Es ist ein kühner Mix aus Deutsch und Englisch, der durch den Raum des Würzburger Sprachcafés schallt. Bei Tee, Kaffee und Knabbereien lernen ältere Menschen nicht nur Vokabeln. Sie erzählen in der Fremdsprache aus ihrem Leben. Jutta Valentini-Sasse zum Beispiel berichtet von der Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie freut sich darauf, bei der nächsten Auslandsreise endlich selbst im Restaurant ihr Essen bestellen zu können.
Die Aussprache muss nicht hundertprozentig korrekt sein. Auch sind kleine Grammatikfehler keine Katastrophe. Man ist ja schließlich nicht in der Schule. Acht Seniorinnen sitzen in einem Würzburger Sprachcafé, um mit Kerstin Tolev Englisch zu üben. Gerade erklärt sie den Unterschied zwischen „I was“ und „we were“.
Die 46-jährige Tolev ist ausgebildete Übersetzerin, arbeitete lange im Tourismusbereich, aber auch immer wieder in einigen Sprachschulen. Problematisch fand sie dabei, dass sie oft allzu heterogene Gruppen unterrichten musste. Die Unterschiede, was Vorkenntnisse, Motivation und Ziele anging, waren mitunter so groß, dass sie merkte, den einzelnen Teilnehmern im Unterricht kaum gerecht werden zu können. „Neben der jungen Frau, die aus beruflichen Gründen Englisch lernte, saß eine Seniorin, die vorhatte, sich so viel Englisch beizubringen, um bei Reisen im Ausland klarzukommen“, erzählt Tolev. Daraus entstand die Idee, in Würzburg Sprachkurse ausschließlich für Menschen über 55 Jahre anzubieten.
Lernen mit dem Recht auf Faulheit – geleistet hat jeder schon genug im Leben
Und diese Idee kommt an. Seit drei Jahren gibt es nun schon das Sprachcafé. Viele, die zu Tolev kommen, hatten in der Schule kein Englisch. Anita Siebert zum Beispiel. Als sie in die Volksschule ging, stand Englisch noch nicht auf dem Stundenplan, erzählt die 68-Jährige. „Das war erst kurz danach so, als mein Bruder eingeschult wurde.“ Nach der Schule lernte Siebert Industriekauffrau. Und auch die Ausbildung enthielt damals noch keinen Englischunterricht. Ende der 1960er-Jahre hatte sie mal einen Englischkurs in einer Volkshochschule besucht – aber das ist lange her. Als Siebert vor einem Jahr am Schaufenster des Sprachcafés vorbeischlenderte und las, dass Senioren dort Englisch lernen können, war ihr Interesse deshalb sofort geweckt. „Ich wollte schon lange etwas tun, um mein Englisch aufzufrischen“, berichtet sie.
Die wöchentliche Englischstunde im „Sprachcafé“ mag Siebert vor allem so gerne, weil die nichts mit „Büffeln“ zu tun habe und überhaupt nicht anstrengend sei. Natürlich wäre es gut, zwischen den Treffen ein wenig Vokabeln zu üben, meint sie. Aber klappt das nicht, weil man mal wieder so viel anderes zu tun hatte oder einfach keine Lust, sei das auch nicht schlimm. Schließlich habe man schon genug geleistet im Leben und im Alter das Recht auf ein wenig Faulheit erworben.
Gelernt wird inmitten von englischem Flair. Auf dem Tisch stehen Kannen mit schwarzem Tee und Kaffee, auch gibt es kleine Knabbereien. Es geht völlig entspannt zu. Und dennoch bringt jede Stunde auch einen Lernerfolg. Gerade geht es um den Unterschied zwischen den englischen Vokabeln für „Tante“ (aunt) und „Ameisen“ („ants“). Die Devise dabei: Jeder soll mitkommen. Und jeder kommt mit. Das, weiß Siebert, ist nicht überall so. „Ich erinnere mich, dass bei meinem Volkshochschulkurs überhaupt kein Deutsch gesprochen wurde“, erzählt sie. Das sei nicht immer leicht gewesen. Bei Kerstin Tolev hingegen darf selbstverständlich auch deutsch gesprochen werden. Wobei so mancher Dialog deshalb aus einem kühnen Mix aus Deutsch und Englisch besteht. Egal. „Es soll den Teilnehmern Spaß machen“, lautet schließlich der wichtigste Grundsatz von Tolev.
