Nach dem Beschluss des israelischen Sicherheitskabinetts zur Einnahme der Stadt Gaza erhöht die Bundesregierung den Druck auf Israel. Bundeskanzler Friedrich Merz kündigte an, dass vorerst keine Ausfuhren von Rüstungsgütern genehmigt würden, die im Gaza-Krieg verwendet werden könnten.
In den vergangenen Wochen hatte die Bundesregierung das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen immer schärfer kritisiert. Nunmehr ergreift sie erstmals konkrete Maßnahmen gegen den Freund und Partner.
Kanzler kritisiert Pläne für noch härteres Vorgehen in Gaza
Merz betonte, Israel habe das Recht, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen. Die Freilassung der Geiseln und zielstrebige Verhandlungen über einen Waffenstillstand hätten für Deutschland oberste Priorität. Die Hamas müsse entwaffnet werden und dürfe in der Zukunft von Gaza keine Rolle spielen.
"Das in der vergangenen Nacht vom israelischen Kabinett beschlossene, noch härtere militärische Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen lässt aus Sicht der Bundesregierung immer weniger erkennen, wie diese Ziele erreicht werden sollen", hieß es in der schriftlichen Erklärung des Kanzlers. "Unter diesen Umständen genehmigt die Bundesregierung bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können."
Merz erinnert Israel an Verantwortung für Zivilbevölkerung
Merz betonte derweil, die Bundesregierung bleibe zutiefst besorgt über das fortdauernde Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen. "Mit der geplanten Offensive trägt die israelische Regierung noch stärker als bisher Verantwortung für deren Versorgung. Sie muss einen umfassenden Zugang für Hilfslieferungen ermöglichen, auch für UN-Organisationen und andere nicht-staatliche Institutionen."
Die Bundesregierung hatte bislang einen Stopp von Rüstungsexporten nach Israel abgelehnt. Seit dem Terrorangriff der Hamas vor fast zwei Jahren genehmigte sie Rüstungsexporte für fast eine halbe Milliarde Euro. Vom 7. Oktober 2023 bis zum 13. Mai 2025 wurde die Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung im Wert von 485,1 Millionen Euro an Israel erlaubt, wie das Bundeswirtschaftsministerium vor kurzem auf eine Anfrage der Linksfraktion antwortete.
Klingbeil unterstützt Entscheidung
Vizekanzler Lars Klingbeil unterstützt die Entscheidung für eine Einschränkung der Militärhilfe. "Dem Staat Israel gilt unsere volle Solidarität, aber Falsches muss benannt werden", erklärte der SPD-Vorsitzende.
Linke und Grüne finden deutliche Worte
Die Linke begrüßt den deutschen Exportstopp für bestimmte Rüstungsgüter nach Israel und führt ihn auf politischen Druck zurück. Zugleich forderte die Linken-Außenpolitikerin Lea Reisner weitere Schritte. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu spreche von Vertreibung, Angriffe auf den Gazastreifen hielten an. "Angesichts dieser Vertreibungspläne und der humanitären Katastrophe muss die Bundesregierung ihrer Verantwortung nachkommen und entschieden handeln: das EU-Assoziierungsabkommen aussetzen, Palästina anerkennen und die Maßnahmen des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs umsetzen", meinte Reisner.
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte angekündigt, dass vorerst keine Ausfuhren von Rüstungsgütern genehmigt würden, die im Gaza-Krieg verwendet werden könnten.
Grünen-Chefin Franziska Brantner fordert die Bundesregierung nach dem Beschluss Israels zur Einnahme der Stadt Gaza zu weitergehenden Schritten auf. Brantner sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Endlich kommt die Bundesregierung ins Tun und stoppt die Lieferungen von Waffen, die in Gaza eingesetzt werden können. Ich begrüße das sehr, es kann aber nur ein erster Schritt sein."
