Kultur

Klassische Konzeptart von Sherrie Levine: „Fountain (Buddha)“ erinnert an Dechamps’ „Urinoir“ von 1917. (Foto: Joachim Bandau/Neues Museum)

05.01.2017

Um die Ecke denken

Das Neue Museum Nürnberg zeigt Konzeptkunst von Sherrie Levine

Als Marcel Duchamp 1917 ein ganz gewöhnliches Urinal aus Porzellan zum Kunstwerk erklärte, stellte das die Kunst auf den Kopf. Das bis dahin dem Wahren, Guten und Schönen verpflichtete klassische Kunstwerk war damit seiner ganz besonderen Aura beraubt – die Kunst wurde trivialisiert. 100 Jahre später gibt die amerikanische Künstlerin Sherrie Levine dem berühmten Ready-made von Duchamp seine Aura zurück: gießt es in schimmernde Bronze und nobilitiert es zu jetzt erhabener, edler Kunst. Im Neuen Museum Nürnberg, dem Staatlichen Museum für Moderne Kunst, hockt das solcherart künstlerisch wieder erweckte Pissbecken wie ein Buddha (so von der Künstlerin betitelt) im Mittelpunkt der Ausstellung After All. Es ist die erste deutsche Einzelausstellung der 1947 in Pennsylvania geborenen Künstlerin, die in den USA sehr renommiert, hierzulande bislang aber kaum bekannt ist. In ihren 50 in der Ausstellung gezeigten Arbeiten aus den letzten 35 Jahren geht es Sherrie Levine um Bilder nach Vorbildern – also berühmten gewordenen Kunst-Vorbildern, die sie sich nicht nur bei Duchamp, sondern bei Cézanne, Gauguin und van Gogh, bei Mondrian, Miró und Malewitsch, bei Degas und Dürer sucht. In der Musik würde man diese Art von Reproduktion und Aneignung Covern nennen, womit die Künstlerin Walter Benjamins Diktum vom „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ in immer neuen Anläufen gleichsam visualisiert. So etwa, wenn sie in einer ihrer jüngsten Arbeiten, After Dürer (2016), eine Serie von 18 Postkarten mit Dürers Feldhasen von 1502 signiert, rahmt und an die Wand hängt – und so das millionenfach reproduzierte, verkitschte Motiv wieder in die Kunst zurückholt und seine ursprüngliche Aura gleichsam verdoppelt. Freilich hätte man sich zur sinnfälligen Illustration der verdoppelten Aura des Kunstwerks gerade in Nürnberg einen Hinweis auf die Installation Großes Hasenstück des Künstlers und derzeitigen Präsidenten der Nürnberger Akademie, Ottmar Hörl, gewünscht, der 2003 auf dem Nürnberger Hauptmarkt 7000 Dürer-Hasen aus Plastik in Reih und Glied aufmarschieren ließ. Aber auch so demonstriert die Ausstellung After All, die die Begriffe von Original und Nachahmung, Kopie, Imitat und Duplikat reflektiert und in Frage stellt, sehr sinnfällig die Dialektik moderner Kunst, bei der der Betrachter auch mal über seinen Schatten springen und um die Ecke denken muss. Auch wenn Sherrie Levine ihre manchmal sehr spröde daherkommenden Bilder und Objekte unter keinen Umständen unter dem Begriff Konzeptkunst subsumiert sehen will, ist After All ein Musterbeispiel der amerikanischen Concept Art: Erst in der Anschauung entsteht das Kunstwerk – im Kopf des Betrachters, der die Idee, das Konzept des Künstlers, nachvollzieht. (Fridrich J. Bröder) Information: Bis 12. Februar. Neues Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design, Klarissenplatz, 90402 Nürnberg. Di. bis So. 10-18 Uhr, Do. bis 20 Uhr. www.nmn.de

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