Das Coronavirus macht zurzeit alle Eltern zu Heimlehrern. Ob sie wollen oder nicht, und egal, wie ihr eigener Bildungshintergrund ist: Mama und Papa müssen jetzt mit dem Nachwuchs den Lernstoff pauken. Gar nicht so leicht. Zumal einheitliche Vorgaben des Kultusministeriums fehlen. Der Bayerische Elternverband hätte da ein paar Verbesserungsvorschläge.
BSZ Herr Löwe, wie funktioniert nach Ihrer Einschätzung der Unterricht zu Hause nach rund drei Wochen?
Martin Löwe Wir haben dazu eine Umfrage laufen. Insgesamt scheint es noch ganz gut zu funktionieren, aber es gibt auch alarmierende Meldungen an unsere Geschäftsstelle. Einige Eltern sind
ziemlich verzweifelt. Sie fühlen sich mit der Situation überfordert. Wir beobachten allerdings, dass dies auch stark mit dem jeweiligen Bildungsstand der Eltern zusammenhängt.
BSZ Ist es eine Erleichterung, dass viele Eltern derzeit im Homeoffice arbeiten dürfen – oder erschwert das die Situation noch zusätzlich?
Löwe Das ist nicht automatisch ein Vorteil, sondern sehr unterschiedlich. Ich bin seit heute auch im Homeoffice und ich muss ehrlich sagen – man kommt fast zu nichts. Die meisten Eltern haben ja keine Vorerfahrung, wie das ist, daheim zu arbeiten, während gleichzeitig das Kind da ist. Da hängt auch viel von den Rahmenbedingungen ab: Verfüge ich beispielsweise über ein separates Arbeitszimmer oder wenigstens einen klar abgetrennten Bereich? Oder sitze ich als Berufstätiger jetzt mit meinem Laptop am Küchentisch oder auf der Couch im Wohnzimmer? Immerhin spart man sich derzeit den täglichen Weg zur Arbeit, das ist wenigsten ein zeitlicher Vorteil.
BSZ Gibt es altersbedingte Unterschiede, wie die Schulkinder mit der Situation klarkommen?Löwe Auch dazu kann man keine pauschale Aussage treffen. Das ist sehr individuell. Eher machen die Schultypen einen Unterschied. Was den digitalen Unterricht betrifft, sind die Gymnasien gegenüber den Grundschulen klar im Vorteil. Bei den Familien daheim spielt es eine große Rolle, wie die Wohnverhältnisse sind, ob es ein Haus mit Garten ist oder der zehnte Stock ohne Balkon im sozialen Wohnungsbau.
BSZ Wenn jetzt ein verzweifelter Vater oder eine verzweifelte Mutter direkt bei Ihnen anruft: Was raten Sie denen?
Löwe Erstens: auf jeden Fall eine Tagesstruktur etablieren. Um acht Uhr etwa mit dem Unterricht beginnen, zur Not neun Uhr, aber nicht später. Heimunterricht ist keine Ferienzeit, das muss man den Kindern immer wieder verinnerlichen, die brauchen klare Strukturen ganz dringend. Zweitens: Druck rausnehmen. Was das Kind jetzt nicht versteht, das wird eben erst mal auf die Seite gelegt. Und drittens: das Kind beruhigen, ihm altersgerecht die Situation erklären und die Angst nehmen. Für viele Buben und Mädchen ist es sehr belastend, dass sie ihre Freunde nicht sehen dürfen, andere haben Angst um Oma und Opa. Das fordert den Eltern, die häufig selbst massiv verunsichert sind, eine Menge ab, schon klar.
BSZ Was beklagen die Eltern am meisten?Löwe Dass für die Eltern keine klar von oben vorgegebene Linie erkennbar ist. Die Schulen, ja sogar die einzelnen Lehrkräfte einer Schule handhaben den Fernunterricht sehr unterschiedlich. Den Eltern erscheint dies sehr unkoordiniert, und das führt nicht selten dazu, dass sie sich wegen der Fülle der Aufgaben überfordert fühlen und in die Rolle von Hilfslehrern gedrängt sehen. Dabei stellte erst vor wenigen Tagen der Minister in einer Pressemitteilung klar, dass der derzeitige Fernunterricht der Wiederholung und Vertiefung dienen solle und nicht der Einführung neuer Unterrichtsinhalte. Dies scheint bei einigen Lehrkräften jedoch nicht angekommen zu sein. Viele Kinder machen sich auch selbst Druck, weil sie die Situation nicht einschätzen können.
BSZ Das heißt, Kultusminister Michael Piazolo (FW) ist gefordert?
Löwe Wenn man es auf eine einzige Person herunterbrechen möchte, ja. Wenn es um Einzelheiten geht, darf man aber die verschiedenen dazwischengeschalteten Abteilungen des Ministeriums nicht vergessen, außerdem Schulämter und Ministerialbeauftragte.
BSZ Ist Piazolo in Ihren Augen kein guter Krisenmanager?
Löwe Er hält sich schon ziemlich zurück, ist mein Eindruck. Wir wissen aber auch nicht, welche Ansagen die Lehrkräfte bekommen haben. Den Eltern wurde jedenfalls wenig mitgeteilt, sie haben sich weitgehend über die Presse informiert.
BSZ Können Sie ein anschauliches Beispiel für das Durcheinander in den Fächern nennen?
Löwe Mein Sohn geht in die 12. Klasse der FOS. Für den Fremdsprachen-Unterricht bekommt er von der Lehrerin nur eingescannte Arbeitsblätter nach Hause gemailt, die sind meist schlecht lesbar und bestimmt schon 100 Mal kopiert. Einige Lehrer in den naturwissenschaftlichen Fächern dagegen praktizieren via Skype richtigen Unterricht, wo die Schüler auch nachfragen können. Andere wenden das vom Kultusministerium bereitgestellte Portal Mebis an, mit dem auch interaktiver Unterricht möglich ist. Anfangs war Mebis allerdings ziemlich überlastet.
BSZ Also sollte es doch besser zentrale Vorgaben für die Gestaltung des Unterrichts geben?
Löwe Ich kann diese Forderung der Eltern nachvollziehen. Andererseits verstehe ich auch das Ministerium, wenn es sagt, das sei schlecht zentral bestimmbar. Schließlich wurde im bayerischen Schulsystem viele Jahre das Prinzip vertreten, die Individualität der jeweiligen Schulen zu stärken und ihnen mehr Eigenverantwortung zuzubilligen. Dass man das jetzt nicht alles wieder über den Haufen werfen möchte, verstehe ich. Was mich besonders stört, ist, dass die Ansage, derzeit vor allem bereits bekannten Stoff zu vertiefen, in dieser Klarheit erst so spät kam und dass sich viele Lehrer dementsprechend nicht daran gehalten haben.
BSZ Und warum halten sich die Lehrkräfte nicht dran?
Löwe Vielleicht hingen einige schon vor Corona mit dem Lehrplan zeitlich hinterher und haben nun Angst, den Stoff bis zum Schuljahresende nicht mehr zu schaffen. Dabei ist doch schon abzusehen, dass auch nach den Osterferien nicht wieder normaler Unterricht stattfinden kann. Die Schulen sind doch wirklich die letzte Einrichtung, die wieder normal geöffnet werden können. Bis zu 30 Kinder auf engstem Raum – da ist der Virenaustausch quasi vorprogrammiert.
(Interview: André Paul)
Bild: Martin Löwe (52) ist seit 2014 Vorsitzender des Bayerischen Elternverbands. (Foto: BSZ)
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