Die Grünen-Chefin sagte, die vom israelischen Kabinett beschlossene Ausweitung des Gaza-Kriegs sei eine Katastrophe - für die Zivilbevölkerung in Gaza und auch für die immer noch von der Terrororganisation Hamas festgehaltenen Geiseln. "Kanzler Merz und sein Außenminister Wadephul müssen sich jetzt mit Nachdruck für einen politischen Prozess einsetzen. Es braucht jetzt ernsthaften Druck für ein Ende des Kriegs und der humanitären Katastrophe, die Freilassung der Geiseln sowie eine politische Perspektive. Deutschland darf nicht länger konsequentes europäisches Handeln in diesem Sinne verhindern, sondern muss sich an die Spitze stellen."
Israel weitet Militäreinsatz aus
Israel will seinen Militäreinsatz im Gazastreifen ausweiten. Nach stundenlangen Beratungen beschloss das israelische Sicherheitskabinett die Einnahme der Stadt Gaza - womöglich mit dem Ziel, die Kontrolle über das gesamte Küstengebiet zu übernehmen. Die größte Stadt des Gazastreifens war seit dem Beginn des Kriegs vor rund 22 Monaten bereits mehrfach Ziel israelischer Angriffe.
Doch welche Ziele verfolgt Israel? In einer Erklärung des Büros von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach dem Beschluss des Sicherheitskabinetts hieß es, fünf Prinzipien zur Beendigung des Kriegs seien verabschiedet worden: die Entwaffnung der Hamas, die Rückkehr aller Geiseln - lebend oder tot -, die Entmilitarisierung des Gazastreifens, die militärische Kontrolle des Küstengebiets durch Israel sowie die Einrichtung einer Zivilverwaltung, die weder der Hamas noch der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unterstehen soll.
In einem Interview mit dem US-Sender Fox News vor der Sitzung des Sicherheitskabinetts sagte Netanjahu noch, Israel wolle die Kontrolle über den gesamten Gazastreifen übernehmen, das Gebiet aber nicht dauerhaft besetzen. Es solle von der Hamas befreit werden, um es schließlich an andere Kräfte zu übergeben. Dies müssten Kräfte sein, die nicht wie die islamistische Terrororganisation Hamas zur Vernichtung Israels aufriefen.
Medien spekulieren, dass die nun konkrete Ankündigung einer Ausweitung der Kämpfe auch Teil einer Verhandlungstaktik sein könnte, um die Hamas in den festgefahrenen Verhandlungen um eine Waffenruhe massiv unter Druck zu setzen. Israelische Politiker deuteten eine solche Strategie an. Der N12-Sender berichtete, Katar und Ägypten sowie die Türkei würden bereits Druck auf die Hamas ausüben, rasch an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Was bedeutet das für die Bevölkerung im Gazastreifen?
Was bedeutet das für die Bevölkerung im Gazastreifen? Zerstörung, Trümmer und Elend prägen rund 22 Monate nach Beginn des verheerenden Gaza-Kriegs das Bild in dem Küstenstreifen. Die humanitäre Lage vor Ort wird bereits jetzt als katastrophal beschrieben. Nach Angaben der Vereinten Nationen droht zudem eine Hungersnot in dem Gebiet.
Israels Militär kontrolliert derzeit rund 75 Prozent der Fläche des Gazastreifens. Die Stadt Gaza gehört zu jenen Teilen des Küstengebiets, die noch nicht unter israelischer Kontrolle sind. Vor dem Krieg lebten dort etwa 700.000 Menschen. Viele Menschen haben das Gebiet bereits verlassen, dennoch wird erwartet, dass die Eroberung zur Flucht zahlreicher weiterer Menschen führen wird. Kriegshandlungen im urbanen Raum gelten als besonders tödlich für Zivilisten.
Der TV-Sender N12 berichtete, die Bewohner sollen in Flüchtlingslager im Zentrum des Gazastreifens evakuiert werden - dies solle bis Anfang Oktober geschehen. Bereits jetzt sind diese Lager überfüllt, die hygienischen und gesundheitlichen Bedingungen dort gelten als gesundheitsgefährdend, wiederholt warnten Hilfsorganisationen vor Krankheitsausbrüchen.
Bereits frühere Andeutungen über die Einnahme weiterer Gebiete sorgten unter der palästinensischen Bevölkerung für Befürchtungen über eine neue Welle der Flucht und Vertreibung - ähnlich wie während des Kriegs im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 und während des Sechstagekriegs 1967. (dpa/till)
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