Leben in Bayern

Nachtwächter in Bamberg: Alexander Wahl. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

07.08.2019

Hurenwinkel und Garaus

Stadtrundgänge mit historisch gewandeten Führern sind in ganz Bayern beliebt. Früher hatten Nachtwächter eine wichtige Funktion. Heute geben ihre verkleideten Pendants pikante Details von damals preis

Alexander Wahl bläst in sein Horn. "Hört, Ihr Leut' und lasst Euch sagen: Uns're Uhr hat Neun geschlagen", stimmt er das Nachtwächterlied an. In der Abenddämmerung setzt sich die etwa 30-köpfige Gruppe zu ihrem Rundgang durch die Bamberger Altstadt in Bewegung. Von der Tourist-Info geht es durch die engen, verwinkelten Gassen der oberfränkischen Weltkulturerbestadt bis zum Dom und von dort in die Sandstraße unterhalb des Dombergs.

Der Nachwächter ist leicht zu erkennen: Auf dem Kopf trägt er einen Dreispitz, um den Hals sein Horn. In der linken Hand hält er eine Laterne, in der rechten eine Hellebarde, eine Art Speer mit axtförmiger Klinge und scharfer Spitze. Wahl bietet seine Touren am liebsten als Nachtwächter verkleidet in der Dämmerung an. Seit etwa acht oder zehn Jahren macht er das schon, genau weiß er es nicht.

"Die Nachtwächter hatten einen schlechten Ruf", erzählt der 51-Jährige, ein bärtiger Mann mit kräftiger Stimme. "Es galt als unehrlicher Beruf, weil man dafür keine Ausbildung gebraucht hat." Die deutsche Sprache verdanke dieser ausgestorbenen Berufsgruppe einige Redensarten, wie "von Tuten und Blasen keine Ahnung haben" und "jemandem den Garaus machen". Denn zu den Aufgaben des Nachtwächters gehörte es, so Wahl, die Sperrstunde zu kontrollieren. Wenn es soweit war, klopfte der Mann mit Laterne und Hellebarde an die Türen oder Fenster der Wirtshäuser und rief: "Der Tag ist gar aus!"

Der Beruf des Nachtwächters kam im Mittelalter auf, als viele größere Städte entstanden. Vor allem hatte der Wächter darauf zu achten, dass sich "nachts keiner auf der Straße herumtreibt, der da nicht hingehört", erzählt Wahl. Sie überprüften, ob die Türen und Fenster der Häuser verriegelt waren, und schlugen Alarm, wenn Feuer ausbrach. Und, so berichtet Wahl den ungläubigen Zuhörern, sie kontrollierten nach Hochzeiten mit Blicken durch Tür oder Fenster, ob das Paar in der Hochzeitsnacht ordnungsgemäß die Ehe vollzog.

Nachtwächter durften nicht zweimal denselben Weg ablaufen

Als vor etwa 150 Jahren die ersten Straßenlaternen aufkamen, ging der Zunft mehr und mehr die Arbeit aus. Manche Nachtwächter hätten danach als Hilfspolizisten eine Anstellung gefunden, sagt Wahl. Im Umgang mit Waffen waren sie ja geübt.

Nachtwächterführungen gibt es in zahlreichen bayerischen Städten - von München bis Würzburg, von Kaufbeuren bis Kulmbach, von Rothenburg ob der Tauber bis Rosenheim. Mancherorts, zum Beispiel in Nürnberg und Gunzenhausen, ist es eine Frau, die die Besucher in historischem Gewand durch die dämmerige Altstadt führt. Organisiert werden die Führungen teils von privaten Vereinen oder Unternehmen, in einigen Städten werden sie ganzjährig mehrmals pro Woche angeboten.

In Bamberg gibt es diese Rundgänge seit 2003. Warum ist diese Art von Stadtführung bei Touristen, aber auch bei vielen Einheimischen so beliebt? "Ich glaube, wir bieten eine gute Mischung aus Information und Unterhaltung", sagt Ekkehard Arnetzl, der die Bamberger Nachtwächterführungen organisiert. "Wir texten die Leute nicht mit Zahlen und Fakten zu, aber wir achten auf Qualität."

Eine wichtige Inspirationsquelle für die Touren sei die Bamberger Nachtwächterordnung von 1789, sagt Arnetzl. In dieser stehe allerhand Kurioses: Zum Beispiel gebiete sie den Nachtwächtern, nie zweimal denselben Weg abzulaufen, um für Gauner unberechenbar zu bleiben. Oder sie verpflichte die Wächter, die "Hurenwinkel" zu kontrollieren - wie sie das zu tun hatten, darüber schweigt sich das Dokument aus.

Nach eineinviertel Stunden voller teils derber Anekdoten über die als fromm und bierselig geltenden Bamberger ist dann auch der abendliche Stadtrundgang von Wahl vorbei. Er nimmt seinen Dreispitz ab, fast alle Touristen werfen eine Münze oder einen Schein hinein.

Wahl mag vor allem eines an dem Job: "Es ist schön zu beobachten, wie sich die Stadt im Laufe der Jahreszeiten verändert", sagt er. "Das Licht, die verschiedenen Stimmen - das alles ist zu jeder Jahreszeit anders. Ich habe bestimmt schon Hunderte Nachtwächterführungen gemacht, aber es bleibt immer reizvoll."
(Philipp Demling, dpa)

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