Politik

Aktivisten von Attac vor dem Reichstag. Was tun gegen Armut? Nicht in allen Fällen hilft das Bürgergeld. (Foto: dpa/Ipon/S. Boness)

10.10.2025

Ganz unten - Trotz Bürgergeld leben Tausende Menschen unter dem Existenzminimum

Die Bundesregierung reformiert das Bürgergeld. Das ist aus Sicht von Experten sinnvoll, denn nicht immer profitieren die Richtigen. Andererseits wird tatsächlich Bedürftigen oft nicht geholfen. Tausende leben unter dem Existenzminimum. Es gibt schockierende Fälle. Auch viele Menschen die arbeiten, sind betroffen

Dass Marek Müller (Name geändert) ganz unten angekommen war, merkte er, als er vor mehr als einem Jahrzehnt zum Dieb wurde. Als niemand in der Nähe war, habe er im Laden etwas Obst und Gemüse in die Jackentaschen gesteckt. Klar habe er sich schlecht gefühlt. „Aber anders ging es nicht. Ich musste stehlen, damit meine Kleine und ich nicht hungern", sagt der Münchner.

Die Lebensgeschichte des Alleinerziehenden zeigt, wie schnell man in der Armut landen kann. Die Mutter seiner Tochter Maria starb, als die Tochter noch klein war. Er schlug sich mit Teilzeitjobs durch. Sein Gehalt reichte in der teuren Landeshauptstadt nur selten zum Leben. Es gab Jahre, da blieben ihm nach Abzug der Miete und anderer Fixkosten lediglich 100 bis 200 Euro pro Monat. "Lange Zeit hatte ich nur zwei Hosen. Mehr war nicht drin", sagt Müller. An seiner Tochter habe er aber "nie gespart".

In Müllers Fall spielte Unwissenheit eine Rolle für die Misere. Er wusste nicht, dass auch, wer arbeitet, beim Jobcenter aufstocken kann. Und als er es dann tat, bekam Müller zunächst weniger überwiesen, als er zum Leben brauchte, weil eine nicht an ihn ausgezahlte Waisenrente vom Jobcenter angerechnet wurde. Zudem zahlte der heute fast 50-Jährige noch Schulden zurück.

Viele stellen keinen Antrag

Müller ist kein Einzelfall. Hierzulande leben Tausende, die weniger zur Verfügung haben als das Existenzminimum. Das Ausmaß sei „erschreckend“, sagt ein Sprecher des Paritätischen Gesamtverbands. Studien zeigten, „dass zwischen 34 und 70 Prozent der Menschen, die eigentlich Anspruch auf Sozialleistungen hätten, diese gar nicht beantragen“. Sie lebten „unterhalb des gesetzlich garantierten Existenzminimums“.

Der Regelbedarf im Bürgergeld beträgt 563 Euro – ohne Wohnkosten. Die Ursachen, warum Menschen nicht einmal diese Summe zur Verfügung steht, sind laut Paritätischem vielfältig: Unkenntnis, Scham, Krankheit und Angst vor Stigmatisierung spielten neben komplizierten Antragsverfahren eine Rolle. „Viele Menschen verzichten auf ihnen zustehende Leistungen“, sagt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK.

Neben Rentnerinnen sind Solo-Selbstständige häufig betroffen. Das Antragsverfahren sei selbst für Akademiker „extrem kompliziert“, so der Paritätische: „Gewinn- und Verlustrechnungen sowie umfangreiche Nachweise und oft mehrfache Nachforderungen. Viele schreckt das ab oder überfordert sie.“ Hinzu kämen Menschen mit Schulden oder Geldstrafen, die oft „durch alle Netze fallen“.

Wohnkosten werden nicht bezahlt

Probleme gibt es auch, wenn die Wohnung aus Sicht der Behörden zu teuer ist. Über 330.000 Haushalte im Bürgergeldbezug bekamen im vergangenen Jahr die Wohnkosten nicht voll vom Jobcenter erstattet. Etwa, weil die Miete höher war als der für die jeweilige Kommune festgesetzte Richtwert. Im Schnitt belief sich die Differenz zwischen den vom Empfänger angegebenen Mietkosten und den vom Amt übernommenen auf 116 Euro. Das geht aus Zahlen der Bundesregierung hervor.

Mehrere von der BSZ befragte bayerische Kommunen teilten jedoch mit, es werde bei ihnen nicht explizit erfasst, in wie vielen Fällen tatsächlich die Mietkosten gekappt wurden. Die Statistik des Bundes sei nur bedingt aussagekräftig. So enthalte die Statistik auch Fälle, in denen etwa die Miete für den Stellplatz nicht anerkannt werde oder die Einnahmen für eine Untervermietung abgezogen wurden. Auch Zuschüsse für geförderten Wohnraum würden die Statistik verzerren.

Unstrittig ist, dass es insbesondere in teuren Regionen wie Oberbayern zahlreiche Haushalte gibt, die vom Bürgergeld jeden Monat noch eine zwei- oder dreistellige Summe abknapsen müssen. Denn eine billigere Wohnung finden sie oft nicht. Über die Runden zu kommen, wird so noch schwieriger. Bayerns Linken-Chef Martin Bauhof moniert, dass die Kommunen die Angemessenheitsgrenze für die Mieten niedriger ansetzen dürfen als die mittlere Angebotsmiete. Der Paritätische fordert beim Bürgergeld generell „vereinfachte Antragsverfahren – vor allem für Selbstständige“.

Doch Fakt ist auch, dass der Sozialstaat an seine Grenzen stößt, weil Hunderttausende arbeitsfähige Flüchtlinge bis heute keine Jobs haben und deshalb die Bürgergeldkosten explodieren. Marek Müller hat sich bereits vor Jahren Hilfe gesucht. Seit dem Ende seiner Privatinsolvenz kommt er besser über die Runden. (Tobias Lill)
 

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