Das Kreuz an der Wand gehört immer noch fest zu jedem bayerischen Klassenzimmer. Doch immer weniger Familien sind noch Mitglied in der katholischen oder evangelischen Kirche. Ein Blick in die Kirchenstatistik 2024 zeigt: Noch rund 5,5 Millionen Menschen gehören in Bayern der katholischen Kirche an, etwa 41 Prozent der Bevölkerung. Rund zwei Millionen sind Mitglied der evangelischen Kirche, das sind rund 15 Prozent der Bevölkerung in Bayern. Darauf muss auch die bayerische Bildungslandschaft reagieren. Ethikunterricht ist mittlerweile Standard, stellt jedoch gerade kleinere Schulen auf dem Land bisweilen vor planerische Herausforderungen.
Nicht im Grundgesetz verankert
„Ethikunterricht halte ich für sehr zeitgemäß“, sagt die Mutter eines Jungen, der die achte Klasse eines Gymnasiums in Oberfranken besucht. Es würden die großen Fragen beantwortet und auch ein Überblick über die Weltreligionen gegeben, ohne eine bestimmte Richtung vorzugeben. erklärt die Mutter, die selbst aus der katholischen Kirche ausgetreten ist. Ihr Sohn gehe gerne in den Unterricht und diskutiere die Inhalte nicht selten zu Hause mit der großen Schwester oder mit den Eltern. Die Mutter begrüßt das alternative Angebot: „Es ist wichtig, den jungen Menschen Werte zu vermitteln. Ethik kann das.“
Ziel des Ethikunterrichts sei es, Schülerinnen und Schülern eine ethische Grundbildung zu vermitteln und sie zu begründeter Urteilsbildung und verantwortlichem Handeln zu befähigen, erklärt auch ein Sprecher des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Der Inhalt des Ethikunterrichts orientiere sich an den sittlichen Grundsätzen, wie sie in der Bayerischen Verfassung und im Grundgesetz niedergelegt sind. Zudem berücksichtige er die Pluralität der Bekenntnisse und Weltanschauungen. Anders als der konfessionelle Religionsunterricht ist der Ethikunterricht allerdings nicht im Grundgesetz verankert.
Trotzdem ist der Ethikunterricht zunehmend gefragt. Die Zahl der Ethiklehrer im Freistaat ist laut Kultusministerium in allen Schularten in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.
Der Schulleiter einer Mittelschule in Niederbayern verzeichnet zwar keinen sprunghaften Anstieg der Besucher des Ethikunterrichts, und doch steige die Nachfrage kontinuierlich. Es sei aber nicht immer einfach, ihn zu organisieren: „Manchmal ist es schon ein Eiertanz.“
Wenn ein Schüler keinen katholischen und evangelischen Unterricht besuchen will, ist Ethik verpflichtend. Dass die Organisation in der Praxis aber gerade für kleinere Schulen auf dem Land oft nicht leicht ist, bestätigt Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV (Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband). Sie sagt aber: „Es gibt viele Schulleiter, die hier rechtlich machbare und kreative Lösungen finden.“ Fleischmann fordert grundsätzlich religiöse Räume an Schulen, in denen verschiedene religiöse Ansätze zusammenkommen können und der Dialog möglich ist und begrüßt bereits existierende Modellversuche für interreligiösen Unterricht.
Im Ethikunterricht gehe es um Reflexion und eigene Werte: „Das sind die Kompetenzen, die wir brauchen in unserer Gesellschaft.“ Es würden aber – und das ist Fleischmann sehr wichtig – auch religionsspezifische Kenntnisse behandelt: „Es geht auch um Religiosität.“
An den Realschulen schlägt das Thema auch auf. „Auf dem Land kann katholischer Religionsunterricht immer seltener im geschlossenen Klassenverband stattfinden, da die Gruppengrößen kontinuierlich sinken. Häufig müssen mehrere Klassen zusammengelegt werden, um eine unterrichtsfähige Gruppe zu bilden. Insgesamt führte dies in den letzten Jahren immer häufiger zu einem deutlichen Anstieg der Ethikunterrichtsstunden pro Woche.
