Karin Huber (Name geändert) arbeitet gern mit Kindern. Doch in diesen Tagen hat die Kinderpflegerin häufig Angst. „Ich will mich nicht anstecken. Aber ich kann ja nicht dauernd Abstand zu den Kindern halten“, sagt die Frau mittleren Alters, die in einer Kita im Landkreis Fürstenfeldbruck arbeitet. Doch nicht nur manche Kinderpflegrinnen und Erziehrinnen fühlen sich an ihren Arbeitsplätzen derzeit unsicher. „Im sozialen Bereich, wo Homeoffice oft nicht infrage kommt, muss noch mehr für die Sicherheit der Mitarbeiter getan werden“, sagt ein Sprecher der Gewerkschaft Verdi. Klar sei aber auch, dass ein Ansteckungsrisiko in diesen Bereichen nie ganz vermeidbar sei.
Dass die Gefahr an Corona zu erkranken, im Sozial- und Gesundheitsbereich besonders hoch ist, zeigen Studien. Beschäftigte im Kita- und Betreuungsbereich verzeichneten von März bis Oktober 2020 so viele Krankschreibungen im Zusammenhang mit Covid-19 wie keine andere Berufsgruppe. Das geht aus einer Ende vergangenen Jahres veröffentlichten Analyse der Arbeitsunfähigkeitsmeldungen der AOK-Mitglieder durch deren wissenschaftliches Institut Wido vom hervor. Danach waren in diesem Zeitraum gut 2,7 Prozent Versicherte dieser Berufsgruppe zumindest einmal wegen Covid-19 krankgeschrieben.
Damit liegt deren Betroffenheit mehr als das Doppelte über dem Durchschnittswert der AOK-Versicherten von 1,2 Prozent. Die erzieherischen Berufe lagen sogar knapp vor denen im Gesundheitsbereich. Besonders betroffen waren zuletzt auch medizinische Fachangestellte. Sie belegten laut der AOK-Auswertung im Zeitraum von März bis Oktober 2020 mit 2,5 Prozent den traurigen Platz zwei der Horrorliste. Zum Vergleich: Die niedrigsten krankheitsbedingten Fehlzeiten im Zusammenhang mit Covid-19 verzeichnete die AOK in der Landwirtschaft – dort war nur etwas mehr als jedes 400. Mitglied wegen des neuartigen Coronavirus arbeitsunfähig gemeldet.
Wer nicht ins Homeoffice gehen kann, sei „im bisherigen Verlauf der Pandemie stärker von Covid-19 betroffen“, fasst ein Wido-Funktionär das wenig überraschende Ergebnis der Studie zusammen. Besonders häufig von Fehlzeiten wegen Covid-19 seien Berufe mit direktem Kontakt zu Menschen betroffen. Laut den AOK-Daten sind Frauen häufiger wegen Covid-19-Infektionen krankgeschrieben – kein Wunder: Sie arbeiten öfter in der mies bezahlten Gesundheits- und Sozialbranche als Männer. „Im Vergleich zu unserer ersten Auswertung für die Frühphase der Pandemie sind die erzieherischen Berufe nun in der Gesamtschau für März bis Oktober deutlich stärker betroffen“, sagt ein Wido-Experte. Denn anders als im Frühjahr waren Schulen und Kitas im Sommer und Herbst weitgehend geöffnet – vielerorts auch in Bayern.
Rasche Impfung des Kita-Personals ist nötig
An der Gefährdungslage vieler Kita-Angestellter hat sich nur wenig geändert. Zwar soll eigentlich in Kindergärten und Krippen nur Notbetrieb stattfinden – doch weil der Urlaub aufgebraucht ist und viele Eltern wegen des laufenden Homeschoolings am Limit sind, nutzen weit mehr von ihnen das Angebot einer Notbetreuung im Kleinkindbereich als noch beim ersten Lockdown. In München besuchte zuletzt mehr als ein Drittel der angemeldeten Kinder die Notbetreuung – in manchen Einrichtungen sogar gut 90 Prozent. Verdi fordert zum Schutz der Mitarbeiter*innen, Gruppen soweit personell möglich noch häufiger aufzuteilen und kostenlose FFP2-Masken zur Verfügung zu stellen.
Die Caritas München und Oberbayern verlangt derweil eine möglichst rasche Impfung von Beschäftigten in Kindertagesstätten. Derzeit sind diese in der Impfreihenfolge nur der Priorisierungsstufe 3 zugeordnet. Stufe 1 haben Bewohner*innen von Pflegeheimen und Menschen über 80 Jahre sowie diverse Angestellte in diesem Bereich. In Stufe 2 kommen noch einmal Millionen weitere Menschen wie Ältere, Asylbewerber sowie Personal mit moderatem Infektionsrisiko, etwa in Gesundheitsämtern, dran. Auch sie haben trotz geringeren Ansteckungsrisikos Vorrang vor dem Kita-Personal.
Diese folgen erst als dritte Gruppe gemeinsam mit Lehrkräften und anderen Berufsgruppen. Gabriele Stark-Angermeier, Vorständin des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising, kritisiert zudem, dass Kinderpflegerinnen überhaupt nicht für eine vorgezogene Impfung gelistet seien, obwohl sie genauso eng mit Kindern zusammenarbeiteten. Sie könnten in vielen Situationen schlicht keinen Abstand halten – etwa, wenn ein weinendes Kind getröstet werden muss, so Stark-Angermeier. Auch das Wickeln ist aus Sicht von Seuchenschutzfachleuten hochproblematisch.
An den Schulen nur wenige Kinder in der Notebtreuung
Lehrkräfte sind dagegen Erzieher*innen bei der Impfpriorität gleichgestellt. Aktuell ist das Infektionsrisiko aufgrund der Schulschließung und des Distanzunterrichts für viele von ihnen gering: So werden laut Kultusministerium neun Prozent der Grundschulkinder in den Schulen notbetreut – an Realschulen und Gymnasien hingegen nur eines von 200. Sobald der Präsenzunterricht jedoch beginnt, steigt auch das Risiko erneut.
Doch auch außerhalb des sozialen Bereichs gibt es Berufe mit erhöhter Gefährdungslage. Bei Beschäftigten im Einzelhandel ist das Ansteckungsrisiko ungleich verteilt. Einer US-Studie zufolge wurden Supermarkt-Mitarbeiter mit Kundenkontakt fünfmal so häufig positiv auf das Coronavirus getestet wie ihre Kollegen in anderen Positionen im gleichen Laden.
Unverständlich ist aus Expertensicht deshalb die aktuelle Situation in vielen bayerischen Lebensmittelgeschäften. In der Schlange vor der Kasse tragen sämtliche Leute brav eine FFP2-Maske – doch das dort sitzende Kassenpersonal grüßt weiterhin ganz ohne Mund-Nasen-Schutz. Ganz so, als ob eine einseitige Plastikwand mit Lücken vor den Aerosolen des Covid-19-Virus schützen würde. „Plexiglasscheiben und Kinnschutz lenken nur den Luftstrom ab“, kritisiert Matthias Wjst, Experte für Lungenerkrankungen am Helmholtz Zentrum München.
Dominik Spitzer, Gesundheitsexperte der FDP-Landtagsfraktion, fordert deshalb, Verkäufer sollten verpflichtet werden, immer einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Auch bei Verdi wünscht man sich einen besseren Schutz. Die Angestellten sollten gratis FFP2-Masken und Extrapausen bekommen. (Tobias Lill)
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