Nach einem Burnout eröffneten sich Birgit Arnold im professionellen Sprechen neue berufliche Möglichkeiten. Die gelernte Betriebswirtschaftlerin und Sängerin aus dem oberbayerischen Eberfing gab sich selbst eine zweijährigen Bewährungsprobe. Dann stieg sie vor rund zehn Jahren hauptberuflich in die Sprecherszene ein. Nach wie vor kann sie von ihrem Beruf leben: „Doch es wird anstrengender.“ Durch KI.
Der Siegeszug der künstlichen Intelligenz wirkt sich auf viele Berufe aus. Firmen sind verführt, zu KI zu greifen. Ist sie doch im Vergleich zum Menschen billiger. KI spart zumindest dann bares Geld, wenn der eigene Qualitätsanspruch nicht allzu hoch ist. Richtig gute Tools hingegen sind teuer.
Auch Birgit Arnold macht sich Gedanken über die Zukunft ihres Berufs. Nicht überall, ist sie überzeugt, wird man sich mit künstlicher Intelligenz behelfen können: „Die guten Sprecher finden weiter ihre Nische.“ KI könne mittlerweile zwar nahezu perfekt sprechen. Sprachlich Unsensible bemerkten den Unterschied zu einer menschlichen Stimme auch nicht mehr. Letztlich fehlten KI-Stimmen jedoch Subtilität und Emotionalität. Bei teurer Werbung zum Beispiel, erklärt Arnold, wird darum weiterhin auf den Menschen gesetzt. Doch der Markt ist schon geschrumpft: Einfache Aufgaben wie Telefonansagen werden fast nur noch von KI eingesprochen.
Wie viel wurde aus dem Netz geraubt?
Problematisch sehen Arnold und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, dass keiner genau weiß, wie die jeweilige KI trainiert wurde. Welche realen Stimmen flossen hinein? Welche Stimmen wurden möglicherweise aus dem Netz geraubt? Die EU hat das Problem erkannt. Seit 2. August gelten neue Transparenzpflichten für KI-Tools wie ChatGPT oder Googles Gemini. Die Anbieter sind nun verpflichtet, offenzulegen, mit welchen Daten ihre Modelle trainiert wurden und wie sie die Urheberrechte schützen.
Was aber längst nicht heißt: Ende gut, alles gut. Noch existiert kein deutsches Umsetzungsgesetz. Laut Lobbyregister des Bundestags versuchen Techkonzerne auch alles, damit dieses letztlich so weichgespült wie möglich ausfällt. So heißt es von Facebook Germany: „Es wird für eine schlanke Umsetzung ohne Übererfüllung sowie für die Etablierung der Bundesnetzagentur als deutsche Regulierungsbehörde des EU KI-Gesetzes eingetreten.“ Ein Referentenentwurf soll sich seit einem Jahr in der Ressortabstimmung befinden.
Was KI inzwischen alles draufhat, erstaunte Sprecher Jörg Pasquay aus Stadtbergen im Kreis Augsburg, als er unlängst ein von KI eingesprochenes Stück anhörte: „Das war emotional richtig glaubwürdig.“ Er habe zweimal hinhören müssen, sagt der erfahrene Sprecher, um anhand minimal falscher Betonungen zu merken: Hier spricht kein Mensch. Hier spricht eine Maschine.
Pasquay bewegt sich vorwiegend in christlichen Sphären. Ein Hauptauftraggeber ist seit mehr als 20 Jahren die Fernsehsendung Hour of Power auf Bibel TV. Hier ist er die deutsche Stimme von Pastor Robert Schuller. Für Bibelsprüche oder Gebete, davon ist Pasquay überzeugt, braucht es den Menschen, da KI bar jeder Spiritualität sei. Doch auch ihn beunruhigt die Entwicklung. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass Hour of Power bald künstlich eingesprochen werden soll.
