Politik

Briefwahl wird immer beliebter: Hier öffnen Wahlhelfer Briefwahlunterlagen für die Landtagswahl 2018. (Foto: Matthias Balk/dpa)

22.05.2019

Bundeswahlleiter entfacht Debatte über Briefwahl

Von Wahl zu Wahl steigt die Zahl der Bürger, die ihre Stimme per Brief abgeben. Auch in Bayern. Für die Wahlbeteiligung ist das zwar gut, es führt aber auch zu verfassungsrechtlichen Bedenken

Immer mehr Menschen in größeren Städten Bayerns stimmen bei Wahlen per Brief ab. Kurz vor der Europawahl sind in München, Nürnberg, Augsburg und Würzburg deutlich mehr Briefwahl-Anträge eingegangen als bei der Abstimmung zum Europäischen Parlament 2014, wie aus einer Umfrage der  hervorgeht. In München wurden heuer bislang knapp 283 500 Wahlscheine nach Briefwahlantrag ausgestellt - rund 82 500 mehr als 2014.

Auch Nürnberg verzeichnet einen "eklatanten Anstieg" an Briefwählern, hieß es von der Stadt. Schon jetzt seien gut 76 000 mehr Anträge eingegangen als bei der vergangenen Europawahl insgesamt (55 520). In Augsburg ist die Zahl der Anträge mit 35 500 bislang deutlich höher (2014 insgesamt: 22 000), jedoch vergleichbar mit den Zahlen der vergangenen Landtags- und Bundestagswahl. In Würzburg sind es bisher 30 500. Damit sei in der Stadt am Main der gleiche Briefwähler-Anteil wie bei den vergangenen Landtagswahlen erreicht worden - der bislang höchste Wert.

Schon in den vergangenen Jahren wählten bayernweit zunehmend mehr Menschen das Europaparlament per Brief, wie aus Zahlen des Bundeswahlleiters hervorgeht. Dieser Trend ist auch bei den Bundestagswahlen zu beobachten. Bundesweit steigt die Zahl der Briefwähler ebenso seit Jahren. Bei der Europawahl 2014 lag ihr Anteil bei 25,3 Prozent. Bei den Bundestagswahlen gab es seit 1994 einen kontinuierlichen Anstieg von 13,4 auf 28,6 Prozent bei der Wahl 2017. 

Bundeswahlleiter Georg Thiel sieht dies kritisch.  "Eine hohe Wahlbeteiligung ist gut für den demokratischen Willensbildungsprozess. Die Verfassung und die darauf beruhenden Gesetze sehen aber die Stimmabgabe an der Urne, also am Wahlsonntag, als Grundsatz vor", sagte Thiel den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Briefwahl beeinflusse die Prinzipien der gleichen und geheimen Wahl.

Prinzip der geheimen Wahl unterlaufen?

Thiel sieht vor allem zwei Probleme in der steigenden Briefwahl-Quote: Der Zeitraum der Stimmabgabe wird auf mehrere Wochen gestreckt. Das bedeutet, dass nicht alle Wähler unter denselben Voraussetzungen abstimmen. Zwischen Stimmabgabe und Wahltag können unvorhergesehene Ereignisse liegen, die noch Einfluss auf die Stimmabgabe haben könnten. Das gilt aktuell beispielsweise für die Ibiza-Affäre in Österreich, die in ganz Europa für Aufsehen sorgt. Hinzu kommt, dass das Prinzip der geheimen Wahl unterlaufen werden kann, wenn man zu Hause wählt.

Zur Notwendigkeit einer Reform wollte Thiel sich nicht äußern: "Ob es bei dem derzeitigen Verfahren der Briefwahl Änderungen geben sollte, ist nicht vom Bundeswahlleiter zu beurteilen, sondern vom Parlament oder gegebenenfalls vom Bundesverfassungsgericht." Bis 2008 musste man noch eine Begründung liefern, wenn man per Brief abstimmen wollte. Das Ist heute nicht mehr so. Das könnte zum Anstieg der Briefwahl-Quote beigetragen haben.

Verfassungsgericht hat keine Bedenken

Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mit der Briefwahl befasst und festgestellt, dass sie mit dem Grundgesetz vereinbar ist. "Die Grundsätze der freien und geheimen Wahl sowie der Öffentlichkeit der Wahl werden nicht verletzt", heißt es in einem Beschluss, der rund ein Jahr vor der Europawahl 2014 gefasst wurde. Doch auch die Karlsruher Richter wiesen damals darauf hin, dass im Zusammenhang mit der Briefwahl Einschränkungen der "Grundsätze der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit der Wahl" abgewogen werden müssten.

Kritik an der Einschätzung des Bundeswahlleiters kommt unter anderem von der FDP. "Die Briefwahl trägt zu einer höheren Wahlbeteiligung bei. Das kann in einem demokratischen Gemeinwesen nichts Schlechtes sein", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Auch der Wirtschaftsverband Die jungen Unternehmer widersprach der Kritik des Bundeswahlleiters an der Briefwahl und forderte Online-Wahlen. "Die Europawahl ist jugendfeindlich gestaltet", sagte Sarna Röser, Bundesvorsitzende des Verbands, der Deutschen Presse-Agentur. "Das altmodische Wahlprozedere schreckt besonders die Jugend, die alles digital und zeitunabhängig erledigt, ab, ihren demokratischen Beitrag zu leisten", ergänzte sie.
(dpa)

Kommentare (1)

  1. FKD am 25.05.2019
    Dass die Anzahl der Briefwähler in Nürnberg und München stark steigen, wundert mich nicht. Die beiden Städte dürften seit 2014 ja auch einen Bevölkerungs- und Wählerzuwachs zu verzeichnen haben.

    Dass der Anteil insgesamgt steigt, ist auch nicht verwunderlich. Die Gesellschaft wird immer älter und damit steigt auch die Anzahl der Menschen mit Mobilitätsproblemen. Dann darf man auch nicht vergessen, dass erstmalig auch Behinderte mit Betreuung wählen dürfen, von denen natürlich auch einige die Möglichkeit der Briefwahl nutzen.

    Und zuletzt muss man natürlich berücksichtigen, dass die Wahllokale bereits um 18 Uhr schließen und gerade junge Menschen nur höchst ungern an einem Sonntag so früh aufstehen ;)
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