Platzwunden, gebrochene Ellenbogen und Bänderrisse können Pacel Khachab nicht von seiner Leidenschaft abbringen: dem Skaten. Das Talent des 22-jährigen Münchners hat auch der Regisseur Philipp Dettmer entdeckt – und den Studenten prompt zum Protagonisten seines Subkultur-Films „Nightsession“ erwählt. Zu sehen ist er in der kostenlosen Open-Air-Reihe „Grind! Slide! Skate!“Immer wieder fährt Pacel Khachab die mit Graffiti vollgesprühte Rampe im Skaterpark im Englischen Garten hinauf. Nicht alle Nosegrinds, Bigspins oder Fliptricks steht er, und seine verschwitzte Haut schürft regelmäßig über den harten Beton. Doch er grinst nur, wischt sich den Dreck von der blutenden Wunde, steht wieder auf und nimmt von neuem Anlauf. Der Student gehört zu den besten Skatern Süddeutschlands. „Bis ich zehn Jahre alt war, habe ich mich noch für Fußball interessiert“, erzählt der 22-Jährige noch außer Atem. Dann habe ihn sein älterer Bruder zum Skaten gebracht. „Plötzlich gab es keinen Druck mehr durch Trainings oder Spieltage und ich habe mich komplett frei gefühlt“, sagt er und lacht.
In München wurde die letzte Skaterhalle geschlossen
Die Skaterszene an der Isar ist mit über 1000 Leuten überraschend groß. Viele von ihnen treffen sich regelmäßig in Skatershops, Skaterparks und so genannten Streetspots. „Das einzige Manko in
München ist, dass 2011 die letzte Skaterhalle geschlossen wurde“, klagt Khachab. Während in Barcelona Bänke, Plätze und die gesamte Stadtarchitektur mit den vielen Metallplanken ideal zum Skaten sei, gebe es solche Plätze in München wenn überhaupt wohl nur unabsichtlich. „Manche behaupten, die Architekten in Barcelona müssen Skater gewesen sein, weil alles so perfekt ist“, erzählt er und grinst wieder. In München hingegen wurde einer der bestens Spots auf der Schwanthalerhöhe kürzlich sogar wegen Anwohnerbeschwerden geschlossen.
Auf Khachabs Talent aufmerksam wurde vor zwei Jahren auch der Regisseur Philipp Dettmer, der ihn als Profi für den Film Nightsession entdeckte. Mehrere Monate hat er nach den insgesamt vier Protagonisten gecastet. Die fiktionale Dokumentation begleitet die Jugendlichen bei einer nächtlichen Skatetour durch München: Wie sie kurz nach Sonnenuntergang über die Hackerbrücke fahren, wie sie mit einem Hellen in der Hand durch das Glockenbachviertel skaten, sich an Autos festhalten und wie sie nach einer spätsommerlichen Nacht beim Sonnenaufgang über die Theresienwiese fliegen. Dettmer wollte mit dem Film einer Nacht in seiner Jugend ein Denkmal setzen, als er selber noch Kanten entlang gekratzt, Ecken abgewetzt und über Bänke geslidet ist.
Gedreht wurde Nightsession in nur sechs Nächten. „Die Authentizität ist das, was den Film ausmacht“, erläutert Khachab. Weder sei er Schauspieler, noch habe es ein Drehbuch gegeben. „Wir haben alles improvisiert und sollten einfach nur wir selber sein.“ Obwohl die Drehorte vorher nicht angemeldet wurden, gab es keine Probleme mit der Polizei. Problematischer sei die ständige Kamerabegleitung gewesen, erinnert sich der 22-Jährige. „Aber ein paar Bierchen haben die Stimmung gelockert“, sagt er und grinst. Aktuell ist er mit Dettmer und seinen Filmkollegen auf Deutschlandtour, um den Film zu promoten – das Werbebudget ist klein. Dennoch wurde er neben München bereits in 35 deutschen Städten gezeigt.
Der Bayerische Rundfunk zeigt Interesse an dem Film
Obwohl Nightsession bereits letztes Jahr auf dem Münchner Filmfest lief, hat ihn die Jury dieses Jahr wieder ins Programm genommen. In der kostenlosen Open-Air-Reihe „Grind! Slide! Skate!“ werden heuer vom 23. Juni bis 2. Juli sogar ausschließlich Skateboardfilme gezeigt. „Es scheint, als habe der
Film eben seine Zeit gebraucht“, resümiert Khachab. Richtig erklären kann er sich das auch nicht. Vor Kurzem habe ihn aber ein Mann auf der Straße angesprochen, der nichts mit Skaten zu tun habe und trotzdem von dem Film begeistert war. „Das ist wahrscheinlich das Geheimnis“, vermutet er. Aufgrund des Erfolgs ist mittlerweile sogar ein zweiter Teil geplant, der im italienischen Rom spielen soll.
Trotz der langen Zeit zwischen Dreh und Veröffentlichung ist Khachab kein Moment im Film peinlich – im Gegenteil: „Den kann ich eines Tages meinen Kindern zeigen“, sagt er stolz. Bis der Ethnologiestudent eine Familie gründet, will er allerdings erst mal weiterstudieren. Das Thema seiner nächsten Hausarbeit steht schon fest: Skatekultur – natürlich. Nebenher dreht er mit seinem Bruder für sein neustes Filmprojekt Videos von seinen Stunts und jobbt neben dem Studium als technischer Helfer beim Fernsehen. Geld für den Film hat der 22-Jährige bisher noch nicht bekommen. „Ich bin aber zuversichtlich“, lächelt er. Der Bayerische Rundfunk habe Interesse an dem Streifen signalisiert.
Ans Aufhören denkt Khachab trotz seiner vielen Verletzungen noch lange nicht. Gebrochene Ellenbogen, Bänderdehnungen und 30 Bänderrisse listet er spontan auf, Platzwunden und Verstauchungen nicht mitgezählt. „Die gehören aber nun mal alle dazu“, sagt er und zuckt die Schultern. Fahren könne man, so lange die Beine mitmachten. Selbst ältere Leute auf Longboards findet der Münchner nicht „uncool“, solange es ihnen Spaß macht. „Sie sollten vielleicht nur keine so großen Sprünge mehr machen und Treppen lieber gehen statt herunterspringen“, mahnt er. „Das geht auf die Gelenke. (
David Lohmann)
Fotos: Filmplakat und Pacel Kachab am Strand. (BSZ)
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