Es ist eine Premiere im bayerischen Landtag und laut des Integrationsbeauftragten Martin Neumeyer (CSU) sogar in ganz Deutschland: Zum ersten Mal besuchten 100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (siehe Info) aus allen sieben Regierungsbezirken das Maximilianeum. „Viele von ihnen kommen aus autoritären Regimen, Bürgerkriegsländern oder Staaten, in denen Gewalt und korrupte Netzwerke mehr zählen als Leistung und Rechtschaffenheit“, erklärt Neumeyer. Er wolle daher den jungen Menschen zeigen, dass sie jetzt ein Teil der Gesellschaft seien. „Dazu gehört auch, dass sie wissen, wie unsere Demokratie und unser Rechtsstaat funktioniert.“
Die Führung mit den Jugendlichen durch den Landtag dauert länger als gewöhnlich. Viele bleiben stehen, schauen staunend die altehrwürdigen Hallen an und fotografieren sich gegenseitig. Im Gegensatz zu sonstigen Schülergruppen herrscht dabei ehrfürchtige Stille. Nachdem ihnen in einem Lehrfilm Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) vorgestellt wurde, filmen einige deren Rede im Plenarsaal und zeigen ihr die Aufnahme später stolz auf dem Handy. Stamm freut’s. „Sie leben jetzt in einem sicheren und demokratischen Land“, ruft sie den Flüchtlingen zu. Und immer mehr Betriebe würden den Menschen aus Krisenländern Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. „Jetzt liegt es an Ihnen, Ihre Chancen und Möglichkeiten zu nutzen“, versichert Stamm. Dabei sei vor allem die deutsche Sprache ein Türöffner.
Rund ein Viertel der Flüchtlinge betrifft das bereits nicht mehr – sie sprechen schon Deutsch. Für die anderen übersetzen Dolmetscherinnen ins Arabische, Afghanische oder die Sprachen Eritreas. Politisch informiert hingegen sind alle Jugendlichen: Bei der Frage, aus welchem Regierungsbezirk sie stammen, schießen nach der Nennung Niederbayerns, der Oberpfalz, Unterfrankens, Oberbayerns et cetera die Hände nach oben. Neumeyer wirkt sichtlich stolz. Für ihn geht es an diesem Tag angesichts der neuen Flüchtlingsprognosen auch darum, dass Bürger und einige seiner Parteikollegen im Freistaat Flüchtlinge als Menschen und nicht als gesichtslose Statistiken wahrnehmen.
Anschließend können die Flüchtlinge Fragen stellen. Dabei stellen sich alle höflich mit Namen vor und bedanken sich für die Einladung. „Wann wurde die grüne Partei gegründet“, möchte zum Beispiel einer wissen. „In den 80er-Jahren aus der Anti-Atomkraft-Bewegung heraus“, erklärt Neumeyer geduldig. Die Grünen hätten allerdings nichts mit dem Islam zu tun. Die Farbe steht auch für den Propheten Mohammed. „In Deutschland sind alle Parteien farblich gekennzeichnet“, ergänzt er. „Die CSU schwarz, die SPD rot und die Freien Wähler orange oder so was.“
Ein anderer fragt, ob er im Rahmen der Familienzusammenführung eines Tages seine Familie wiedersehen kann. „Das wird nicht leicht, weil das Kontingent erschöpft ist“, antwortet der Integrationsbeauftragte. Er hoffe aber, dass Deutschland und vor allem auch andere Länder bald wieder mehr Flüchtlinge aufnehmen. „Dafür kämpfe ich mit meinen politischen Freunden“, versichert der CSU-Mann. Wer das Schicksal der Jesiden oder die Tränen eines Afghanen sehe, könne sich dem kaum verschließen. Im Gegenzug erwarte er allerdings eine kontinuierliche Weiterbildung der Jugendlichen. „Wer glaubt, mit seiner Muttersprache eine Chance zu haben, wird enttäuscht.“
Beim abschließenden Essen in der Landtagsgaststätte versucht Neumeyer im Alleingang, Probleme bei der Gesundheitsversorgung, den Aufenthaltsgenehmigungen oder Integrationskursen zu beantworten. „Mai alslama“ sagt er zum Abschluss auf Arabisch – auf Wiedersehen. Die Jugendlichen danken es ihm mit frenetischem Applaus. (David Lohmann)
INFO: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) sind Jugendliche, die ohne Begleitung ihrer Eltern nach Deutschland einreisen. Sie sind meistens zwischen 16 und 18 Jahren, doch immerhin ein Drittel ist erst zwischen 14 und 16 Jahre alt. In der Regel werden sie durch das Jugendamt in Obhut genommen – falls sie nicht direkt an der Grenze wieder abgeschoben werden.
Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellen Minderjährige eine „besonders schutzbedürftige Gruppe“ dar. Dennoch wurden 2013 insgesamt 43,4 Prozent der 2486 Asylanträge – davon 451 in Bayern – abgelehnt. Letztes Jahr stellten nur noch 1297 Minderjährige einen Asylantrag in Deutschland. Die meisten von ihnen kamen aus Afghanistan, Somalia, Syrien, Eritrea und Ägypten. Die häufigsten Fluchtgründe sind Bürgerkriege, religiöse Diskriminierung, politische Verfolgung, Genitalverstümmelung oder die Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten. Viele schlagen sich allein mit Schleppern, Schleusern oder Fluchthelfern auf Booten über das Mittelmeer nach Italien oder die Türkei, Griechenland und Mittelosteuropa bis nach Deutschland durch. Familien werden dabei häufiger getrennt als früher.
Obwohl UMF als „bildungsaffine Gruppe“ gelten, müssen viele wegen Platzmangels auf Regelschulen verteilt werden. Dort sprechen die Lehrer weder die Sprache der Flüchtlinge, noch können sie die zum Teil schwer traumatisierten, depressiven und selbstmordgefährdeten Kinder ausreichend unterstützen. (LOH)
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