Leben in Bayern

Acht Frauen haben sich zur Gruppe Maestra Geigenbauerinnen München zusammengeschlossen. (Foto: Enno Kapitza)

19.12.2025

Im Geigenbau-Mekka München: Meisterinnen schließen sich zusammen

In der Weihnachtszeit kommen immer wieder weibliche Klassik-Weltstars nach München – was viele nicht wissen: Hier bauen auch Frauen Weltklasse-Instrumente

Der Duft von frischem Holz steigt einem in die Nase, sobald Eva Lämmle die Tür öffnet. Im schmalen Gang der Wohnung warten schon die ersten Instrumente auf ihre Behandlung, sorgfältig verpackt in Cellohüllen und Geigenkoffer. Im fünften Stock eines Hauses zwischen der Münchner Frauenkirche und dem Promenadeplatz hat die Geigenbauerin ihre Werkstatt eingerichtet. Über der langen Werkbank glänzen knapp ein Dutzend Geigen, fein säuberlich aufgereiht an Haken. Auf dem Arbeitstisch neben dem Fenster wartet eine Bratsche auf ihre nächste Behandlung. Sie ist Eva Lämmles jüngstes Werk. In den vergangenen Monaten hat sie in gut 200 Stunden und 150 verschiedenen Arbeitsschritten aus wenigen unscheinbaren Holzstücken das edle Instrument entstehen lassen. „Ich genieße es, mich in den Arbeitsflow zu versenken, wenn ich mich mit allen Sinnen auf ein Stück Holz einlassen kann“, sagt Lämmle mit einem Lächeln.

Zu acht gegen die große Konkurrenz

Behutsam hebt Ulrike Glinsböckel nun die Bratsche an die Wange und setzt den Bogen an. Gespannt sieht Lämmle zu, wie ihre Kollegin dem Instrument die ersten Töne entlockt. „Es ist immer der spannendste Moment, wenn ein neues Instrument angespielt wird“, sagt die Geigenbauerin. „Dann erfährt man: Was ist das Ergebnis meiner langen Arbeit?“ Glinsböckels Bratschenspiel erfüllt den Raum. Es klingt voll, erhebend, mit einem leicht dunklen Timbre. Die beiden Frauen nicken sich zufrieden zu: Das Instrument ist bereit. Als letzten Arbeitsschritt wird Lämmle den naturholzfarbenen Korpus lackieren und der Bratsche so die typische braun-rötliche Farbgebung verleihen.

Ausreißer in der Farbgestaltung wie die schwarze Geige mit Swarovski-Steinchen, die aus dem Fundus von Eva Lämmle hervorsticht, sind die absolute Ausnahme. Doch beim genauen Hinsehen lassen sich auch bei den klassisch gefärbten Instrumenten Unterschiede erkennen. Jedes Exemplar ist ein Unikat, und jeder Geigenbauer und jede Geigenbauerin hat eine persönliche Vorliebe, wie man die Lacke zusammenmischt. Lämmle zum Beispiel wählt eher Brauntöne. „Ich gebe meinen Instrumenten gern eher einen Stich ins Rötliche“, sagt dagegen Ulrike Glinsböckel. Sie hat ihre Werkstatt im Osten von München unweit des Ostparks.

Die beiden Frauen kennen und schätzen sich seit Jahren, 2002 haben sie gemeinsam erfolgreich die Meisterprüfung als Geigenbauerinnen abgelegt. Vor einigen Jahren haben sie sich noch enger zusammengetan: Mit sechs weiteren Kolleginnen aus und um München – Susanne von Bechtolsheim, Nele Jülch, Nicole Ayumi Rautenberg, Katharina Starzer, Heike Cockill und Claire Chaubard – haben sie die Gruppe Maestra Geigenbauerinnen München gegründet. Bei den Münchner Geigentagen, bei denen die Geigenbauerinnen und -bauer aus der Gegend alle drei Jahre ihre neuen handgefertigten Instrumente präsentieren, wurde die Idee geboren.

Dass acht Meisterinnen des Handwerks gemeinsam auftreten, ist eine Besonderheit in der Branche; sie setzen sich so ab von der Konkurrenz. Die ist in München ziemlich groß: Etwa 40 bis 50 Geigenbauwerkstätten gibt es in der Region, schätzt Glinsböckel. Damit rangiert München nach dem italienischen Cremona, das als „Mekka“ des Geigenbaus gilt, ganz oben im Ranking der Städte mit der höchsten Dichte an Geigenbauwerkstätten. Man muss also sichtbar sein – auch wenn es glücklicherweise für alle Werkstätten gut zu tun gibt. „München ist eine Stadt, wo die Musik vielen sehr wichtig ist“, sagt Glinsböckel. 

