Leben in Bayern

Ein Insasse hält in der Vater-Kind-Gruppe in der JVA Nürnberg seine Tochter in den Armen. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

03.06.2019

"Ich kann wenigstens bei meinem Papa sein"

Wird ein Elternteil zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, leiden Kinder besonders. In Nürnberg hilft der Verein Treffpunkt Häftlingen, den Kontakt zu ihnen zu halten. Doch Vater-Kind-Gruppen gibt es längst nicht in jeder Vollzugsanstalt

In der Vater-Kind-Gruppe zählt jede Minute. Während der zwei Stunden Besuchszeit halten die zwölfjährige Monika (Namen wurden geändert) und ihr Papa fast durchgehend einander an den Händen. Der Körperkontakt gibt beiden Kraft und füllt die emotionalen Tanks wieder auf. Denn die müssen bis zum nächsten Treffen reichen. Alle zwei Wochen können Gefangene der Justizvollzugsanstalt (JVA) Nürnberg ihr Kind empfangen und damit den Kontakt aufrechterhalten.

Wenn Vater oder Mutter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, dann werden auch deren Kinder mitbestraft. "Während der Vater meist den Schock der Inhaftierung verarbeiten muss, ist die Mutter gewaltig mit sich selbst beschäftigt. Kinder erleben dann eine überforderte Familie und bleiben häufig in Wut, Trauer, Einsamkeit und Verwirrung zurück", erklärt Treffpunkt-Geschäftsführerin Hilde Kugler die Misere. Zusätzlich würden Kinder von Häftlingen häufig noch von Freunden und in der Schule ausgegrenzt. "Die Kinder sind die Letzten in der Kette und können in dieser Situation die Beziehung zu den Eltern nicht selbst steuern und nicht überprüfen, wie es dem Papa im Gefängnis geht", sagt die Sozialpädagogin.

An diesem Tag gestalten die Knastväter mit ihrem Nachwuchs Jutetaschen mit Fingerfarben und bekleben sie mit Pailletten. Handys, E-Mails und Internet sind Strafgefangenen verwehrt. Sie können nicht mal eben zum Telefon greifen und zu Hause anrufen. "Es ist schwierig, soziale Bindungen nach draußen zu halten. Ich bin für die Vater-Kind-Gruppe extrem dankbar", sagt Markus, der wegen Einbruchs zwei Jahre absitzt. Zwar seien die Besuche seiner dreijährigen Tochter Nadine eine Achterbahn der Gefühle: Der Freude beim Begrüßen folgt dann jedes Mal der Katzenjammer bei der Verabschiedung. Doch ohne die Besuche verlöre sein Leben den Mittelpunkt. Von der Mutter lebt Markus getrennt. "Meine Tochter ist mein Leuchtturm, ich bin sehr stolz auf sie."

In Bayern haben nur 10 der 36 Anstalten Familienangebote

Ohne die Unterstützung durch den Nürnberger Straffälligenhilfeverein Treffpunkt, der von den Städten Nürnberg und Fürth sowie vom Landesverband für Gefangenenfürsorge getragen wird, wäre das Angebot kaum möglich. Zwar hat nach Paragraf 9 der UN-Kinderrechtskonvention, die Deutschland anerkannt hat, jedes Kind das Recht auf einen regelmäßigen, persönlichen und direkten Kontakt mit beiden Elternteilen. Doch ob dieser bei Gefangenen tatsächlich ermöglicht wird, können die Justizvollzugsanstalten weder garantieren noch leisten. Sie sind auf die Arbeit von Initiativen und Verbänden angewiesen.

Längst nicht an allen JVAs in Deutschland gibt es daher Familienangebote wie in Nürnberg - in Bayern nur in zehn der 36 Anstalten. Kugler will daher eine Vernetzung aller Initiativen erreichen - mit dem Ziel, Familienangebote in möglichst allen deutschen Gefängnissen zu schaffen.

Auch für Felix, Monikas Bruder, sind Begrüßung und Abschied schwer. Sein Vater hat wegen Totschlags eine längere Gefängnisstrafe vor sich. Sie spielen das vom Verein entwickelte Memory-Spiel "Im Gefängnis - So lebt Papa", das helfen soll, das Thema zu enttabuisieren. Dabei macht sich Juki, das Zebra, für die Kinder von Gefangenen auf den Weg durch die Justizvollzugsanstalt. Felix, Monika, die geistig beeinträchtigt ist, und ihr Papa drehen abwechselnd die Karten um und freuen sich, wenn zwei Motive übereinstimmen. So bekommen die Kinder eine Vorstellung vom Knastalltag ihres Vaters. Wie sieht Felix die Situation? "Das ist scheiße, aber ich kann wenigstens bei meinem Papa sein", sagt der Zehnjährige.

Gäbe es die Vater-Kind-Gruppe nicht, dann könnte er seinen Vater nur zu den in Bayern gesetzlich erlaubten zwei Mal 45 Minuten pro Monat zusammen mit der Mutter besuchen. Dabei hält aber eine Glasscheibe Häftling und Besucher aus Sicherheitsgründen auf Distanz. Körperkontakt, Umarmungen sind nicht möglich. "Für Kinder verstärken diese Art von Treffen mitunter sogar die Entfremdung zum inhaftierten Elternteil", sagt Aylin Seuferling, die im Treffpunkt-Verein die Vater-Kind-Gruppe steuert und einmal im Monat eine Reflexionsgruppe mit den Knastvätern leitet, in der diese sich über ihre Familiensituation austauschen und die nächsten Besuche planen.

Die Sozialpädagogin führt die Kommunikation mit dem alleinerziehenden Elternteil draußen und hilft bei Anträgen, Behördengängen, bei Problemen in der Schule oder im Kindergarten - und organisiert das Bringen und Abholen der Kinder. Sie sagt: "Du kannst Verbrechen begangen haben und im Gefängnis landen, aber trotzdem ein guter Vater oder eine gute Mutter sein."
(Herbert Mackert, dpa)

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