Landtag

Joachim Herrmann. (Foto: dpa/Matthias Balk)

18.06.2021

Der Unaufgeregte

Im Porträt: Innenminister Joachim Herrmann (CSU)

Wer politische Spitzenämter erringen will, braucht in der Regel dreierlei: einen starken Machtwillen, funktionierende Netzwerke in der Partei sowie Sachkompetenz. Und wenn man sich daneben noch gut verkaufen kann, schadet es auch nicht.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Karriere von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ziemlich singulär. Denn der 64-jährige Franke hat sich nie um irgendwelche Posten gerissen, netzwerken und/oder intrigieren ist nicht sein Ding, und als begnadeter PR-Mensch ist er auch noch nicht aufgefallen. All diese vermeintlichen Defizite hat der Jurist mit seiner Sachkompetenz überkompensiert. Der CSU-Ehrenvorsitzende Erwin Huber formuliert es so: Herrmann gehöre mit seinen Old-School-Tugenden „einer politischen Spezies an, die nicht mehr so up to date ist“. Tatsächlich sei Herrmann getrieben vom Wunsch, „dem Staat und den Menschen zu dienen“.

Gibt’s das wirklich? Einen Politiker, der nur Gutes für andere will? Jedenfalls findet sich in der CSU niemand, der Herrmann nachsagt, scharf auf Ämter gewesen zu sein. Dabei war der Franke sogar wiederholt im Gespräch für den Posten des Ministerpräsidenten: 2008, nach Becksteins Rücktritt, und 2017, als Seehofer-Nachfolger. Ins Gespräch gebracht haben ihn andere – ihm selbst war das nicht geheuer. Besonders scharf auf das Amt war er nicht, sagt Herrmann: „Ich hatte nie ein Erweckungserlebnis, unbedingt Ministerpräsident werden zu wollen.“ Richtig sei, dass sich vieles „so ergeben“ habe.

Das begann schon in der Schule. In den 1970er-Jahren wurde Herrmann Schülersprecher am Gymnasium seiner Heimatstadt Erlangen – weil die anderen ihn dazu aufforderten. Als Student trat er dem Ring christlich-demokratischer Studenten (RCDS) bei und wurde nach nur einem Semester zum Vorsitzenden gewählt.

Ein Medizinstudium? Echt Nicht!

So ging es weiter. Die Aufgaben kamen auf ihn zu. Und Herrmann sagte selten Nein. Ein weitreichendes Nein sprach er nach dem Abitur, als ihm von verschiedenen Seiten ein Medizinstudium nahegelegt worden war – wegen seines Einser-Abis. Medizin, sagt Herrmann, „hat mich aber nie interessiert“. Er entschied sich für Jura, war danach als Verwaltungsjurist tätig. Im Anschluss arbeitete er zwei Jahre als Rechtsanwalt. Nebenbei machte er Karriere als Reserveoffizier, avancierte zum Oberstleutnant.

In den Landtag kam Herrmann 1994. Auch das eine Aufgabe, die an ihn herangetragen wurde. Als nämlich klar war, dass Amtsinhaber Wilhelm Vorndran nicht erneut kandidieren würde, „sagten alle, dass ich das machen sollte“, entsinnt sich Herrmann.

Seine Karriere nahm rasch Fahrt auf. Bereits nach drei Jahren als Abgeordneter berief ihn der damalige Parteichef Theo Waigel zum stellvertretenden Generalsekretär. Nach der Landtagswahl 1998 schaffte er den Sprung in die Regierung – dass er als Innenpolitik-Experte ausgerechnet Sozialstaatssekretär wurde, fand er allerdings ein bisschen kurios. Im Jahr 2003 stieg er zum Chef der CSU-Landtagsfraktion auf. Nicht, weil er das unbedingt wollte, natürlich. Sondern, sagt Herrmann, „weil Alois Glück sich gewünscht hat, dass ich sein Nachfolger werde“.

2003 – ein denkwürdiges Jahr. Die CSU hatte damals die Zweidrittelmehrheit errungen. Damit einher gingen Stoibers Hightech-Offensive sowie ein beispielloser Sparkurs. Der von seinem Wahlsieg berauschte Stoiber nötigte der Fraktion diverse Beschlüsse ab, die dort für Aufruhr sorgten. Darunter die Kürzung des Landesblindengelds oder die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts.