Gerade die Montagsgruppe des Sprachcafés ist ein eingeschworenes Team. Weil viel Persönliches in die Stunde einfließt, lernten sich die acht Kursteilnehmerinnen schnell sehr gut kennen. Am Beginn der Stunde erzählt jede, was sie seit dem letzten Treffen erlebt hat. Diesmal berichtet eine Kursteilnehmerin von einer dreiwöchigen Kuba-Rundreise, von der sie soeben zurückgekehrt ist. 2000 Kilometer hat sie mit dem Auto zurückgelegt. Wie die Leute auf Kuba so waren? „People are there so friendly“, schwärmt sie – grammatikalisch nicht ganz einwandfrei.
Der Praxistest im Juni: 16 Kursteilnehmer fahren gemeinsam nach England
Auch Jutta Valentini-Sasse berichtet von ihren jüngsten Erlebnissen. Sie hat eine „Gospel Night“ am Wochenende besucht. Die 80-Jährige, die seit eineinhalb Jahren Englisch lernt, gehört zu den ältesten Teilnehmern des Sprachcafés. Aus der Zeitung hatte sie erfahren, dass es die Möglichkeit gibt, dort auf lockere Weise mit anderen Senioren Englisch zu lernen. Das begriff Valentini-Sasse, die in den 1950er

Jahren als einzige weibliche Studentin ihres Jahrgangs in Weihenstephan Landwirtschaft studiert hatte, als einmalige Gelegenheit, sich endlich Englisch anzueignen. Da sie im Osten Deutschlands aufwuchs, lernte sie in der Schule Russisch und Latein. Und stieß deshalb auf Reisen immer wieder auf Sprach-Mauern. Vor zwei Jahren war Valentini-Sasse in Südafrika und ärgerte sich darüber, dass alle anderen Reiseteilnehmer zumindest ein bisschen Englisch beherrschten: „Nur ich konnte gar nichts“, klagt sie. Nun möchte sie mindestens so viel lernen, dass sie bei der nächsten Reise ins englischsprachige Ausland selbstständig etwas im Restaurant bestellen kann.
Was Valentini-Sasse am Sprachkurs besonders gefällt: der Alltagsbezug der Themen. Manchmal geht es am Rande auch um Politisches, aktuell zum Beispiel um den Fall der Berliner Mauer. Ein Thema, das der Seniorin sehr nahegeht, musste sie 1958 doch selbst aus der DDR fliehen. In der Lektion taucht die Frage auf, wann denn die Berliner Mauer fiel. Über die Antwort muss Valentini-Sasse nicht nachdenken: „It was on the 9th of November 1989“, sagt sie sofort.
Und auch an die erste Flucht ihres Lebens nach Kriegsende wird die 1937 in Breslau geborene Seniorin an diesem Tag erinnert. Denn inzwischen ist das Thema „Lebensmittel“ dran. „What did you have for breakfast?“, fragt Kerstin Tolev ihre Schülerin Valentini-Sasse. „Bread, butter and ham“, sagt sie. Und Valentini-Sasse, die im Mai 1945 mit ihren Eltern aus Schlesien durch die Tschechei nach Sachsen floh, schiebt sofort nach, dass sie eine „Butteresserin“ sei: „Denn nach dem Krieg gab es nur Margarine aus Eicheln. Das hat ganz fürchterlich geschmeckt.“ Bis heute weigert sie sich deshalb, Margarine aufs Brot zu schmieren. Überhaupt seien sie damals immer hungrig gewesen. „Wir hatten nie genug zu essen“, erinnert sie sich.
Das gibt Anlass zu weiteren Fragen. „Do you throw food away?“, erkundigt sich Tolev. „Never!“, antwortet Valentini-Sasse. Nie wird sie den fürchterlichen Hunger nach dem Krieg vergessen. Weggeschmissen wird deshalb nichts, was noch genießbar ist. Nicht einmal altes Brot. Das bekommen die Nachbarn für ihre Kaninchen: „Wie heißen die gleich noch mal?“ Tolev hilft nach: „Rabbits.“
Im Juni steht ein ganz besonderer Praxistest für 16 Senioren aus den insgesamt acht „Sprachcafé“-Kursen an: Sie reisen für eine Woche gemeinsam nach England. Angst, sich zu blamieren, aber hat keiner: Alle haben so viele Vokabeln intus, dass es sicher kein Problem sein wird, im Restaurant etwas zu bestellen. (
Pat Christ)
Foto (Christ): Jutta Valentini-Sasse (links) ist 80 Jahre alt: Zum erstem Mal in ihrem Leben lernt sie Englisch
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