Die Vorgänger-Produktion dieser Oper von 2017 war ein veritabler Coup. Mit Barrie Kosky inszenierte damals erstmals ein jüdischer Regisseur bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth. Seine Sicht auf die Meistersinger von Nürnberg hatte es in sich. Der gebürtige Australier, langjähriger Leiter der Komischen Oper Berlin, rückte den Antisemitismus von Richard und Cosima Wagner in den Fokus.
Aus der Beckmesser-Partie wurde die deutsche Angstfigur des ewigen, assimilierten Juden. Nürnberg avancierte zu einem deutschen Utopia, das in die Nürnberger Rassegesetze und die Nürnberger Prozesse gipfelte. Als These war das alles nicht neu, aber: Noch nie wurde das so unmissverständlich in Szene gesetzt. Mit seiner Neuinszenierung der Meistersinger von Nürnberg, mit der die diesjährigen Festspiele starteten, schlägt Matthias Davids einen anderen Weg ein.
Der aus Münster stammende Regisseur geht gewissermaßen zurück zu den Wurzeln. Er rückt einerseits die von Wagner selber stammende Bezeichnung der Oper als „populäre komische Oper“ in den Fokus, um andererseits die Regieanweisungen Wagners genauer zu nehmen. Eine Art Wieland-Wagner-Sicht mit viel kunterbuntem Klamauk ist das Ergebnis. Dabei betont Davids das, wofür er vor allem bekannt ist: das Musical. Am Landestheater Linz leitet er die Musical-Sparte.
Im finalen dritten Aufzug ist diese Verbindung überdeutlich. Eine kunterbunte Gummi-Luft-Kuh thront über der Szene. Aus dem Wettsingen um Eva (kraftvoll und deutlich: Christina Nilsson) wird eine schrille TV-Talentshow. Das alles wird kräftig gewürzt mit oberbayerisch-fränkischer Folklore samt Trachten, die Susanne Hubrich entworfen hat. Hier prallen Deutschland sucht den Superstar und der Musikantenstadl aufeinander.
Aus dem Bayreuther Festspielhaus wird fast schon das Münchner Gärtnerplatztheater. Im ersten Aufzug lässt Bühnenbildner Andrew D. Edwards hingegen eine riesige Treppe in den Theaterhimmel aufsteigen. Eine kleine Kirche thront ganz oben, und wenn der erste Aufzug endet, explodiert das Kirchenmodell. Wenn sich zuvor die Bühne dreht, öffnet sich der Blick in den Innenraum der Kirche. Er ähnelt dem Zuschauerraum im Bayreuther Festspielhaus.
Beckmesser in der Gewaltspirale: Dramaturgie der Härte
Das alles generiert keine große Deutung, aber: Es funktioniert, ist kurzweilig und unterhaltsam, überaus liebevoll und aufwendig gestaltet sind die für jeden Aufzug wechselnden Bühnenbilder. Wer Wagner und speziell diese Oper nicht allzu ernst nimmt, hat viel zu lachen. Manche strengen Wagnerianer witterten bei der Premiere freilich eine unheilige Entweihung. Nun mag das tolle Treiben im dritten Aufzug etwas zu dick aufgetragen sein, aber es gibt noch den zweiten Aufzug.
Der Regie von Davids ist da Großes gelungen. Alles dreht sich um Sixtus Beckmesser (schlicht überragend: Michael Nagy). Die Szene wird für ihn immer bedrohlicher, bis im nächtlichen Nürnberg eine handfeste Massenprügelei ausbricht. Diese Orgie roher Gewalt, die vor allem Beckmesser trifft, hat man selten in einer derart sich abgründig steigernden Dramaturgie erlebt – rein klanglich.
Noch klopft Georg Zeppenfeld als sonorer Hans Sachs auf Holz zur schrägen Lautenweise von Beckmesser, um bald auf andere Materialien zu schlagen. Der Off-Beat wird immer bedrohlicher, der Klang metallischer, bis die Fäuste fliegen: ein Crescendo des Grauens. Aus Beckmesser machte Nagy bei der Premiere eine starke Charakterstudie, zumal er auf den typischen, übertriebenen Karikatur-Gesang in der Partie gänzlich verzichtete.
Der Beckmesser Nagys war mit das Größte bei der Eröffnung. Auch Michael Spyres konnte als Franken-Ritter Stolzing überzeugen, sang die Partie sehr hell und klar, wenn auch in der Höhe bisweilen etwas gepresst. Ein echter Gewinn war Matthias Stier, berückend stimmschön sein David. Spannend zudem das Dirigat von Daniele Gatti: Mit seinem sinfonischen Ansatz setzte der Italiener bei der Premiere einen klugen Kontrapunkt zur bunten Inszenierung.
Schon im Vorspiel nahm Gatti das Tempo fließend, ganz anders als erwartet. Von der Entdeckung der Langsamkeit, wie es Gatti früher oftmals zelebrierte, war dieser Wagner weit entfernt. Gatti hat bewegte Zeiten erlebt, wurde 2018 nach Gerüchten um übergriffiges Verhalten vom Amsterdamer Concertgebouw fristlos freigestellt. Seit 2024 leitet Gatti die Sächsische Staatskapelle in Dresden, absolut hörenswert seine Meistersinger. (Marco Frei)
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