Herrmanns lange Denkpausen

Herrmann hatte den schwierigenJob, einerseits loyal zum Ministerpräsidenten zu stehen und andererseits die wütende Fraktion bei Laune zu halten. Denn zu Hause in den Stimmkreisen der Abgeordneten entlud sich der Ärger über Stoibers Sparorgien – wie auch über seine politischen Schnellschüsse, vor allem die überstürzte Einführung des G8.

Die Debatten damals, formuliert Herrmann diplomatisch, seien „spannend“ gewesen. Er verhehlt nicht, dass ihm einige Stoiber-Pläne nicht gefielen. Manches, sagt er, habe er zumindest abmildern können, etwa, als es um Stelleneinsparungen bei der Polizei ging.

Zum Innenminister wurde Herrmann 2007 berufen, nach Stoibers erzwungenem Rücktritt. Er führt das Amt seither skandal- und geräuschlos. Seine zurückhaltend-landesväterliche Ausstrahlung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein innenpolitischer Hardliner ist. Kein Land verfolgt eine derart strenge Drogenpolitik wie Bayern. Fixerstuben, wie sie in anderen deutschen Großstädten üblich sind, betrachtet Herrmann mit Grausen. Bayerns Polizeikräfte stöhnen außerdem regelmäßig über die innenministerielle Order, auch den Besitz kleinster Mengen Haschisch zur Anzeige bringen zu müssen. Ein Riesenverwaltungsaufwand – vor Gericht kommen Leute, die nur mal einen Joint rauchen wollen, dann in der Regel straffrei davon. Auch in der Migrationspolitik verfolgt er einen rigiden Kurs. Die unter Herrmanns Ägide beschlossene Novelle des Polizeiaufgabengesetzes führte zu Massenprotesten. Es ging vor allem darum, unter welchen Voraussetzungen Verdächtige von der Polizei überwacht werden dürfen. Das Gesetz wurde später entschärft.

Die Motorrad-Community schätzt ihn auch - weil er ein Sonntagsfahrverbot ablehnt

Für weite Teile der Landtagsopposition ist Herrmanns Law-and-Order-Politik regelmäßig der Mega-Aufreger. Umso bemerkenswerter, dass Herrmann dort trotzdem hohes Ansehen genießt. Für FDP-Fraktionschef Martin Hagen ist er „ein politisches Schwergewicht und der einzige wirklich profilierte Minister in einem ansonsten blassen Kabinett“. Auch vom Koalitionspartner Freie Wähler kommt Lob: „Er beteiligt sich nicht an politischen Ränkespielen, sondern macht unbeirrt seinen Job nach inhaltlichen Argumenten“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der FW-Fraktion, Fabian Mehring, über Herrmann. Allseits geschätzt ist Herrmanns ruhige Nachdenklichkeit. Am Telefon, heißt es, gerieten dessen Denkpausen mitunter so lang, dass unklar sei, ob der Innenminister überhaupt noch dran sei – doch, doch, versichere dieser dann: „Ich überlege.“

Als dienstältester deutscher Landesinnenminister hat der 64-Jährige einige handfeste Krisen erlebt. Die aktuelle Corona-Pandemie ist die bisher größte Herausforderung für Herrmann. Er ist unter anderem befasst mit der Organisation der Hilfsorganisationen und natürlich der Polizeieinsätze.

Die Corona-Krise war auch einer der seltenen Anlässe für Reibereien zwischen Ministerpräsident Söder und Herrmann. Wie man hört, wäre der Innenminister, zuständig auch für den Sport, in diesem Bereich bisweilen gern großzügiger gewesen als der in Corona-Fragen superstrenge Markus Söder. Den offenen Konflikt würde Herrmann aber nie suchen.

Was er tut, um abzuschalten vom Polit-Ärger? Radl fahren, sagt Herrmann, oder lesen. Hin und wieder cruist er auch mit dem Motorrad rum. Bei der Motorrad-Community genießt Herrmann übrigens Ansehen, weil er Forderungen nach einem Sonntagsfahrverbot stets entschieden abgeschmettert hat. Er muss ja nicht immer den Hardliner geben.
(Waltraud Taschner)

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