Kultur

Die "Tanzlinde" im oberfränkischen Limmersdorf steht im Zentrum der "Lindenkirchweih", die zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands im Rahmen der Unesco-Konvention gehört. Hier ein Ausschnitt - die gesamte Ortsansicht sehen Sie in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: dpa)

02.06.2016

Tanz ums Geld

Kampf ums Kulturerbe: Wie das Beispiel "Limmersdorfer Lindenkirchweih" zeigt, kostet der Erhalt von Traditionen auch Geld

Die Limmersdorfer Lindenkirchweih hat es ins nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes geschafft. Damit schmückt sich Bayern. Extra Geld für den Erhalt der Traditionen gibt es in den Bundesländern nicht. Was also bringt der Platz auf der Liste? "Früher", sagt Veit Pöhlmann, "war das unser Spielplatz. Wir sind ohne Leiter hochgeklettert." Er steht vor dem mächtigen Stamm einer Linde, unter dem Tanzboden zwischen den Blättern. Heute schneidet der 60-Jährige die unteren Äste vom Boden aus. Die Tanzlinde war aber schon immer mehr als ein Spielplatz. Die Lindenkirchweih im oberfränkischen Limmersdorf gehört zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands im Rahmen der Unesco-Konvention - wie 33 weitere Kulturformen. Doch dass sie erhalten bleiben, ist nicht garantiert.

Kultur statt Instinkte

"Zehn Jahre", sagt Pöhlmann, "dann ist sie weg, so eine Tradition." Dass ein Kulturerbe zu verschwinden droht, das hat er selbst schon erlebt. Deshalb gibt es seinen Verein überhaupt erst, den Verein zur Erhaltung und Förderung der Limmersdorfer Kirchweihtradition. Dass Traditionen für die Identität wichtig sind, hat einen Grund: Wir sind Menschen. "Wir haben Kultur statt der Instinkte, die die Tiere haben, um unser Miteinander zu gestalten", sagt Christoph Wulf, Anthropologe an der Freien Universität Berlin und Vizepräsident der Deutschen Unesco-Kommission (DUK). Traditionen gäben Sicherheit und Ordnung. Bayern nutzt hier gerade seine Chance. Derzeit läuft die zweite bundesweite Aufnahmerunde für das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes. Insgesamt 64 Anträge sind erlaubt, vier pro Bundesland. Doch nicht jedes Land reichte so viele ein, Sachsen zum Beispiel nur drei, Niedersachsen zwei. Bayern sprang ein und bewirbt sich gleich mit 21 Kulturformen, mit dem Volksschauspiel der "Landshuter Hochzeit" etwa oder dem Flechthandwerk. Von Mitte Juni an bewerten Experten der DUK die Bewerber, im Frühjahr 2017 entscheidet die Kultusministerkonferenz.

PR, Nicht nur für den Minister

Wer wie die Limmersdorfer auf die Liste kommt, kann mit einem Logo werben. Manche mögen damit Touristen locken können. Aber die Genossenschaftsidee, die auch im Verzeichnis steht? Oder ein Tanzverein? Solche Kulturformen gewinnen vielleicht politisches Gewicht, aber nicht unbedingt Geldquellen. "Wir müssen nicht zugeschissen werden mit Geld, aber jetzt braucht es auch mal Butter bei die Fische", sagt dazu Pöhlmann. "Das Kulturerbe soll nicht nur PR für den Minister sein. Wenn man sich schmückt damit, muss man auch etwas dafür tun." Doch kein Bundesland hat nach Angaben der DUK einen extra Topf, um die Träger der Kulturformen im Verzeichnis auch nach der Bewerbung zu fördern. Bayern aber zum Beispiel zeigt sich stolz auf die bisher Ausgewählten: die Lindenkirchweih und die Oberammergauer Passionsspiele. Als Kulturstaat wolle Bayern das immaterielle Kulturerbe nicht nur dokumentieren, meint Kunstminister Ludwig Spaenle (CSU), sondern auch im Bewusstsein der Menschen verankern.

