Politik

Konrad Adenauer (1876–1967): Der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland prägte den demokratischen Neubeginn nach 1945. Sein Politikstil bleibt aber bis heute umstritten. (Foto: dpa/Christoph Hardt)

20.12.2025

Neue Adenauer-Biografien: Der Kultkanzler in neuem Licht

Zwei neue Bücher über Konrad Adenauer beleuchten die Frage, wie demokratisch der erste Bundeskanzler Deutschlands tatsächlich war

Der Historiker Friedrich Kießling schreibt im Schlusskapitel seiner Biografie über Konrad Adenauer (CDU), es bestehe für ihn „kein Zweifel, dass Adenauer Demokrat war“. Das sei auch die eigene Einschätzung des ersten Kanzlers der Bundesrepublik gewesen. Die Frage sei allerdings, was unter Demokratie zu verstehen sei, ob sein Politikstil „im vollen Sinne“ als demokratisch bezeichnet werden darf und welche Wandlung sein Demokratieverständnis durchgemacht habe.

Diese feinen Unterscheidungen klingen seltsam. Klar ist hingegen: Adenauer wurde am 5. Januar vor 150 Jahren geboren – Anlass für den Blick zurück. Festzuhalten bleibt auch: Adenauer als Geburtshelfer der Demokratie zu schildern, ist eine nicht ganz neue Idee, denkt man daran, dass im Jahr 2000 eine Biografie Adenauers des britischen Politikers und Autors Charles Williams erschien mit dem Untertitel: Der Staatsmann, der das demokratische Deutschland formte. Im Vorwort schrieb Williams damals: Adenauer habe am Ende seines Lebens die Energie und den Ehrgeiz aufgebracht, Deutschland aus einer scheinbar ewigen Verfemung in die zivilisierte Welt und in ein neues Europa zurück zu führen, dessen Grundlage die Freiheit des Individuums, Toleranz und vor allem Demokratie seien.

Demokrat mit Vorbehalten

Diese Idee hat nun angesichts des Geburtstags Konjunktur. Das ist erstaunlich, denn es ist nur einige Monate her, dass das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) und das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Das Kanzleramt. Bundesdeutsche Demokratie und NS-Vergangenheit herausarbeiteten, wie Adenauer über die NS-Belastung seiner Beamtinnen und Beamten gerne hinwegsah. Damals betonten Historiker, Adenauer werde heute viel kritischer gesehen, als das viele Jahre der Fall gewesen sei.

Nun also eine Kehrtwende? Kießling zeigt einen „Demokraten“, der mit echter Demokratie seine Schwierigkeiten hatte. Der Autor widerspricht der These, die Demokratisierung der Bundesrepublik habe erst in der Auseinandersetzung mit Adenauers demokratiefeindlichem Politikstil stattgefunden, also in der Zeit nach Adenauer.

Aber es wird nie so richtig klar, wie dies zu belegen ist, denn Kießling selbst beschreibt, wie Adenauer die pluralistische Gesellschaft stets als Bedrohung empfunden habe. Seine Versuche, Presse und Medien zu lenken, „überschritten immer wieder den Rahmen demokratischer Legitimität“, so Kießling. Adenauer habe zudem den BND gegen SPD und FDP eingesetzt. Seine Personalpolitik sei „ziemlich brachial“ gewesen. Adenauers Rückgriff auf NS-belastete Funktionseliten hätten die Demokratisierung zwar nicht verhindert, aber zeitweise deren weitere Entwicklung gehemmt.

All das zählt Kießling auf und widerspricht damit seiner eigenen These. So bleibt seine Bilanz, der Beitrag Adenauers zur Demokratisierung Deutschlands dürfe „nicht unterschätzt werden“, nicht ausreichend belegt. Sein Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck.

Zwischen Westbindung und demokratischen Defiziten

Der Historiker Norbert Frei, der sich viel mit dem Nationalsozialismus beschäftigte, war noch ein Bub, als Adenauer starb und er die Trauerfeierlichkeiten im Fernsehen verfolgt habe. Dass er einmal eine Biografie über Adenauer schreiben würde, habe er sich nicht vorstellen können, schreibt er im Nachwort. Aber er kam der Bitte des Verlags nach und er begründet Adenauers einzigartige Stellung unter den Kanzlern damit, dass Adenauer nach NS-Diktatur, Zweitem Weltkrieg und Holocaust 1949 die erste Bundesregierung gebildet und die von außen gestiftete Demokratie im Westen verankert habe. Damit habe er die Fundamente einer Erfolgsgeschichte gelegt, die den Westdeutschen auf Jahrzehnte hinaus Wohlstand und Frieden bescherte. Er analysiert Adenauers Politik nach der deutschen Katastrophe: die unbedingte Westbindung, die der Kanzler gegen Widerstände und Hindernisse durchsetzte, aber auch seine Versäumnisse bei der Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur.

Er schildert den Taktiker und Machtpolitiker, ohne den Fehler zu begehen, Konrad Adenauer zugleich als Vater unserer Demokratie zu überhöhen. (Thomas Schuler)

 

 

 

Friedrich Kießling, Adenauer – Dreieinhalb Leben, dtv, München, 544 Seiten, 30 Euro.

 

 

Norbert Frei, Konrad Ade-nauer, Kanzler nach der Katastrophe, Beck, München, 317 Seiten, 29,90 Euro.

 

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