Kultur

Ausschnitt aus einem Selbstporträt, für das E.T.A. Hoffmann in die Rolle des Kapellmeisters Kreisler schlüpfte. Diese von ihm erschaffene Künstlerfigur kommt auch im Roman "Lebens-Ansichten des Katers Murr" vor. (Foto: Staatsbibliothek Bamberg/Gerald Raab)

26.08.2022

Unheimlich schön

Die Staatsbibliothek Bamberg präsentiert zu E. T. A. Hoffmanns 200. Todesjahr Schätze des Dichters, die sie in ihren Beständen hütet

Früher gab es in den Volksschulen Noten für Schönschrift. Die Kinder sollten in jedem Bereich Ordnung, Fleiß und Sauberkeit lernen. Dass aber gerade die Begabteren unter ihnen, die später Medizin studierten und als „Halbgötter in Weiß“ auftraten, die Apotheker mit den unleserlichsten Ärzteklauen ärgerten, konnte trotzdem nicht verhindert werden. Demgegenüber pflegten die Göttinnen und Götter des belletristischen Fachs vor 200 Jahren so schöne Handschriften, wie man sie sich heutzutage erst langwierig in VHS-Liebhaberkursen erarbeiten müsste. Das Allroundgenie E. T. A. Hoffmann könnte für sie als Vorbild dienen, wie in einer Ausstellung der Bamberger Staatsbibliothek zu erfahren ist, die zusammen mit der Staatsbibliothek zu Berlin und dem Deutschen Romantik-Museum Frankfurt konzipiert wurde.

Indes ist Hoffmanns Handschrift schon lange auf den Internetseiten der Staatsbibliothek zu studieren, meisterhaft abfotografiert von Gerald Raab. Man muss nur auf der Homepage dieser altehrwürdigen Bibliothek – eine der bedeutendsten der Welt, im schönsten Gebäude, das sich Benutzer*innen vorstellen können – den Link zum E. T. A. Hoffmann-Portal anklicken, um fündig zu werden.

Faszinierend inszeniert

Doch so bewundernswert sich die Handschrift Hoffmanns auf dem Computerbildschirm auch darbieten mag – die Ansichten der Originale vermitteln doch einen viel weitergehenden Gewinn. Allein schon die Annäherung an deren Präsentation, in Bamberg meisterhaft eingerichtet von Sabine Schumm, führt sanft, ja fast zärtlich an der Hand nehmend in das Zauberuniversum eines Geistes, der unsere Welt erstmals Unheimlich Fantastisch – so der Ausstellungstitel – werden ließ.

Man betritt zunächst einen mild beleuchteten Flur der ehemaligen fürstbischöflichen Residenz, begleitet von großen Bildschirmen und Schaukästen, die sich überraschend gut in das Dientzenhofer-Barock einfügen. Wer mag, kann hier schon einmal digital „blättern“ und einige Übersichten und Details erfahren, etwa wann Hoffmann gelebt hat (1776 bis 1822) und wo es ihn überallhin verschlagen hat – in Bamberg lebte und wirkte er von 1808 bis 1813.

Am Ende folgt eine schmale und niedrige Passage in die geheimnisvoll beleuchtete, nun wahrhaft fantastische Unheimlichkeit: „Willkommen, süßer Dämmerschein, / Der du dies Heiligtum durchwebst!“, möchte man mit Goethes Faust stammeln. Nachdem sich das Auge an das gedämpfte Licht gewöhnt hat, gewahrt man in den Vitrinen keine Bilder eines Faust’schen Gretchens oder Hoffmanns Käthchen, wie er seine vergötterte Julia heimlich nannte. Auf den Blättern erscheinen vielmehr manch komische Gestalten: etwa der räuchernde Kapellmeister Kreisler, dessen „Erinnerungen“ Hoffmann mit einem experimentellen Kunstgriff den Memoiren des Katers Murr untermischte.

Begnadeter Richter

Gegenüber findet sich etwas ganz Profanes: Der originale Verlagsvertrag, den Hoffmann mit Carl Friedrich Kunz 1813 juristisch perfekt abgeschlossen hat, denn Hoffmann war ja auch ein begnadeter Richter. Die Urkunde (wie so manch anderes Stück) überließ die Oberfrankenstiftung der Staatsbibliothek als Dauerleihgabe. Eine ideale Zusammenarbeit zwischen zwei kunstsinnigen Frauen, Regierungspräsidentin Heidrun Piwernetz und Bibliotheksdirektorin Bettina Wagner, hat hier ein ums andere Mal großartige Früchte getragen.

Denn es ist schon etwas anderes, ob man mit Büchern oder den Originaldokumenten forscht, etwa in den ebenfalls ausgestellten Blättern der Handschrift von Meister Martin. Ist vielleicht schon an diesem Schriftbild erkennbar, dass der Ostpreuße ein ganz großer Dichter war? Hier schrieb einer jedenfalls meisterhaft schön und sauber, auf einer nicht vorgezeichneten Linie, die im Grunde gerader erscheint als diejenige im Schreibprogramm des unbeirrbar digitalexakten Rechners. „Mach das erst einmal ebenso, wenn du dich auch noch wie Hoffmann seit Jahren an Rauschmittel gewöhnt hast“, möchte man zu sich sagen.

Ein haariger Fall
2013 reiste Werner Taegert, der damalige Leiter der Staatsbibliothek Bamberg, mit dem Blatt, das den Pfotenabdruck des Katers Murr zeigen soll, nach München zum Landeskriminalamt. Dort untersuchten Spezialisten das Dokument, um herauszufinden, ob die Kleckse tatsächlich von einer Katze stammen können. Lesen Sie das Ergebnis unter „CSI Munich – ein haariger Fall“ online in der Bayerischen Staatszeitung unter www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kultur/detailansicht-kultur/artikel/csi-munich-ein-haariger-fall.html

Im folgenden Raum harrt ein Schaustück von weltgeschichtlicher Bedeutung: Seiten des Manuskripts Der Sandmann. In der Erzählung werden von einem Pseudo-Arzt Kindern die Augen ausgerissen; wer hier sein Auge darauf wirft, allein auf den Schriftzug „Sandmann“, der erschaut gleichsam die weitesten Felder abendländisch-neuzeitlicher Erkenntnis, von Carl Philipp Moritz über Kant, Hegel, Freud und Heinz Kohut. Sigmund Freud etwa hat sich in seiner Abhandlung über das Unheimliche ausführlich auf den Sandmann bezogen.

Im Scagliolasaal der Residenz stehen zwischen den Vitrinen Leuchtkästen, die Hoffmanns Bezug zum Magnetismus, zu Robotern und Spiegelungen aller Art anschaulich machen. Offensichtlich wird allerdings auch: Unsere Technik hat zum Wesen des Menschen nichts essenziell Neues hinzuzufügen, vieles wussten schon Hoffmanns Kater oder Goethes Faust: „Alles Vergängliche / Ist nur ein Gleichnis“. (Andreas Reuß)

Information: Bis 22. Oktober. Staatsbibliothek, Domplatz 8, 96049 Bamberg. www.staatsbibliothek-bamberg.de

Abbildungen: Für seinen verstorbenen Stubentiger formulierte E. T. A. Hoffmann eine Todesanzeige, die Kleckse auf dem zugehörigen Umschlag sollen die Pfotenabdrücke des Katers sein, wie der Dichter selbst darunter notierte.    (Fotos: Staatsbibliothek Bamberg/Gerald Raab)

 

 

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