Leben in Bayern

Zwei kleine Bewohnerinnen des Lagers. Unter den Displaced Persons gab es viele Waisen. (Foto: BSZ)

01.03.2013

Die Kinder vom Lager Föhrenwald

Beeindruckendes Engagement: In Waldram stellen sich Bürger ihrer historischen Verantwortung und kämpfen um ein altes jüdisches Badehaus

Es ist ein wenig bekanntes Kapitel der Geschichte: Die Lager der Displaced Persons. In Föhrenwald – heute Waldram – stand das größte Deutschlands. Die Vereinsmitgleider von „Bürger fürs Badehaus“ kämpfen um den Erhalt des letzten historischen Zeugnisses: ein jüdisches Badehaus. Es soll ein  Bürgerhaus als Dokumentations- und Begegnungsstätte entstehen.

In Waldram haben die Straßennamen eine Besonderheit. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden sie dreimal umbenannt. So hieß zum Beispiel  der Dorfplatz währen des Zweiten Weltkriegs „Danzinger Freiheit“ und nach dem Krieg bis 1956 „Independence Place“. Jetzt ist das Areal im Besitz der katholischen Kirche und heißt Kolpingplatz.
Diese Umbenennungen wurden nicht aus Willkür irgendwelcher Stadtplaner durchgeführt. Sie weisen auf die Zeitabschnitte hin, – wer hier wann und wie lange gelebt hat. Und hinter dieser Namensänderung offenbart sich auch eines der bedeutendsten Kapitel der weitgehend unbekannten jüdischen Nachkriegsgeschichte in Bayern. Wer heute an den Spitzgiebel-Reihenhäusern mit ihren verwinkelten Erkern und den bunten Blumentöpfen vor der Haustüre vorbeispaziert, dem wird die Tragweite der Geschichte, die in diesen alten Mauern steckt, allerdings nicht mehr bewusst.
Ein Blick zurück in die Geschichte: 1939 wurde in Föhrenwald eine nationalsozialistische Mustersiedlung für rund 5000 Rüstungsarbeiter der nahe gelegenen Munitionsfabriken gebaut. Gegen Kriegsende führte der Todesmarsch der KZ-Häftlinge aus Dachau hier vorbei. Von 1945 bis 1956 entwickelte sich dann das Lager Föhrenwald deutschlandweit zum größten und am längsten bestehenden Lager für jüdische Displaced Persons (DPs) – Überlebende des Holocaust, die von den Deutschen aus ihren Heimatländern verschleppt worden waren.
Nur noch ein größeres Gebäude-Ensemble am Ort – das so genannte Badehaus und ein Hausmeisterhaus – erinnert heute durch seine Schlichtheit an jene Zeit, als hier schätzungsweise bis zu 100 000 DPs auf ihre Ausreise nach Israel und Amerika warteten. Darunter viele jüdische Waisenkinder. Ab 1956 übernahm das katholische Siedlungswerk die Häuser, um heimatvertriebenen, kinderreichen Familien ein Zuhause zu geben.
Seit Jahren bemüht sich der Historische Verein in Wolfratshausen, auf diese geschichtliche Bedeutung aufmerksam zu machen. Den Vorsitz des Vereins führt die promovierte Historikerin Sybille Krafft. Sie ist eine Expertin für die NS- und Nachkriegszeit in Bayern. Ihr Wissen darüber macht sie durch Filmdokumentationen im Bayerischen Fernsehen und bayernweiten Wander-Ausstellungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Aktuell macht die Ausstellung „Die Kinder vom Lager Föhrenwald“ im Pfarrheim St. Josef der Arbeiter in Waldram noch bis zum 6. März Station.
Das jüdische Badehaus und das benachbarte Hausmeisterhaus waren damals das Herz der Siedlung. „Quasi der Stachus im Lager Föhrenwald“, formuliert es Sybille Krafft. Als sie und ihre Mitgliedern vom Historischen Verein 2011 hörten, dass die katholische Erzdiözese, die heutigen Besitzer, vorhatte, das Areal um den historischen Ort als Neubaugebiet zu veräußern, war die Aufregung groß. Auch die Siedlungsgemeinschaft Waldram machte sich Sorgen, dass das letzte historische Gebäude-Ensemble der Abrissbirne zum Opfer fallen könnte. „Wir haben seit 2007 ein wachsames Auge darauf“, bestätigt Wolfgang Saal, der Vorsitzende. Seitdem gehen die Siedler und die Historiker „Schulter an Schulter“ dagegen an, denn inzwischen ist durch Aussagen von Zeitzeugen auch bewiesen, dass im Keller des alten Badehauses ein geheiligter jüdischer Ort untergebracht war, eine Mikwe – das einzige historische jüdische Ritualbad Oberbayerns.


