Leben in Bayern

Schamane Stefan Nathan Lange in seiner "Praxis". (Foto: Stumberger)

07.12.2012

Der Schamane und der Pfarrer

Die Amtskirchen bekommen in Bayern auch auf dem Land immer mehr Konkurrenz - von Sehern, Heilern und anderen exotischen Geistlichen

Im Chiemgau prallen zwei Welten aufeinander. Da gibt es die Alteingesessen, die sonntags den Gottesdienst von
Pfarrer Martin Klein in Obing besuchen. Und nur wenige Kilometer entfernt lebt der Schamane Stefan Nathan Lange in einem ehemaligen Gasthof und bietet spirituelle Reisen an – kritisch beäugt von den Einheimischen.
Die Marienstatue am Eingang der St. Nikolauskirche wird von einer kleinen Lampe erhellt und ihr zu Füßen brennen einige Kerzen. „Im Glauben wurzeln“, ist in einem daneben liegenden Faltblatt zu lesen. Hier in Obing zelebriert Pfarrer Martin Klein jeden Sonntag um 9.30 Uhr die Heilige Messe, auch für die Gläubigen aus dem Ortsteil Oberbrunn. Doch dort hat er mittlerweile spirituelle Konkurrenz. „Das Chiemgau, das ist eine gute Gegend für anders leben“, sagt Stefan Nathan Lange, der sich auch Bajun nennt. Er wohnt seit einigen Jahren in dem 130-Seelen-Ort und ist Schamane.

