Es ist eine heiß umstrittene Frage: Sollte jeder sagen dürfen, was er denkt? Der bayerischen Verfassung zufolge hat jeder das Recht auf freie Meinungsäußerung. „Hass und Hetze“ allerdings, so die Staatsregierung, gehen nicht. Auf der Internetseite Bayern gegen Hass animiert sie Bürgerinnen und Bürger, Beleidigungen zu melden. Für einige Juristen ist das bedenklich. Dietrich Murswiek etwa, Professor für Öffentliches Recht, sieht durch Meldestellen die Freiheit des öffentlichen Diskurses gefährdet.
Hass und Hetze sind zum Topthema geworden. Richtig Fahrt nahm es vor fünf Jahren auf: Am 10. März 2020 brachten CDU/CSU und SPD den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Hasskriminalität in den Bundestag ein. Allerdings gab es schon zuvor Initiativen in diese Richtung. So gründete die Jugendstiftung Baden-Württemberg bereits 2017 die Meldestelle REspect!. Der Freistaat kooperiert mit ihr seit Juni 2022. Über Bayern gegen Hass gelangt man mit einem Klick direkt zur REspect!-Meldemaske.
Seit Oktober 2024 ist REspect! außerdem „vertrauenswürdiger Hinweisgeber“ nach dem europäischen Digital Services Act. Was bedeutet: Löschbitten an Plattformen müssen seitdem in kürzester Zeit bearbeitet werden. Als Meldestelle erfreut sich REspect! wachsender Beliebtheit. Fast 32 600 Meldungen, nahezu 89 pro Tag, gingen 2024 ein – 25 Prozent mehr als im Jahr davor. Ein Drittel der Meldungen war strafrechtlich relevant. Zwei Drittel waren laut REspect! von der Meinungsfreiheit gedeckt oder „nicht bearbeitbar“.
Die Militanz mancher Äußerungen im Internet mag abstoßen. Doch sollte man solche Aussagen, auch wenn sie nicht strafrechtsrelevant sind, melden? RIAS Bayern, die vom bayerischen Sozialministerium finanzierte Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, findet in Bezug auf antisemitische Meinungen: unbedingt! Die Meldungen helfen, heißt es, Aussagen über Formen, Vorkommen und Entwicklung antisemitischer Vorfälle zu treffen.
Gefahr durch Denunzianten- und Duckmäusertum
RIAS gibt es seit April 2019. Bis Ende 2023 wurden über 2000 Vorfälle gemeldet, teilt Pressesprecher Felix Balandat mit.
Der Vorwurf der Kritiker: Meldestellen könnten den Nebenzweck haben, unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Deshalb die wachsende Zahl an Meldestellen. Sie verweisen auch auf die Meldestelle Strong! des schwul-queeren Kommunikations- und Kulturzentrums München (Sub).
Zu den bekanntesten Kritikern gehört US-Vize James D. Vance. „Glauben Sie, dass der US-Steuerzahler es hinnehmen wird, wenn jemand in Deutschland für einen gemeinen Tweet ins Gefängnis kommt?“, sagte er kürzlich. Damit plädiert er für die Freiheit, auch „gemeine“, sprich fiese Ansichten im Internet zu äußern. Die Aussage fiel mit Bezug auf die US-Militärpräsenz in Deutschland. Die USA überlegten sich, weiter in ein Land zu investieren, in dem es keine umfassende Meinungs- und Redefreiheit gibt. Für die Unbedingtheit der freien Meinungsäußerung tritt auch Juraprofessor Murswiek ein. Er sagt: „Staatliche oder staatlich geförderte Meldestellen, bei denen man Meinungsäußerungen melden kann, die nicht strafbar, aber nach der Zielsetzung der Meldestelle unerwünscht sind, sind mit der Meinungsfreiheit unvereinbar.“ Das betreffe sowohl queer- als auch islamfeindliche, antifeministische oder extremistische Äußerungen. Meldestellen wirkten „einschüchternd“ und förderten Denunziantentum.
Felix Balandat weist das zurück: „Unter Denunziation versteht man das Erstatten einer Anzeige aus niedrigen Beweggründen bei einer Institution, die der denunzierten Person übergeordnet ist“, sagt er. RIAS Bayern hingegen sei keine staatliche Einrichtung und keine Strafverfolgungsbehörde. Auf Befremden stößt die Frage, wie man mit dem Vorwurf des Denunziantentums umgeht, auch bei sub-Geschäftsführer Kai Kundrath. Ein Meldeverfahren zu „Hatespeech“ im Internet setze „nötige Grenzen“, wenn andere abgewertet, bloßgestellt oder bedroht würden: „Das ist keinesfalls eine Einschränkung der Rede- oder Meinungsfreiheit.“
Auf Bayern gegen Hass wird auch auf das im September 2020 eingerichtete Onlinemeldeverfahren für Amts- und Mandatsträger an den Hatespeech-Beauftragten der Generalstaatsanwaltschaft München hingewiesen. Dabei handelt es sich um Prüfbitten, erläutert Staatsanwalt David Beck. Bis Ende 2024 gingen 256 solcher Prüfbitten ein. In 215 Fällen bestand ein Anfangsverdacht auf eine Straftat. Eine Geldstrafe etwa wurde wegen folgender Beleidigung eines Landtagsabgeordneten verhängt: „So eine Sau gehört nicht in die Politik sondern eingespert, pfuiteufel.“ Wegen Volksverhetzung in zwölf Fällen wurde ein anderer zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. In einer Mail hatte er geschrieben: „Sie widerliches Stück Scheisse, wie viele von diesen Flüchtlingsabschaum sollen wir noch aufnehmen? Sie dreckige Flüchtlingshure. Wer zahlt dafür?“
Bei Äußerungsdelikten im Internet sei stets die Meinungsfreiheit zu beachten, unterstreicht Beck. Doch jene, die Opfer von Beleidigungen oder Verleumdungen werden, müssten ebenfalls geschützt werden. Wagten sie es aus Angst vor Beleidigung nicht mehr, sich im Internet frei zu äußern, wäre ja die Meinungsfreiheit eingeschränkt.
Dietrich Murswiek sieht es so: „In einer offenen Gesellschaft sollte jeder seinem Gegenüber deutlich widersprechen, wenn dieser eine seiner Ansicht nach falsche oder sogar unerträgliche Ansicht äußert.“ Dies stattdessen anonym zu melden, sei dem offenen Meinungsbildungsprozess, den eine Demokratie benötige, abträglich. „Duckmäusertum und Denunziantentum sind die beiden Seiten dessen, was das Meldeportalunwesen fördert“, resümiert der Jurist. (Pat Christ)
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