Es fanden sich sofort 140 ehrenamtliche Helfer


Früher gehörte zu jeder größeren jüdischen Gemeinde ein solches rituelles Tauchbecken, das verheiratete Frauen einmal pro Monat nach der Menstruation oder nach der Geburt eines Kindes besuchten. Erstmals betritt eine Frau am Vorabend der Trauung eine Mikwe. Auch gläubige Männer benutzen dieses rituelle Bad. Bei der Reinigung ist der Körper nackt und wird dreimal völlig untergetaucht.
Sybille Krafft und Wolfgang Saal sind die Macher, die für dieses Projekt ihre Kompetenzen einsetzen: Sie, die Wissenschaftlerin, Autorin und Filmemacherin weiß, wie sie die Öffentlichkeit informieren kann; er, der Techniker plant und kalkuliert. Sie haben es geschafft, im April 2012 alle Entscheider der Stadt und der Kirche an einen runden Tisch zu holen und den Zuspruch bekannter Persönlichkeiten gewonnen: Charlotte Knobloch, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde von München und Oberbayern, Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer gehören zu den prominenten Unterstützern dieses Vorhabens.
Der erste große Meilenstein ist seit diesen Februar geschafft: Das erzbischöfliche Ordinariat überlässt dem Historischen Verein und der Siedlungsgemeinschaft respektive dem neu gegründeten Förderverein „Bürger fürs Badehaus“ das Gebäude und bekommt dafür das Baurecht für die angrenzenden noch freien Grundstücksflächen.
Wie wichtig dieses Erinnerungsprojekt auch den Waldramer Bürgern ist, zeigt, dass der Förderverein nach kurzer Zeit schon 140 Mitglieder zählt. Nun aber stünden sie vor einer „finanziellen und organisatorischen Mammut-Aufgabe“, erklärt Krafft. Bis zu fünfzig Prozent Zuschuss zu den Investitionskosten habe ihnen die Stadt Wolfratshausen in Aussicht gestellt, sagt die Historikerin. Freie Investoren, Sponsoren und Zuschüsse von staatlicher Seite gilt es jetzt noch zu finden. „Wir werden unsere Anfragen bis auf Bundesebene ausweiten und klar machen, dass dieses Projekt von überregionaler Bedeutung ist.“
Noch viel mehr ehrenamtliche Helfer wünscht sich Sybille Krafft für den Förderverein „Bürger fürs Badehaus“. „Wir brauchen jede Hilfe, vom Architekten bis zum Hobbygärtner.“ Es soll ein modernes Bürgerhaus aus den 900 Quadratmetern Nutzfläche des jüdischen Badehauses entstehen – ein Bürgerhaus von Bürgern gemacht. Wenn ihre Vision aufgeht, dann haben sie in einer beispiellosen Zusammenarbeit einen lebendigen Ort der Begegnung geschaffen und sich ihrer historischen Verantwortung gestellt. „Viele Menschen sollen erfahren, dass in Waldram ein wichtiger Teil deutscher Geschichte geschrieben wurde.“ (Andrea Weber)

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