Das Gespür für Stimmen könnte verloren gehen
Aber einen anderen Job – Pasquay sprach für ein Beratungsunternehmen Schulungen ein – hat inzwischen eine KI übernommen. Das Resultat, findet Pasquay, sei aufgrund des verwendeten Billig-Tools nicht überzeugend. Aber es war wohl günstiger und für die Zwecke des Unternehmens offenbar auch ausreichend.
Unabhängig vom geschäftlichen Aspekt warnt der Sprecher: Gewöhnen sich junge Menschen an künstlich erzeugte Stimmen, droht ihnen die Sensibilität für den in der Stimme des Menschen enthaltenen Reichtum verloren zu gehen, befürchtet er. Überhaupt drohe durch KI der Verlust eigener Fähigkeiten.
Der reine Sprecher hat oft einen entscheidenden Nachteil: Er kann sein Äußeres nicht zur Geltung bringen. Seine Ausstrahlung. Seine Erscheinung. Die Fähigkeit, die Rolle trotzdem mit Seele zu füllen, wird künftig möglicherweise sogar stärker nachgefragt sein. Das mutmaßt Thomas Arnold, Sprecher aus Berlin. Arnold ist Schauspieler und Sprecher zugleich. „Ich lebe vom Live-Effekt“, sagt er. Durch seine Schauspielkunst und sein Sprechtalent vermag er zu entrücken. Das funktioniere selbst im Studio. Dort erlebe man, wie er mit Worten jongliert: „Das ist wie eine Live-Session mit mir.“
Fakt ist: Die Nachfrage nach Sprecherinnnen und Sprechern lässt spürbar nach. Das bestätigt auch Susanne Eiber, Inhaberin der Sprecheragentur engelszungen aus München. Der Umsatz sei bei ihr seit Ausbruch der Corona-Pandemie um 40 Prozent zurückgegangen: „Die Zahlen sind katastrophal.“ Allerdings kämen inzwischen wieder mehr Anfragen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sowohl der BR als auch das ZDF fragten neulich an: „Weil sie menschliche Stimmen haben wollen.“
Honorare werden gedrückt
Patrick Messe, aus Augsburg stammend und heute als Sprecher in Wien etabliert, beobachtet ebenfalls einen neuen Trend hin zum „echten Menschen“. Was Susanne Eiber feststellt, erfährt auch er: Zumindest einige Kunden, die KI ausprobiert haben, kämen „reumütig“ zurück. Sie hätten erfahren, dass wirklich gute Produktionen mit KI unterm Strich mehr kosten. Zum Beispiel durch teure Prompt Engineers. Wobei die Qualität trotz hoher Kosten in der Regel immer noch unter jener professioneller Sprecher liegt.
Patrick Messe hilft Firmen, ihr Image aufzupolieren. Und er arbeitet für Rundfunkanstalten. Ihm selbst geht es aufgrund fester, treuer Kunden noch gut: „Allerdings kenne ich Kollegen, bei denen das Geschäft um 80 Prozent einbrach.“ Eine KI-bedingte Umsatzeinbuße von 30 Prozent sei völlig normal. Wer noch genug Auftraggeber hat, müsse mit Honorareinbußen rechnen: „Es steht ein festes Budget zur Verfügung und man wird gefragt: Machst du das dafür? Sonst machen wir es mit KI.“
Damit die Luft nicht noch dünner wird, appelliert Patrick Messe, sich Berufsverbänden anzuschließen. Und zwar nationalen wie internationalen. Schließlich breitet sich KI auf jedem Erdteil aus. Messe selbst ist Co-Präsident von United Voice Artists: „Wir sind inzwischen 25 000 Sprecherinnen und Sprecher aus 40 nationalen Verbänden.“ Außerdem rät er, auch wenn das aus existenziellen Gründen verlockend erscheint, von Knebelverträgen ab. Kein Sprecher sollte seine Stimme in einer Fußnote des Vertrags für Maschinenlernen zur Verfügung stellen. (Pat Christ)
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