Immer weniger Kühe, dafür immer mehr Seher

Und Lange ist bei Weitem nicht der einzige Vertreter einer exotischen Geistlichkeit. In der Region gibt es inzwischen zahlreiche Seher und Heiler. Längst ist die bayerische Provinz weltläufig geworden – nicht nur in spiritueller Hinsicht. „Nein, Kühe gibt es bei uns nimmer“, sagt etwa  Resi Eder aus Oberbrunn. Eder gehört zu den alteingesessenen Bewohnern und ist auch in der Pfarrei aktiv. Sie meint: „Ja, da hat sich so viel verändert.“ Nach und nach wurden die kleinen Landwirtschaften aufgegeben, oft übernahmen Ortsfremde die alten Höfe, die sie renovierten.
Oberbrunn liegt in der Näche von Kirchseeon, nördlich des Chiemsees. Hier ist die Landschaft sanft gewellt, der Föhnhimmel blau und in der Ferne hebt sich die imposante Kulisse der Alpen in die Höhe. Schön ist es hier. Und das ist vielleicht der Grund, warum es in Oberbrunn immer weniger Kühe, aber eine steigende Zahl von Sehern und Heilern gibt.  Und warum in einem Anwesen Seminare für Sufi-Tänze abgehalten werden. Im örtlichen Schloss, hatte sich in den 1980er Jahren eine indische Sekte einquartiert, heute dient es einem so genannten Lebensgemeinschaftsprojekt, bei dem Gäste „positive Energie“ tanken können. Und da ist eben auch der Schamane Nathan Lange, der vor sechs Jahren das Gasthaus zur Post kaufte, um es in ein Biocafe umzuwandeln. Vor einiger Zeit übte noch der ansässige Schützenverein, die Oberbrunner Schlossschützen, in einem Nebenraum des Cafés – bis es ihnen dort zu bunt zuging.
„Die Bodenständigen kennt man“, sagt Pfarrer Klein, „die anderen nicht“. Seit 2002 betreut der katholische Geistliche die 5700 Mitglieder seiner Gemeinde. Den 47-Jährigen, der aus Ruhpolding stammt, wundert es allerdings nicht, dass gerade das Chiemgau so viele Esoteriker anzieht. „Das ist hier eine wunderschöne Landschaft, ein oberbayerisches Idyll“, versucht der Pfarrer eine Erklärung. Innerlich seien manche Menschen zerrissen und auf der Suche nach einer heilen Welt, diese Sehnsucht treffe hier auf die Schönheit der Landschaft und der Berge. „Aber wer hier aufgewachsen ist, der weiß, dass die Kirche ihm Halt gibt, in welcher Situation auch immer“, meint der Pfarrer. Freilich, die St. Nikolauskirche ist nicht immer voll bei seiner Predigt.
Der Schamane Lange, der fast vollständig erblindet ist, sitzt derweil in seinem umgebauten Gasthof. Er ist ein großer, hagerer Mann mit etwas zerzausten Haaren. Tastend legt er Holzscheite in einen Ofen. Draußen werkeln  zwei Handwerker herum. Lange behauptet, er hätte mittlerweile seinen Körper auf Lichtnahrung umgestellt. Essen sei für ihn deshalb nicht mehr unbedingt notwendig.
Im ersten Stock hat der Schamane seine Praxis eingerichtet, Felle bedecken den Boden, Tücher hängen an der Decke. Lange nennt sein Angebot „schamanische Therapie“. Der 52-Jährige stammt aus dem Rheinland, kam aber schon vor vielen Jahren nach Bayern. Früher studierte er Informatik, wandte sich  später dann dem Gegenpol zu dieser rationalistisch-technischen Welt zu. Schließlich wurde er Schüler bei einem Schamanismus-Lehrer. Regelmäßig folgt er jetzt dem Ritual der Lakota- oder Sioux-Indianer.
Das Biocafé, das er vor zwei Jahren eröffnet hat, ist bereits wieder geschlossen. „Keine Nachfrage“, sagt Lange. Dafür bietet er jetzt Veranstaltungen mit esoterischen Themen an – zum Beispiel Gespräche mit Erzengeln. Und wenn sich genügend Teilnehmer finden, wird er auch im nächsten Jahr hinter dem Haus am Bach wieder eine Schwitzhüttenzeremonie durchführen – eine Art Sauna mit spirituellem Hintergrund. Jedes Detail hat da seine Bedeutung. Die kuppelartige Hütte aus Ästen ist nach den vier Himmelsrichtungen mit dem Eingang nach Westen ausgerichtet. In der Mitte wird eine flache Kuhle ausgehoben, hier werden die heißen Steine plaziert, die später für die Hitze sorgen werden. Bis zu vier Stunden dauert eine Sitzung in der Schwitzhütte von Lange. Gebete werden dabei gesprochen und Lieder der Lakota-Indianer gesungen. „Schau großer Geist, ich stehe vor dir und bete für meine Verwandten“, übersetzt Lange den Text. Dann sagt er: „Bei der Schwitzhütte geht es um Reinigung, um Besinnung, um Gebet, es ist mehr als nur eine Art Sauna.“ Mit dem Rauch aus einer Pfeife werden dabei auch Gebete hinauf zum Großen Geist geschickt, erklärt er.

Patchwork-Religion nennt das der Pfarrer

Bei Pfarrer Martin Klein in St. Nikolaus steigt indes der Weihrauchduft in der Kirche auf. „Patchwork“-Religionen nennt er solche esoterischen Angebote wie die des Schamanen Lange. Angebote, an denen sich Menschen festhielten, weil ihnen die eigenen Wurzeln, der Halt fehle.
Lange sagt dagegen, zu der christlichen Religion habe er nie eine Verbindung gefunden, da stehe zu sehr die Institution der Kirche dazwischen.
Und wie weiß man, dass man als Schamane berufen ist? Dazu gehöre ein Schlüsselerlebnis, der einem den Weg weist, sagt Lange, der regelmäßig mit Hilfesuchenden auch eine schamanische Reise unternimmt, um deren Energieblockaden herauszufinden. Die Bodenständigen von Oberbrunn allerdings hat er noch nie auf so eine Reise mitgenommen. Denn die findet man weiterhin in St- Nikolaus bei Pfarrer Klein. (Rudolf Stumberger)

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