Jahrzehnte lang hatten Minderjährige bei der Bundeswehr nichts verloren. Mit einer Reform fiel dieses Tabu im Jahr 2011. Seither hat die Truppe fast 20 000 17-jährige Mädchen und Jungen als Soldatinnen und Soldaten angeheuert. 2024 leisteten über 2200 minderjährige Rekruten Dienst an der Waffe.
In Bayern verabschiedete der Landtag zudem im Juli 2024 das sogenannte Bundeswehrgesetz, das bereits in Kraft ist. Gegen dieses Gesetz wehrt sich die Lehrergewerkschaft GEW. Sie befürchtet, dass noch mehr Minderjährige zum Bund gelockt werden.
Bereits 2012 rief die GEW zu einer Aktionswoche „gegen den Einfluss der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie auf das Bildungswesen“ auf. Jugendoffiziere, hieß es in dem Aufruf, gebärdeten sich als „Experten für die politische Bildung“ für den Schulunterricht. Sie würden Lehrmaterialien entwerfen, Ausflüge in Kasernen organisieren und zunehmend Einfluss auf die Lehrerausbildung ausüben.
Petition gestartet
Auch gegen das bayerische Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern hat die GEW eine Petition gestartet. Die Gewerkschaft ist auch dagegen, dass Unis nun laut dem Gesetz zur militärischen Forschung verpflichtet werden können. „Die Hochschulen sollen mit Einrichtungen der Bundeswehr zusammenarbeiten. Sie haben mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn und soweit das Staatsministerium auf Antrag der Bundeswehr feststellt, dass dies im Interesse der nationalen Sicherheit erforderlich ist“, heißt es im Bundeswehrgesetz. „In Zeiten wie diesen wäre es vernünftiger, statt auf Militär- und Rüstungsforschung auf Friedens- und Konfliktforschung zu setzen“, entgegnet GEW-Hochschulexperte Eduard Meusel.
Auch die Soziologin Judith Holland von der Uni Erlangen-Nürnberg sorgt sich um die Wissenschaftsfreiheit. Die Unabhängigkeit der Unis ist für sie eine „zentrale demokratische Errungenschaft“. Hochschulen müssten geschützt werden vor jeglicher Einflussnahme: „Seitens der Politik, der Wirtschaft und eben auch der Bundeswehr.“
In Unterfranken ist Hauptmann Laurin Sachße als Jugendoffizier aktiv. In den vergangenen Monaten war er in einigen Schulen, auch in Schonungen im Landkreis Schweinfurt. Die Hauptbotschaft seines 90-minütigen Vortrags lautet Felix Tallafuß von der Staatlichen Realschule in Schonungen zufolge: „Die Bundeswehr ist ein Feuerlöscher, den man hoffentlich nie braucht.“ Adressaten der Vorträge sind in der Regel Zehntklässler, also Minderjährige.
„Leicht zu beeinflussen“
Genau das ist für GEW-Landesvorsitzende Martina Borgendale nicht akzeptabel. „Die Bundesregierung wurde wiederholt von der Kinderkommission des Bundestags und den Vereinten Nationen ermahnt, militärische Werbung bei Minderjährigen zu unterlassen“, betont sie. Inzwischen sei mehr als jeder zehnte Bundeswehr-Rekrut noch keine 18 Jahre alt: „Davon stammte in den letzten fünf Jahren jeweils ein Viertel aus Bayern.“ Zwar bemühten sich Jugendoffiziere, faktenorientiert und sachlich zu informieren. Allerdings sehen sie die Welt natürlich aus ihrer Perspektive.
Das ist für Borgendale der Knackpunkt. In Schulen müsse politisch neutral und facettenreich informiert werden. Vor allem, wenn es um politische Fragestellungen und Einschätzungen gehe. So will es der „Beutelsbacher Konsens“ aus den 1970er-Jahren. Wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, sei „der Weg zur Indoktrination beschritten“, heißt es darin. Um die Forderungen des Beutelsbacher Konsens zu erfüllen, müssten nach Ansicht von Borgendale kontroverse Debatten in Schulen organisiert werden: mit der Bundeswehr, mit Friedensorganisationen und Politikern sowie Wissenschaftlern.
Im Übrigen erschöpfe sich das Engagement der Bundeswehr nicht in Vorträgen. Die Armee komme auch zu Messen in Schulen: „Da wirbt sie explizit für den Beruf.“ Borgendale erinnert sich zudem an ein von der Bundeswehr gesponsertes Fußballturnier an einer Realschule, an der sie tätig war. Ihre damaligen Jungs seien von den „coolen“ Soldaten höchst angetan gewesen: „Aus diesem Jahrgang gingen dann wirklich einige nach dem Realschulabschluss zur Bundeswehr.“
Popularklage gegen das Bundeswehrgesetz
Im Februar reichte die GEW Popularklage gegen das Bundeswehrgesetz ein. Nach Ansicht von Klageschriftverfasserin Adelheid Rupp verstößt es mehrfach gegen die bayerische Verfassung. In der Präambel etwa sei die Pflicht des Freistaats zur Friedenssicherung festgeschrieben. Lehrer sollten selbst entscheiden, mit wem sie beim Thema „Sicherheit“ zusammenarbeiten, meint Kerstin Franke, Mittelschullehrerin und Personalrätin im Kreis Coburg. Vor allem an Mittelschulen seien Veranstaltungen mit Jugendoffizieren heikel: „Wir haben es hier oft mit eher labilen Jugendlichen zu tun, sie sind leicht zu beeinflussen.“
Unstrittig ist: Die Werbeausgaben wurden in den letzten zehn Jahren von 3,8 auf 58 Millionen Euro gesteigert. Und: Nach dem Willen der nächsten Bundesregierung sollen Soldaten stärker als bislang in deutschen Klassenzimmern über die Bundeswehr informieren. Das legt eine kurze Passage im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD nahe. (Pat Christ)
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