spielt. Die andere Überraschung bereiten Regisseur Edgar Reitz und Kameramann Gernot Roll: Sie erzählen die "Chronik einer Sehnsucht", wie der Filmuntertitel heißt, in einer epischen Breite, die reizvoll anachronistisch erscheint - in Schwarzweiß mit nur wenigem Aufflackern in lebensfreudiger Farbe. So erdrückend eng es in Schabbach zugeht, wo die Augen in Nullkommanichts den ganzen Ort erfasst haben - so weit ist das Land drumherum. Aber das bedeutet nicht Freiheit: Das land gibt kaum was her, nur schwer kann man zwischen Steinen und Kartoffeln unterscheiden. Die Kamera liefert lange, statische Totalen, nur Wagen von Auswanderern bewegen sich durchs Bild. Das Premierenpublikum im Münchner Prinzregententheater begeistert sich dafür - Standing Ovations für den Kameramann. Schon sowieso für den 80-jährigen Regisseur, der damit sein "Heimat"- Projekt abrundet. 230 Minuten sind lang für einen Kinofilm - später ins Fernsehen wird Die andere Heimat als Zweiteiler kommen. (Karin Dütsch)   

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