Nachwuchsarbeit braucht Geld

Mit der Aufnahme ins Verzeichnis ist es tatsächlich nicht getan. Einige Träger bräuchten Unterstützung, um ihre eigene Geschichte zu erforschen, sagt Eva-Maria Seng von der nordrhein-westfälischen Landesstelle Immaterielles Kulturerbe, der einzigen Beratungsstelle bundesweit. Wer eine Tradition erhalten will, braucht Geld, nicht zuletzt um den Nachwuchs bei der Stange zu halten. In Limmersdorf suchen sich jedes Jahr vier Burschen vier Mädchen und organisieren die Lindenkirchweih. Immer am Sonntag um Bartholomä am 24. August, seit mindestens 1729. Im Mittelpunkt: die Tanzlinde, gepflanzt 1686, vor 330 Jahren. In ihrer Krone wird getanzt, auf dem Gerüst, das auf den Ästen liegt und auf Steinsäulen. Es gibt ein Festzelt und Fleisch, viel Fleisch. Die Organisation kostet Zeit, die Infrastruktur Geld. "Bald brauchen wir neue Säulen, Kosten: rund 80 000 Euro", sagt Pöhlmann. "Wir wollen den Jungen sagen können: Es geht weiter, und wir werden unterstützt." Die DUK würde begrüßen, wenn ein Land ihr Kulturerbe finanziell fördern würde. "Die Entscheidung für so einen Topf könnte politisch natürlich getroffen werden", sagt Benjamin Hanke von der DUK. Laut Unesco-Konvention muss sich jeder Staat bemühen, die Erhaltung des Kulturerbes sicherzustellen - unter Einsatz aller geeigneten Mittel. Dafür wären in Deutschland die Länder zuständig.

Kein Geld wegen Ungleichbehandlung

Im bayerischen Kultusministerium hält man von dieser Idee nicht viel. "Gäbe es eine besondere Förderung für die Traditionen im nationalen Verzeichnis, dann wäre das auch eine Ungleichbehandlung der vielen Traditionen in Bayern", sagt Ministeriumssprecher Henning Gießen. Es zeichne die Traditionen ja gerade aus, dass sie eigenständig seien. Eigenständigkeit - ein wichtiges Thema für Veit Pöhlmann. Limmersdorf gehört seit 1978 zum Markt Thurnau. "Das Dorf wurde eingemeindet, gegen seinen Willen", sagt der 60-Jährige. Der Bürgermeister war kein Bürgermeister mehr - und nicht mehr für die Kirchweih zuständig.

Musikbox statt Live-Kapelle

Die Tradition schliff sich ab. Musikbox auf der Tanzlinde statt Live-Kapelle, ein Schreckensszenario. Ein Verein musste her, Pöhlmann wurde Vorsitzender. "Wenigstens die Kirchweih müssen wir erhalten", das war der Antrieb, sagt Pöhlmann. Er trägt ein rot-weiß-kariertes Hemd, am Gürtel das rot-weiße Franken-Wappen. "Es gibt kaum etwas Typischeres als die Kirchweih, das Franken beschreibt: das Dörfliche, den Konservatismus, das Kleinteilige, die Eigenbrötlerei." Die Kirchweih nämlich sei in jedem Dorf in Franken anders, und an einem anderen Termin. In Oberbayern dagegen feiern die meisten Orte am dritten Sonntag im Oktober. "Verglichen mit der Vielfalt der Franken ist Oberbayern etwas einfältig", sagt Pöhlmann und grinst. Weil immer wieder Träger von Kulturformen auf der Liste bei der DUK nachfragen, wie sie ihre neue Position für ihre Erhaltung nutzen können, arbeitet die Kommission derzeit an einem Handbuch, das auch Wege zu Fördermitteln erklären soll für die Pflege der Traditionen. Die Limmersdorfer Tanzlinde selbst braucht nicht viel Pflege. Der Baum ist gesund. Aber er kann sterben. Deshalb steht schon ein Ableger. Damit die Lindenkirchweih nicht stirbt. (Sophie Rohrmeier, dpa)

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