Eine organisatorische Herausforderung
Organisatorisch ist das eine Herausforderung: „Der Ethikunterricht muss zum Beispiel im Idealfall parallel zu den Religionsstunden gelegt werden, um Betreuungsengpässe und Nachmittagsunterricht zu vermeiden“, erklärt der Landesvorsitzende des Bayerischen Realschullehrerverbands (brlv), Ulrich Babl. Es sei ihm aber keine staatliche Realschule bekannt, die keinen Ethikunterricht anbiete.
Die Herausforderungen sind auch dem Kultusministerium bekannt. Wenn an kleinen Schulen aufgrund sehr geringer Schülerzahlen sehr kleine Gruppen gebildet werden müssten, sei es möglich, die vorgesehene Stundenzahl für Ethik gegebenenfalls geringfügig zu reduzieren, teilt das Ministerium mit. Entscheiden müsse das dann das jeweils zuständige Staatliche Schulamt.
Weniger Probleme gibt es an den Gymnasien, wie der Bayerische Philologenverband (bpv) mitteilt. Der Religionsunterricht werde in der Regel in Schienen organisiert. Dabei wird der Klassenverbund aufgelöst, die Kinder gehen für diese zwei Wochenstunden in ihre Religionsgruppen. Auch wenn sich Verschiebungen in den Konfessionen ergeben, sei diese Struktur flexibel.
„Dass Ethik mangels Nachfrage ausfällt, ist uns zuletzt im Schuljahr 2001/02 bekannt geworden. Sobald fünf Schüler dafür in einer Jahrgangsstufe angemeldet sind, muss Ethik angeboten werden und wird es auch“, erklärt Michael Lang, Vorsitzender der Fachgruppe Ethik im bpv. Es gebe an allen staatlichen Gymnasien Ethik-Unterricht.
Laut Lang besuchen sowohl einige konfessionslose Kinder und Kinder anderer Konfessionen den konfessionellen Unterricht in evangelischer oder katholischer Religion als auch katholische und evangelische Kinder den Ethikunterricht.
Matthias Belafi, Leiter des Katholischen Büros Bayern, findet es zu einseitig, „nur auf die zurückgehende Zugehörigkeit von Schülerinnen und Schülern zur Konfession zu schauen“. Aus seiner Sicht sei etwa der Zuspruch der katholisch Getauften zum Religionsunterricht heute sogar größer als vor etwa 20 Jahren, als sich deutlich mehr Schülerinnen und Schüler, die in der Kirche waren, vom Religionsunterricht abgemeldet hätten. In den allgemeinbildenden Schulen im Erzbistum München und Freising besuchten etwa im aktuellen Schuljahr mehr als 92 Prozent der katholisch getauften Kinder und Jugendliche den katholischen Religionsunterricht. Zusätzlich hätten sich etliche Kinder und Jugendliche, die nicht der römisch-katholischen Kirche angehören, für den Unterricht angemeldet. Bayernweit liegt der Anteil dieser nichtkatholischen Teilnehmer laut Belafi bei 10 bis 15 Prozent.
Die Mutter eines Grundschülers und eines Gymnasiasten schickt ihre Kinder bewusst in den Religionsunterricht: „Es ist mir auch wichtig, dass sie die Sakramente der Kommunion und Firmung erfahren und die Gemeinschaft der Kirche kennenlernen“, sagt die Frau. Die Kinder könnten später selbst frei entscheiden, ob sie ein Teil der katholischen Kirche sein wollen oder nicht. Derzeit gehen ihr zufolge beide Kinder aber sehr gerne in den Religionsunterricht: „Das liegt bei meinem Jüngeren auch daran, dass der Pfarrer cool ist.“
Die Mama überlässtdie Wahl ihren Kindern
Die Mama des Gymnasiasten in der achten Klasse aus Oberfranken sagt: „Mir ist die Wahlmöglichkeit für unsere Kinder wichtig. Auch, wenn ich schon vor Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten bin, respektiere ich doch, dass es Familien gibt, die ihre Kinder in den Religionsunterricht schicken möchten. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass es eine Alternative für konfessionslose Kinder gibt.“
Für ihren Sohn sei aber Ethik „der richtige Weg“. Ihr ist es daher wichtig, dass wirklich alle Kinder und Jugendlichen, deren Eltern es für richtig finden, ihr Kind auch in diesen Unterricht schicken dürfen – auch, wenn die Organisation für manche Schulen nicht ganz einfach ist. (Melanie Bäumel-Schachtner)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!