Anne-Sophie Mutter gehört zur Kundschaft

Neben dem gemeinsamen Auftritt geht es den Frauen vor allem um den fachlichen Austausch, erzählt Glinsböckel. Die acht Geigenbaumeisterinnen begannen, sich über Herausforderungen auszutauschen und an Dingen gemeinsam zu tüfteln, die sie in ihren Werkstätten beschäftigten. Etwa, wie sich der Stimmstock auf den Klang eines Instruments auswirkt, ein kleines, aber sehr bedeutsames zylinderförmiges Holzstück, das zwischen Boden und Decke des Geigenkorpus geklemmt wird. Sie experimentierten gemeinsam mit verschiedenen Holzarten, mit der Länge und Position. „Das sind Versuche, die man allein im Arbeitsalltag nicht machen würde“, sagt Lämmle.

Doch solche Details wirken sich auf den Klang aus, wie geübte Ohren hören können. Jede Geige, jede Bratsche und jedes Cello klingt einzigartig und jede Geigenbauerin hat über die Jahre ihre eigene klangliche Handschrift entwickelt. Profimusiker wissen das zu schätzen. Stargeigerin Anne-Sophie Mutter etwa besitzt eine Geige von Glinsböckel. Für Hermann Menninghaus, den Ersten Solobratscher des BR-Symphonieorchesters, baute die Münchnerin zwei Bratschen in Sonderanfertigung.

Den engen Austausch bei Maestra empfinden die acht Meisterinnen als bereichernd. „Wir lernen viel voneinander“, sagt Glinsböckel. „Wir haben auch an unterschiedlichen Schulen gelernt, das hat unseren individuellen Stil beeinflusst.“ Die Münchnerin zum Beispiel hat den klassischen italienischen Geigenbau in Cremona „aufgesogen“. Eva Lämmle hingegen bringt Traditionen aus dem Vogtland mit. Beim Tüfteln an den eigenen Instrumenten hat jede der Frauen zudem eigene Tricks und Methoden entwickelt.

Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Leim: Zum Instrumentenbau wird ein Spezialleim verwendet. Während Glinsböckel auf Knochenleim zurückgreift, schwört Lämmle auf sogenannten Hasenleim, der aus Abfällen von Hasenhaut hergestellt wird. Die geleeartige Masse wird erwärmt und muss dann rasch und millimetergenau auf die Holzteile aufgetragen werden. Da der Leim durchsichtig ist, ist die Naht später für Laien kaum zu sehen. Wichtig ist in jedem Fall, dass der Leim löslich ist: Nur so kann das Instrument später einmal repariert werden, ohne es zu beschädigen.

Neben ihrem Spezialwerkzeug steht Holz als Werkstoff im Mittelpunkt der Arbeit der Frauen. Nicht selten geht es dabei um jahrhundertealte Hölzer. Denn Reparaturen und Restauration von alten Instrumenten sind ein wichtiger Bestandteil des Arbeitsalltags.

Eine alte Geige wartet auf Lämmles Werkbank auf ihre Wiederauferstehung. Sie stammt aus dem Jahr 1760, wie ein Zettel im Inneren des Korpus verrät. Furchen und Risse durchziehen die hellbraune Oberfläche. Vorsichtig wird Lämmle die Risse leimen und das Instrument auf Wunsch der Besitzer behutsam zu seiner Barockform rückbauen.

Mit einem ganz besonderen Holz hatte es Lämmle vor einigen Jahren zu tun: Sie erwarb Fichtenholz vom im Zweiten Weltkrieg zerstörten Dachstuhl der Frauenkirche. Fichte eignet sich sehr gut zum Bau von Instrumentendecken, da es leicht und sehr elastisch ist und damit besonders gut schwingen kann. Insgesamt zwei moderne Geigen, eine Barockgeige und eine Barockbratsche hat Lämmle aus dem Holz des Domes gefertigt. Die Instrumente hätten einen ganz besonderen Klang, sagt sie, silbrig und hell. Zwei hat sie bereits verkauft, zwei hängen noch in der Werkstatt. (Irmengard Gnau)
 

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