Politik

Das Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts sieht vor, dass Verfassungsschützer heimlich in Privatwohnungen einbrechen dürfen. (Foto: Silas Stein/dpa)

06.09.2019

Einbrecher mit Staatstrojaner

Bundesinnenminister Seehofer will die Rechte des Verfassungsschutzes massiv erweitern – Smartphones, Wohnungen und selbst Kinder dürften dann überwacht werden

Agenten, die heimlich unsere Wohnung betreten und auf unseren Computern oder Smartphones Trojaner installieren: Das ist nicht die Handlung eines zweitklassigen Spielfilms, sondern das Ziel eines Gesetzentwurfs von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Anscheinend waren staatliche Behörden bisher nicht besonders erfolgreich dabei, die von ZITiS in München entwickelten Staatstrojaner aus der Ferne auf elektronische Geräte aufzuspielen. Das Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts sieht jedenfalls vor, dass nicht mehr nur Polizisten, sondern auch Verfassungsschützer Privatwohnungen betreten dürfen.

Ob Seehofers Gesetz vor dem staatlichen Einbruch eine richterliche Genehmigung vorsieht, ist umstritten. Das bayerische Innenministerium sagt ja; Juristen wie der Rechtsprofessor Fredrik Roggan von der Polizeihochschule Brandenburg lesen das aus dem Entwurf jedoch nicht zwingend heraus. Das würde dem Grundgesetz widersprechen. Das Bundesinnenministerium ließ eine BSZ-Anfrage dazu und ob auch Journalisten ausgespäht werden dürfen unbeantwortet. Kritiker werfen Seehofer vor, den 41-seitigen Entwurf absichtlich unklar formuliert zu haben. Man müsse Gesetze kompliziert machen, „dann fällt es nicht so auf“, scherzte Seehofer im Juni. Klar ist aber: Bei Gefahr im Verzug können Wohnungen auch ohne Richterbeschluss vom Verfassungsschutz betreten werden.

Im Schnitt ist jeder sechste Deutsche betroffen

Seehofer möchte Behörden durch das Gesetz auch erleichtern, Telefonnummern und Internetdaten wie IP-Adressen und E-Mail-Postfächer abzufragen. Dabei haben laut Statistik der Bundesnetzagentur zum Beispiel Polizei und Geheimdienste 2018 auch so schon 14 Millionen Mal nachgefragt, wem eine Telefonnummer gehört – das betraf also im Schnitt jeden sechsten Deutschen. Eine massive Ausweitung der staatlichen Überwachung ist ebenso im Bereich Daten vorgesehen: Während früher „nur“ das Abhören von Gesprächen und das Mitlesen verschlüsselter Nachrichten wie WhatsApp erlaubt war, dürften durch das neue Gesetz alle persönlichen Informationen aus technischen Geräten wie Alexa, dem smarten Auto oder dem Internet der Dinge ausgelesen werden – selbst bei Geräten von Kindern. Anonymisierungssoftware will Seehofer verbieten lassen.

Durch das Gesetz könnten auch IT-Unternehmen dazu verpflichtet werden, bei der Installation von Staatstrojanern mitzuhelfen. Geschäfte und Einkaufscenter würden gezwungen, dem Verfassungsschutz auf Anfrage Live-Zugang zu ihrer Videoüberwachung zu geben. Bayerns Datenschutzbeauftragter Thomas Petri blickt mit Sorge auf das neue Gesetz. Schon jetzt können staatliche Überwachungskameras Gesichter erkennen oder bei auffälligem Verhalten die Polizei rufen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber befürchtet, dass durch die ständige Überwachung Bürger ihr Verhalten ändern, beispielsweise nicht mehr auf Demos gehen. Die EU prüft gerade, persönliche Daten nicht nur bei Flug, sondern auch bei Zug-, Bus- und Schiffsreisen zu erheben.

Die bayerische Grünen-Chefin Katharina Schulze bezeichnet Seehofers Pläne im Gespräch mit der Staatszeitung als „radikalen Angriff auf unsere Bürgerrechte“ und fordert eine strukturelle Neuorganisation des Inlandsgeheimdienstes. Die AfD in Bayern befürchtet, dass die neuen Befugnisse zur Bekämpfung des politischen Gegners eingesetzt werden. Aktuell befindet sich der Gesetzentwurf noch in der Ressortabstimmung. Ob Passagen geändert wurden, wollte auf Anfrage kein Ministerium sagen. Das SPD-geführte Bundesjustizministerium weist aber darauf hin, dass laut Koalitionsvertrag nur „maßvolle“ Kompetenzerweiterungen des Verfassungsschutzes vorgesehen sind. Bleibt zu hoffen, dass die SPD nicht einknickt. (David Lohmann)

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